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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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meinen kleinen Koffer abzuholen. Ein allerliebstes kleines Gemach
aus dessen Fenstern man eine zauberische Aussicht genießt, wurde
Mir angewiesen und ich mußte das entschiedene Versprechen geben>
drei Tage zu verweilen.

Ich war nicht der einzige Gast. Madame Pasta hatte einen
Kreis um sich, der aus den verschiedensten Klassen der Gesellschaft
zusammengesetzt war: or^ C., ein berühmter Arzt aus New-Uork
und seine beiden Schwestern, Ferdinand Hiller, d^r bekannte Coa
ponist aus Frankfurt, Graf Neuperg, dessen Bruder Schwiegersohn
des Königs von Würtemberg geworden, und mehrere Mailänbische
Damen. Die Familie der Madame Pasta bestand aus ihrem Gat¬
ten, ihrer alten Mutter, ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und
einem allerliebsten Enkelchen. Diese Familie vereinte somit vier Ge¬
lterationen und doch hatte die Mutter der Madame Pasta noch tem
einziges weißes Haar.

Es wurde an demselben Abende ein Ausflug verabredet, M
welchem die ganze Gesellschaft Theil nehmen sollte; es galt die
neblige Spitze eines Berges zu besteigen, von welchem aus der Son¬
nenaufgang den wunderbarsten Anblick bietet.

Um zur gehörigen Zeit an Ort und Stelle zu sein, mußte man
um 1 Uhr nach Mitternacht ausstehen; da fünf bis sechs Damen
von der verschiedensten Constitution keinen Anstand nahmen, sich die¬
ser bergstürmenden Caravane anzuschließen, wie hätten die .Herren
sich da weigern sollen? Man ging demnach bei Zeiten schlafen, um
bei Zeiten wieder zu erwachen. Allein wer könnte um neun Uhr
Abends schnarchen, wenn man zum ersten Male am Ufer eines der
schönsten Seen der Welt sich befindet? In Mitte einer italienischen
Sommernacht, wenn der klarste Mondschein und tausend Sterne sich
in den Wellen spiegeln? Ich stand noch lange an meinem Fen¬
ster, nachdem schon alle Domestiken, welche jedem der nächtlichen Ar¬
gonauten nach seinem Zimmer leuchteten, sich zur Ruhe begeben hat¬
ten. Ich konnte nicht schlafen -- und die bestimmte Weckstunde
fand an mir denjenigen, der am frühesten aus dein Bette sprang --
Ich bin überzeugt, daß Mancher aus der Gesellschaft, er es
über seine Eigenliebe hätte gewinnen können, sich auslachen zu las¬
sen, den Bedienten, der ihn aus seinem friedlichen Schlummer weckte
gern als seinen Stellvertreter auf den Spaziergang geschalt und den


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meinen kleinen Koffer abzuholen. Ein allerliebstes kleines Gemach
aus dessen Fenstern man eine zauberische Aussicht genießt, wurde
Mir angewiesen und ich mußte das entschiedene Versprechen geben>
drei Tage zu verweilen.

Ich war nicht der einzige Gast. Madame Pasta hatte einen
Kreis um sich, der aus den verschiedensten Klassen der Gesellschaft
zusammengesetzt war: or^ C., ein berühmter Arzt aus New-Uork
und seine beiden Schwestern, Ferdinand Hiller, d^r bekannte Coa
ponist aus Frankfurt, Graf Neuperg, dessen Bruder Schwiegersohn
des Königs von Würtemberg geworden, und mehrere Mailänbische
Damen. Die Familie der Madame Pasta bestand aus ihrem Gat¬
ten, ihrer alten Mutter, ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und
einem allerliebsten Enkelchen. Diese Familie vereinte somit vier Ge¬
lterationen und doch hatte die Mutter der Madame Pasta noch tem
einziges weißes Haar.

Es wurde an demselben Abende ein Ausflug verabredet, M
welchem die ganze Gesellschaft Theil nehmen sollte; es galt die
neblige Spitze eines Berges zu besteigen, von welchem aus der Son¬
nenaufgang den wunderbarsten Anblick bietet.

Um zur gehörigen Zeit an Ort und Stelle zu sein, mußte man
um 1 Uhr nach Mitternacht ausstehen; da fünf bis sechs Damen
von der verschiedensten Constitution keinen Anstand nahmen, sich die¬
ser bergstürmenden Caravane anzuschließen, wie hätten die .Herren
sich da weigern sollen? Man ging demnach bei Zeiten schlafen, um
bei Zeiten wieder zu erwachen. Allein wer könnte um neun Uhr
Abends schnarchen, wenn man zum ersten Male am Ufer eines der
schönsten Seen der Welt sich befindet? In Mitte einer italienischen
Sommernacht, wenn der klarste Mondschein und tausend Sterne sich
in den Wellen spiegeln? Ich stand noch lange an meinem Fen¬
ster, nachdem schon alle Domestiken, welche jedem der nächtlichen Ar¬
gonauten nach seinem Zimmer leuchteten, sich zur Ruhe begeben hat¬
ten. Ich konnte nicht schlafen — und die bestimmte Weckstunde
fand an mir denjenigen, der am frühesten aus dein Bette sprang —
Ich bin überzeugt, daß Mancher aus der Gesellschaft, er es
über seine Eigenliebe hätte gewinnen können, sich auslachen zu las¬
sen, den Bedienten, der ihn aus seinem friedlichen Schlummer weckte
gern als seinen Stellvertreter auf den Spaziergang geschalt und den


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[0059] meinen kleinen Koffer abzuholen. Ein allerliebstes kleines Gemach aus dessen Fenstern man eine zauberische Aussicht genießt, wurde Mir angewiesen und ich mußte das entschiedene Versprechen geben> drei Tage zu verweilen. Ich war nicht der einzige Gast. Madame Pasta hatte einen Kreis um sich, der aus den verschiedensten Klassen der Gesellschaft zusammengesetzt war: or^ C., ein berühmter Arzt aus New-Uork und seine beiden Schwestern, Ferdinand Hiller, d^r bekannte Coa ponist aus Frankfurt, Graf Neuperg, dessen Bruder Schwiegersohn des Königs von Würtemberg geworden, und mehrere Mailänbische Damen. Die Familie der Madame Pasta bestand aus ihrem Gat¬ ten, ihrer alten Mutter, ihrer Tochter, ihrem Schwiegersohn und einem allerliebsten Enkelchen. Diese Familie vereinte somit vier Ge¬ lterationen und doch hatte die Mutter der Madame Pasta noch tem einziges weißes Haar. Es wurde an demselben Abende ein Ausflug verabredet, M welchem die ganze Gesellschaft Theil nehmen sollte; es galt die neblige Spitze eines Berges zu besteigen, von welchem aus der Son¬ nenaufgang den wunderbarsten Anblick bietet. Um zur gehörigen Zeit an Ort und Stelle zu sein, mußte man um 1 Uhr nach Mitternacht ausstehen; da fünf bis sechs Damen von der verschiedensten Constitution keinen Anstand nahmen, sich die¬ ser bergstürmenden Caravane anzuschließen, wie hätten die .Herren sich da weigern sollen? Man ging demnach bei Zeiten schlafen, um bei Zeiten wieder zu erwachen. Allein wer könnte um neun Uhr Abends schnarchen, wenn man zum ersten Male am Ufer eines der schönsten Seen der Welt sich befindet? In Mitte einer italienischen Sommernacht, wenn der klarste Mondschein und tausend Sterne sich in den Wellen spiegeln? Ich stand noch lange an meinem Fen¬ ster, nachdem schon alle Domestiken, welche jedem der nächtlichen Ar¬ gonauten nach seinem Zimmer leuchteten, sich zur Ruhe begeben hat¬ ten. Ich konnte nicht schlafen — und die bestimmte Weckstunde fand an mir denjenigen, der am frühesten aus dein Bette sprang — Ich bin überzeugt, daß Mancher aus der Gesellschaft, er es über seine Eigenliebe hätte gewinnen können, sich auslachen zu las¬ sen, den Bedienten, der ihn aus seinem friedlichen Schlummer weckte gern als seinen Stellvertreter auf den Spaziergang geschalt und den 4-«-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/59>, abgerufen am 23.07.2024.