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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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literarischen vor sich gegangen. Chateaubriand und die Frau von
Stavl hatten theils selbständig neue Bahnen eingeschlagen, theils
ihre bisher in sich abgeschlossenen Landsleute mit fremden Literatu¬
ren und neuen revolutionairen Ansichten und Ideen von der Kunst
bekannt gemacht und somit der jungen romantischen Schule den
Weg geebnet. Kurz überall vom fernen Süden, wo Manzoni auf¬
tauchte, bis in den hohen Norden hinauf herrschte eine arbeitsame
geistige Thätigkeit. Wort und Gedanke, die lange Zeit vom Rol¬
len des Kanonendonners übertäubt worden waren, hatten ihre
Rechte wieder gefordert und die Feder herrschte jetzt anstatt des
Schwertes und über dasselbe-

All diesen tönenden Bestrebungen und widerhallenden Ideen
null lieh der junge Wilnacr Student ein eben so aufmerksames als
gieriges Ohr. Ein neuer literarischer Horizont hatte sich vor sei¬
nen Augen erschlossen. Aber damit er mit aller Gluth seiner Ju-
gendkraft in die offene Rennbahn trete, bedürfte es erst einer lebens¬
warmen, sein unentweihtes Herz tief innig aufregenden Leidenschaft,
welche die poetische Saite in seinem Herzen zum Tönen bringen
sollte. Diese Leidenschaft, die mit ihrem Geleite von Freuden und
Schmerzen der Ausgangspunkt der meisten großen Dichter geworden,
fehlte auch ihm nicht. Maria W . . ., die Schwester eines seiner
Studiengenossen, war die Dame der ersten Liebe unsres Dich¬
ters, der es eben erst durch sie ward. Denn ungleiche Vermögens-
umstände verhinderten, daß aus dem Bunde der Herzen eine dau¬
ernde Vereinigung hervorging und der tiefe Schmerz, der Mickie-
wicz's ganzes Wesen und Sein durchdrang, machte aus ihm, wie
aus Dante und Petrarca und andern, einen von seiner eigenen, dü¬
stern Melancholie begeisterten Sänger. Zu den Qualen dieser Liebe
kam auch noch der Schmerz über die Unterdrückung seines Vater¬
landes und diese beiden Leiden vereint wurden für ihn eine ideale,
von seinem ganzen Denken Besitz nehmende Welt.

Wenn man sieht, mit welcher glühenden Liebe und Verehrung
ein jeder einzelne Pole an seinem Vaterlande hängt, so ist es eine
wahre Folter für den Geist, wenn er die Geschichte dieser eben so herr¬
lichen, als unglücklichen Nation begreifen will. Wie soll man auch
in der That es nur für möglich halten, daß ein gewöhnlich in
unzählige Parteien zerstückeltes Volk, das mehrere Male, gerade


literarischen vor sich gegangen. Chateaubriand und die Frau von
Stavl hatten theils selbständig neue Bahnen eingeschlagen, theils
ihre bisher in sich abgeschlossenen Landsleute mit fremden Literatu¬
ren und neuen revolutionairen Ansichten und Ideen von der Kunst
bekannt gemacht und somit der jungen romantischen Schule den
Weg geebnet. Kurz überall vom fernen Süden, wo Manzoni auf¬
tauchte, bis in den hohen Norden hinauf herrschte eine arbeitsame
geistige Thätigkeit. Wort und Gedanke, die lange Zeit vom Rol¬
len des Kanonendonners übertäubt worden waren, hatten ihre
Rechte wieder gefordert und die Feder herrschte jetzt anstatt des
Schwertes und über dasselbe-

All diesen tönenden Bestrebungen und widerhallenden Ideen
null lieh der junge Wilnacr Student ein eben so aufmerksames als
gieriges Ohr. Ein neuer literarischer Horizont hatte sich vor sei¬
nen Augen erschlossen. Aber damit er mit aller Gluth seiner Ju-
gendkraft in die offene Rennbahn trete, bedürfte es erst einer lebens¬
warmen, sein unentweihtes Herz tief innig aufregenden Leidenschaft,
welche die poetische Saite in seinem Herzen zum Tönen bringen
sollte. Diese Leidenschaft, die mit ihrem Geleite von Freuden und
Schmerzen der Ausgangspunkt der meisten großen Dichter geworden,
fehlte auch ihm nicht. Maria W . . ., die Schwester eines seiner
Studiengenossen, war die Dame der ersten Liebe unsres Dich¬
ters, der es eben erst durch sie ward. Denn ungleiche Vermögens-
umstände verhinderten, daß aus dem Bunde der Herzen eine dau¬
ernde Vereinigung hervorging und der tiefe Schmerz, der Mickie-
wicz's ganzes Wesen und Sein durchdrang, machte aus ihm, wie
aus Dante und Petrarca und andern, einen von seiner eigenen, dü¬
stern Melancholie begeisterten Sänger. Zu den Qualen dieser Liebe
kam auch noch der Schmerz über die Unterdrückung seines Vater¬
landes und diese beiden Leiden vereint wurden für ihn eine ideale,
von seinem ganzen Denken Besitz nehmende Welt.

Wenn man sieht, mit welcher glühenden Liebe und Verehrung
ein jeder einzelne Pole an seinem Vaterlande hängt, so ist es eine
wahre Folter für den Geist, wenn er die Geschichte dieser eben so herr¬
lichen, als unglücklichen Nation begreifen will. Wie soll man auch
in der That es nur für möglich halten, daß ein gewöhnlich in
unzählige Parteien zerstückeltes Volk, das mehrere Male, gerade


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[0553] literarischen vor sich gegangen. Chateaubriand und die Frau von Stavl hatten theils selbständig neue Bahnen eingeschlagen, theils ihre bisher in sich abgeschlossenen Landsleute mit fremden Literatu¬ ren und neuen revolutionairen Ansichten und Ideen von der Kunst bekannt gemacht und somit der jungen romantischen Schule den Weg geebnet. Kurz überall vom fernen Süden, wo Manzoni auf¬ tauchte, bis in den hohen Norden hinauf herrschte eine arbeitsame geistige Thätigkeit. Wort und Gedanke, die lange Zeit vom Rol¬ len des Kanonendonners übertäubt worden waren, hatten ihre Rechte wieder gefordert und die Feder herrschte jetzt anstatt des Schwertes und über dasselbe- All diesen tönenden Bestrebungen und widerhallenden Ideen null lieh der junge Wilnacr Student ein eben so aufmerksames als gieriges Ohr. Ein neuer literarischer Horizont hatte sich vor sei¬ nen Augen erschlossen. Aber damit er mit aller Gluth seiner Ju- gendkraft in die offene Rennbahn trete, bedürfte es erst einer lebens¬ warmen, sein unentweihtes Herz tief innig aufregenden Leidenschaft, welche die poetische Saite in seinem Herzen zum Tönen bringen sollte. Diese Leidenschaft, die mit ihrem Geleite von Freuden und Schmerzen der Ausgangspunkt der meisten großen Dichter geworden, fehlte auch ihm nicht. Maria W . . ., die Schwester eines seiner Studiengenossen, war die Dame der ersten Liebe unsres Dich¬ ters, der es eben erst durch sie ward. Denn ungleiche Vermögens- umstände verhinderten, daß aus dem Bunde der Herzen eine dau¬ ernde Vereinigung hervorging und der tiefe Schmerz, der Mickie- wicz's ganzes Wesen und Sein durchdrang, machte aus ihm, wie aus Dante und Petrarca und andern, einen von seiner eigenen, dü¬ stern Melancholie begeisterten Sänger. Zu den Qualen dieser Liebe kam auch noch der Schmerz über die Unterdrückung seines Vater¬ landes und diese beiden Leiden vereint wurden für ihn eine ideale, von seinem ganzen Denken Besitz nehmende Welt. Wenn man sieht, mit welcher glühenden Liebe und Verehrung ein jeder einzelne Pole an seinem Vaterlande hängt, so ist es eine wahre Folter für den Geist, wenn er die Geschichte dieser eben so herr¬ lichen, als unglücklichen Nation begreifen will. Wie soll man auch in der That es nur für möglich halten, daß ein gewöhnlich in unzählige Parteien zerstückeltes Volk, das mehrere Male, gerade

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/553>, abgerufen am 23.07.2024.