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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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tende Verbesserungen und Umgestaltungen zu bewerkstelligen. Da
sie sich aber überzeugt hatten, daß auf eine allgemeinere Annahme
dieser Vorschläge durchaus nicht zu rechnen sei, da erst vergrößerten
diese kühnen Geister ihren Gesichtskreis und entschlossen sich, die
Welt ganz umzugestalten, damit auch sie ein Plätzchen darin fänden.
Es war dies eine unausweichliche Nothwendigkeit. Da das Me¬
dium ihrer Thätigkeit ein in sich abgeschlossener Organismus war,
so konnten sie, ohne diesen selbst durchgreifend zu verändern, die
theilweisen Reformen, die sie anfangs vorschlugen, nicht unter dessen
Schutz stellen; nicht etwa als ob dieselben unvernünftig oder unnütz
gewesen wären, sondern blos deshalb, weil innerhalb einer Reihe be¬
stehender Thatsachen, die so combinirt waren, daß man an keinem
Detail etwas ändern konnte, ohne ihren ganzen Zusammenhang zu
zerrütten, ihre Ausführung unmöglich war. Wie wollte man z. B.,
um beim nächstliegenden stehen zu bleiben, die Lage der Arbeiter
verbessern und zu einer Erhöhung deS Arbeitslohnes kommen, ohne
das Dasein der Industrie zu untergraben, die aus innern, oben er¬
klärten Nothwendigkeiten, von Tag zu Tag den Tagelohn herabzu¬
setzen sucht? Wie wollte man die möglichst größte Zahl an den
Genüssen deö Besitzes Theil nehmen lassen, ohne den heiligen Rech,
ten deS Bestehenden Abbruch zu thun? Wie wollte man endlich
neben alten Rechten neue begründen, ohne jenen einen Zwang an¬
zuthun? Hierin lag offenbar eine unübersteigbare Schwierigkeit,
und die Neuerer mußten, um ihren Ideen Erfolg zu verschaffen,
dieselben ausdehnen; sie mußten die Nothwendigkeit der bestehenden
Einrichtungen lüugnen, weil sie, physisch oder moralisch, nicht im
Stande gewesen, einen Vergleich mit ihnen zu schließen. Dies ist
und wird stets die nothwendige Schlußfolge aller Versuche sein, die
man gemacht hat oder noch machen wird, um den Zustand der schon
seit langer Zeit constituirten Gesellschaften in wesentlichen Punkten
umzugestalten. Selbst die nüchternsten, phantasielosesten Geister ha¬
ben sich diesen Folgen ihres Beginnens nicht ganz entziehen können
und, wenn sie auch nicht so weit gegangen sind, als ihre Vorläufer,
so sind sie doch auch gleich diesen auf wahre Confiscationen hin¬
ausgekommen, indem sie, die Einen den freien Gebrauch des Besitzes
beschränkten, die Andern in den Seitenlinien die Wirksamkeit des
Erbrechts aufhoben, immer also an den Punkten, wohin sie sich


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tende Verbesserungen und Umgestaltungen zu bewerkstelligen. Da
sie sich aber überzeugt hatten, daß auf eine allgemeinere Annahme
dieser Vorschläge durchaus nicht zu rechnen sei, da erst vergrößerten
diese kühnen Geister ihren Gesichtskreis und entschlossen sich, die
Welt ganz umzugestalten, damit auch sie ein Plätzchen darin fänden.
Es war dies eine unausweichliche Nothwendigkeit. Da das Me¬
dium ihrer Thätigkeit ein in sich abgeschlossener Organismus war,
so konnten sie, ohne diesen selbst durchgreifend zu verändern, die
theilweisen Reformen, die sie anfangs vorschlugen, nicht unter dessen
Schutz stellen; nicht etwa als ob dieselben unvernünftig oder unnütz
gewesen wären, sondern blos deshalb, weil innerhalb einer Reihe be¬
stehender Thatsachen, die so combinirt waren, daß man an keinem
Detail etwas ändern konnte, ohne ihren ganzen Zusammenhang zu
zerrütten, ihre Ausführung unmöglich war. Wie wollte man z. B.,
um beim nächstliegenden stehen zu bleiben, die Lage der Arbeiter
verbessern und zu einer Erhöhung deS Arbeitslohnes kommen, ohne
das Dasein der Industrie zu untergraben, die aus innern, oben er¬
klärten Nothwendigkeiten, von Tag zu Tag den Tagelohn herabzu¬
setzen sucht? Wie wollte man die möglichst größte Zahl an den
Genüssen deö Besitzes Theil nehmen lassen, ohne den heiligen Rech,
ten deS Bestehenden Abbruch zu thun? Wie wollte man endlich
neben alten Rechten neue begründen, ohne jenen einen Zwang an¬
zuthun? Hierin lag offenbar eine unübersteigbare Schwierigkeit,
und die Neuerer mußten, um ihren Ideen Erfolg zu verschaffen,
dieselben ausdehnen; sie mußten die Nothwendigkeit der bestehenden
Einrichtungen lüugnen, weil sie, physisch oder moralisch, nicht im
Stande gewesen, einen Vergleich mit ihnen zu schließen. Dies ist
und wird stets die nothwendige Schlußfolge aller Versuche sein, die
man gemacht hat oder noch machen wird, um den Zustand der schon
seit langer Zeit constituirten Gesellschaften in wesentlichen Punkten
umzugestalten. Selbst die nüchternsten, phantasielosesten Geister ha¬
ben sich diesen Folgen ihres Beginnens nicht ganz entziehen können
und, wenn sie auch nicht so weit gegangen sind, als ihre Vorläufer,
so sind sie doch auch gleich diesen auf wahre Confiscationen hin¬
ausgekommen, indem sie, die Einen den freien Gebrauch des Besitzes
beschränkten, die Andern in den Seitenlinien die Wirksamkeit des
Erbrechts aufhoben, immer also an den Punkten, wohin sie sich


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[0577] tende Verbesserungen und Umgestaltungen zu bewerkstelligen. Da sie sich aber überzeugt hatten, daß auf eine allgemeinere Annahme dieser Vorschläge durchaus nicht zu rechnen sei, da erst vergrößerten diese kühnen Geister ihren Gesichtskreis und entschlossen sich, die Welt ganz umzugestalten, damit auch sie ein Plätzchen darin fänden. Es war dies eine unausweichliche Nothwendigkeit. Da das Me¬ dium ihrer Thätigkeit ein in sich abgeschlossener Organismus war, so konnten sie, ohne diesen selbst durchgreifend zu verändern, die theilweisen Reformen, die sie anfangs vorschlugen, nicht unter dessen Schutz stellen; nicht etwa als ob dieselben unvernünftig oder unnütz gewesen wären, sondern blos deshalb, weil innerhalb einer Reihe be¬ stehender Thatsachen, die so combinirt waren, daß man an keinem Detail etwas ändern konnte, ohne ihren ganzen Zusammenhang zu zerrütten, ihre Ausführung unmöglich war. Wie wollte man z. B., um beim nächstliegenden stehen zu bleiben, die Lage der Arbeiter verbessern und zu einer Erhöhung deS Arbeitslohnes kommen, ohne das Dasein der Industrie zu untergraben, die aus innern, oben er¬ klärten Nothwendigkeiten, von Tag zu Tag den Tagelohn herabzu¬ setzen sucht? Wie wollte man die möglichst größte Zahl an den Genüssen deö Besitzes Theil nehmen lassen, ohne den heiligen Rech, ten deS Bestehenden Abbruch zu thun? Wie wollte man endlich neben alten Rechten neue begründen, ohne jenen einen Zwang an¬ zuthun? Hierin lag offenbar eine unübersteigbare Schwierigkeit, und die Neuerer mußten, um ihren Ideen Erfolg zu verschaffen, dieselben ausdehnen; sie mußten die Nothwendigkeit der bestehenden Einrichtungen lüugnen, weil sie, physisch oder moralisch, nicht im Stande gewesen, einen Vergleich mit ihnen zu schließen. Dies ist und wird stets die nothwendige Schlußfolge aller Versuche sein, die man gemacht hat oder noch machen wird, um den Zustand der schon seit langer Zeit constituirten Gesellschaften in wesentlichen Punkten umzugestalten. Selbst die nüchternsten, phantasielosesten Geister ha¬ ben sich diesen Folgen ihres Beginnens nicht ganz entziehen können und, wenn sie auch nicht so weit gegangen sind, als ihre Vorläufer, so sind sie doch auch gleich diesen auf wahre Confiscationen hin¬ ausgekommen, indem sie, die Einen den freien Gebrauch des Besitzes beschränkten, die Andern in den Seitenlinien die Wirksamkeit des Erbrechts aufhoben, immer also an den Punkten, wohin sie sich 38

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/577>, abgerufen am 23.07.2024.