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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Hütte sich Mickiewicz schon allgemeinen Beifall erworben, die Akade¬
mie fühlte sich glücklich und stolz, einen solchen Mann unter ihre
Mitglieder zu zählen und hoffte ihn mit dauernden Banden an sich
geknüpft zu haben; aber ein weiterer Schauplatz für die Entwickelung
seiner Kräfte harrte des polnischen Sängers. Als Frankreichs Auf¬
ruf ertönte, hielt er es für eine gebieterische Pflicht, dahin zu gehen,
wo er seinem Lande am wirksamsten dienen konnte. Um aber un¬
sern Lesern einen Begriff zu geben, sowohl von dem lebhaften Be¬
dauern, das der Abgang Mickiewicz'S hervorgerufen, als auch
von den charakteristischen und eigenthümlichen Zügen, die ihn von
jedem gewöhnlichen Dutzend-Professor unterscheiden, glauben wir
nicht besser zu thun, als wenn nur dem zu Lausanne erscheinen¬
den Ourivr "Nisse einige Stellen eines Artikels entlehnen, der
von einem seiner College" als Nachruf geschrieben ward.

"Lange Zeit wird in unseren Herzen die Erinnerung leben
an diesen zugleich so ernsten und doch so anziehenden, mit einer so
edlen Einfachheit geschmückten Unterricht; die Erinnerung an diese
veranschaulichende, gewissermaßen inspirirte Kritik, in der die Syn-
thesis. der Analyse voranging oder sie überragte, und in der sich ein
eben so lebendiges als zartes, Gefühl für die Schönheiten der Kunst
zeigte; die Erinnerung an diese Vorträge über lateinische Literatur¬
geschichte, in denen alle andern Literaturen gewissermaßen zusammen¬
kamen auf den Ruf eines Lehrers, der mit allen bekannt, mit meh¬
reren vertraut war; die Erinnerung an seine markige, inhaltreiche
und doch durchsichtig klare Redeweise, an seinen antik-kräftigen, fast
lapidarischen Styl; die Erinnerung endlich an diesen gesunden
Menschenverstand, der so erhaben war, daß man ihn für die
schönste Einbildungskrast gehalten hätte, und an diese so unbefleckte
Phantasie, daß man sie für die edelste Vernunft hätte nehmen
können."

Fügen wir nun diesem Gemälde einige Züge hinzu, die
dem großen Dichter während seiner Vorträge am KoII"^" it" ti'rime"
abgelauscht sind und die unsern deutschen Lesern um so willkommner
sein dürsten, je weniger Gelegenheit sie haben, Mickiewicz selbst ein
Mal zu hören. Wir entlehnen dieselben theils Schilderungen sehr
wohl unterrichteter Personen in Paris, die fleißige Besucher seiner
Vorlesungen sind, theils eigener Anschauung während eines Behn-


Hütte sich Mickiewicz schon allgemeinen Beifall erworben, die Akade¬
mie fühlte sich glücklich und stolz, einen solchen Mann unter ihre
Mitglieder zu zählen und hoffte ihn mit dauernden Banden an sich
geknüpft zu haben; aber ein weiterer Schauplatz für die Entwickelung
seiner Kräfte harrte des polnischen Sängers. Als Frankreichs Auf¬
ruf ertönte, hielt er es für eine gebieterische Pflicht, dahin zu gehen,
wo er seinem Lande am wirksamsten dienen konnte. Um aber un¬
sern Lesern einen Begriff zu geben, sowohl von dem lebhaften Be¬
dauern, das der Abgang Mickiewicz'S hervorgerufen, als auch
von den charakteristischen und eigenthümlichen Zügen, die ihn von
jedem gewöhnlichen Dutzend-Professor unterscheiden, glauben wir
nicht besser zu thun, als wenn nur dem zu Lausanne erscheinen¬
den Ourivr «Nisse einige Stellen eines Artikels entlehnen, der
von einem seiner College» als Nachruf geschrieben ward.

„Lange Zeit wird in unseren Herzen die Erinnerung leben
an diesen zugleich so ernsten und doch so anziehenden, mit einer so
edlen Einfachheit geschmückten Unterricht; die Erinnerung an diese
veranschaulichende, gewissermaßen inspirirte Kritik, in der die Syn-
thesis. der Analyse voranging oder sie überragte, und in der sich ein
eben so lebendiges als zartes, Gefühl für die Schönheiten der Kunst
zeigte; die Erinnerung an diese Vorträge über lateinische Literatur¬
geschichte, in denen alle andern Literaturen gewissermaßen zusammen¬
kamen auf den Ruf eines Lehrers, der mit allen bekannt, mit meh¬
reren vertraut war; die Erinnerung an seine markige, inhaltreiche
und doch durchsichtig klare Redeweise, an seinen antik-kräftigen, fast
lapidarischen Styl; die Erinnerung endlich an diesen gesunden
Menschenverstand, der so erhaben war, daß man ihn für die
schönste Einbildungskrast gehalten hätte, und an diese so unbefleckte
Phantasie, daß man sie für die edelste Vernunft hätte nehmen
können."

Fügen wir nun diesem Gemälde einige Züge hinzu, die
dem großen Dichter während seiner Vorträge am KoII«^« it« ti'rime»
abgelauscht sind und die unsern deutschen Lesern um so willkommner
sein dürsten, je weniger Gelegenheit sie haben, Mickiewicz selbst ein
Mal zu hören. Wir entlehnen dieselben theils Schilderungen sehr
wohl unterrichteter Personen in Paris, die fleißige Besucher seiner
Vorlesungen sind, theils eigener Anschauung während eines Behn-


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[0565] Hütte sich Mickiewicz schon allgemeinen Beifall erworben, die Akade¬ mie fühlte sich glücklich und stolz, einen solchen Mann unter ihre Mitglieder zu zählen und hoffte ihn mit dauernden Banden an sich geknüpft zu haben; aber ein weiterer Schauplatz für die Entwickelung seiner Kräfte harrte des polnischen Sängers. Als Frankreichs Auf¬ ruf ertönte, hielt er es für eine gebieterische Pflicht, dahin zu gehen, wo er seinem Lande am wirksamsten dienen konnte. Um aber un¬ sern Lesern einen Begriff zu geben, sowohl von dem lebhaften Be¬ dauern, das der Abgang Mickiewicz'S hervorgerufen, als auch von den charakteristischen und eigenthümlichen Zügen, die ihn von jedem gewöhnlichen Dutzend-Professor unterscheiden, glauben wir nicht besser zu thun, als wenn nur dem zu Lausanne erscheinen¬ den Ourivr «Nisse einige Stellen eines Artikels entlehnen, der von einem seiner College» als Nachruf geschrieben ward. „Lange Zeit wird in unseren Herzen die Erinnerung leben an diesen zugleich so ernsten und doch so anziehenden, mit einer so edlen Einfachheit geschmückten Unterricht; die Erinnerung an diese veranschaulichende, gewissermaßen inspirirte Kritik, in der die Syn- thesis. der Analyse voranging oder sie überragte, und in der sich ein eben so lebendiges als zartes, Gefühl für die Schönheiten der Kunst zeigte; die Erinnerung an diese Vorträge über lateinische Literatur¬ geschichte, in denen alle andern Literaturen gewissermaßen zusammen¬ kamen auf den Ruf eines Lehrers, der mit allen bekannt, mit meh¬ reren vertraut war; die Erinnerung an seine markige, inhaltreiche und doch durchsichtig klare Redeweise, an seinen antik-kräftigen, fast lapidarischen Styl; die Erinnerung endlich an diesen gesunden Menschenverstand, der so erhaben war, daß man ihn für die schönste Einbildungskrast gehalten hätte, und an diese so unbefleckte Phantasie, daß man sie für die edelste Vernunft hätte nehmen können." Fügen wir nun diesem Gemälde einige Züge hinzu, die dem großen Dichter während seiner Vorträge am KoII«^« it« ti'rime» abgelauscht sind und die unsern deutschen Lesern um so willkommner sein dürsten, je weniger Gelegenheit sie haben, Mickiewicz selbst ein Mal zu hören. Wir entlehnen dieselben theils Schilderungen sehr wohl unterrichteter Personen in Paris, die fleißige Besucher seiner Vorlesungen sind, theils eigener Anschauung während eines Behn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/565>, abgerufen am 23.07.2024.