Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

des Verstandes und eines aufgeklärten Patriotismus gewürdigt und
lewundert.

Oft kam er aus den Conferenzen völlig entmuthigt in sein
HiUel zurück. Noch am Morgen deS 31. März, am Tage, wo
jener bedeutungsvolle Act unterzeichnet werden sollte, zweifelte er am
Erfolge. Und doch war Alles bereit. Im Augenblick, wo er in den
Wagen stieg, um sich zu Metternich zu begeben, bezeugte seine Um¬
gebung eine leicht begreifliche Unruhe.

"Erwarten Sie mich," sagte er. "Um Ihrer Ungeduld auch
nicht eine augenblickliche Pein zu verursachen, lauern Sie an den
Fenstern des Hotels auf meine Rückkehr. Wenn ich den Sieg da¬
von getragen habe, so werde ich Ihnen zum Kutschcnschlage heraus
den Tractat zeigen, von dem das Loos Europas und Frankreichs
abhängen wird."

Wenige Stunden hernach steckte er die Rolle zum Wagenfenster
heraus, welche den Frieden enthielt, der wieder zum Schiedsrichter
des Krieges geworden. Einen Augenblick zuvor noch schien diese
so mühsam errungene Beistimmung wieder im Begriffe zu zerfallen,
als man nämlich die Flucht vom 20. März erfuhr und daß Napoleon
in die Tuilerien eingezogen sei, ohne daß er einen Schwertschlag
zu thun gebraucht. Besonders konnte Kaiser Alexander nicht be¬
greifen, daß die Familie der Bourbonen auch nicht den geringsten
Widerstand versucht und daß nicht ein Vertheidiger sich sür sie erho¬
ben habe.

Ich begegnete an demselben Morgen dem General Uwaroff:

"Der Kaiser," sagte er mir, "kann aus dem Erstaunen noch
gar nicht herauskommen; er ist deS Krieges müde und er hat erst
heule mehr als zwanzig Mal zu mir gesagt: Nein, nein, ich werde
mein Schwert nicht mehr für sie ziehen."'

Es bedürfte nun von Seiten Talleyrandö neuer Wunder von
Äeduld und Geschicklichkeit, um den Bund wieder zusammenzuknüpfen
und all diese auseinanderstrebenden Willenömcinungen nach einem
Ziele hinzurichten.

----Die Massen bemerkten mit Entsetzen, wie der Hori¬
zont sich von Neuem mit drohenden Wolken belaste, die Ehrgeizigen
aber sahen mit Freude, daß die gute Zeit für ihren Ruhm zurück¬
kehre; denn, man kann es nicht läugnen, die Intrigue, die schon


des Verstandes und eines aufgeklärten Patriotismus gewürdigt und
lewundert.

Oft kam er aus den Conferenzen völlig entmuthigt in sein
HiUel zurück. Noch am Morgen deS 31. März, am Tage, wo
jener bedeutungsvolle Act unterzeichnet werden sollte, zweifelte er am
Erfolge. Und doch war Alles bereit. Im Augenblick, wo er in den
Wagen stieg, um sich zu Metternich zu begeben, bezeugte seine Um¬
gebung eine leicht begreifliche Unruhe.

„Erwarten Sie mich," sagte er. „Um Ihrer Ungeduld auch
nicht eine augenblickliche Pein zu verursachen, lauern Sie an den
Fenstern des Hotels auf meine Rückkehr. Wenn ich den Sieg da¬
von getragen habe, so werde ich Ihnen zum Kutschcnschlage heraus
den Tractat zeigen, von dem das Loos Europas und Frankreichs
abhängen wird."

Wenige Stunden hernach steckte er die Rolle zum Wagenfenster
heraus, welche den Frieden enthielt, der wieder zum Schiedsrichter
des Krieges geworden. Einen Augenblick zuvor noch schien diese
so mühsam errungene Beistimmung wieder im Begriffe zu zerfallen,
als man nämlich die Flucht vom 20. März erfuhr und daß Napoleon
in die Tuilerien eingezogen sei, ohne daß er einen Schwertschlag
zu thun gebraucht. Besonders konnte Kaiser Alexander nicht be¬
greifen, daß die Familie der Bourbonen auch nicht den geringsten
Widerstand versucht und daß nicht ein Vertheidiger sich sür sie erho¬
ben habe.

Ich begegnete an demselben Morgen dem General Uwaroff:

„Der Kaiser," sagte er mir, „kann aus dem Erstaunen noch
gar nicht herauskommen; er ist deS Krieges müde und er hat erst
heule mehr als zwanzig Mal zu mir gesagt: Nein, nein, ich werde
mein Schwert nicht mehr für sie ziehen."'

Es bedürfte nun von Seiten Talleyrandö neuer Wunder von
Äeduld und Geschicklichkeit, um den Bund wieder zusammenzuknüpfen
und all diese auseinanderstrebenden Willenömcinungen nach einem
Ziele hinzurichten.

----Die Massen bemerkten mit Entsetzen, wie der Hori¬
zont sich von Neuem mit drohenden Wolken belaste, die Ehrgeizigen
aber sahen mit Freude, daß die gute Zeit für ihren Ruhm zurück¬
kehre; denn, man kann es nicht läugnen, die Intrigue, die schon


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267144"/>
          <p xml:id="ID_1463" prev="#ID_1462"> des Verstandes und eines aufgeklärten Patriotismus gewürdigt und<lb/>
lewundert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1464"> Oft kam er aus den Conferenzen völlig entmuthigt in sein<lb/>
HiUel zurück. Noch am Morgen deS 31. März, am Tage, wo<lb/>
jener bedeutungsvolle Act unterzeichnet werden sollte, zweifelte er am<lb/>
Erfolge. Und doch war Alles bereit. Im Augenblick, wo er in den<lb/>
Wagen stieg, um sich zu Metternich zu begeben, bezeugte seine Um¬<lb/>
gebung eine leicht begreifliche Unruhe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1465"> &#x201E;Erwarten Sie mich," sagte er. &#x201E;Um Ihrer Ungeduld auch<lb/>
nicht eine augenblickliche Pein zu verursachen, lauern Sie an den<lb/>
Fenstern des Hotels auf meine Rückkehr. Wenn ich den Sieg da¬<lb/>
von getragen habe, so werde ich Ihnen zum Kutschcnschlage heraus<lb/>
den Tractat zeigen, von dem das Loos Europas und Frankreichs<lb/>
abhängen wird."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1466"> Wenige Stunden hernach steckte er die Rolle zum Wagenfenster<lb/>
heraus, welche den Frieden enthielt, der wieder zum Schiedsrichter<lb/>
des Krieges geworden. Einen Augenblick zuvor noch schien diese<lb/>
so mühsam errungene Beistimmung wieder im Begriffe zu zerfallen,<lb/>
als man nämlich die Flucht vom 20. März erfuhr und daß Napoleon<lb/>
in die Tuilerien eingezogen sei, ohne daß er einen Schwertschlag<lb/>
zu thun gebraucht. Besonders konnte Kaiser Alexander nicht be¬<lb/>
greifen, daß die Familie der Bourbonen auch nicht den geringsten<lb/>
Widerstand versucht und daß nicht ein Vertheidiger sich sür sie erho¬<lb/>
ben habe.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1467"> Ich begegnete an demselben Morgen dem General Uwaroff:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1468"> &#x201E;Der Kaiser," sagte er mir, &#x201E;kann aus dem Erstaunen noch<lb/>
gar nicht herauskommen; er ist deS Krieges müde und er hat erst<lb/>
heule mehr als zwanzig Mal zu mir gesagt: Nein, nein, ich werde<lb/>
mein Schwert nicht mehr für sie ziehen."'</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1469"> Es bedürfte nun von Seiten Talleyrandö neuer Wunder von<lb/>
Äeduld und Geschicklichkeit, um den Bund wieder zusammenzuknüpfen<lb/>
und all diese auseinanderstrebenden Willenömcinungen nach einem<lb/>
Ziele hinzurichten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1470" next="#ID_1471"> ----Die Massen bemerkten mit Entsetzen, wie der Hori¬<lb/>
zont sich von Neuem mit drohenden Wolken belaste, die Ehrgeizigen<lb/>
aber sahen mit Freude, daß die gute Zeit für ihren Ruhm zurück¬<lb/>
kehre; denn, man kann es nicht läugnen, die Intrigue, die schon</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] des Verstandes und eines aufgeklärten Patriotismus gewürdigt und lewundert. Oft kam er aus den Conferenzen völlig entmuthigt in sein HiUel zurück. Noch am Morgen deS 31. März, am Tage, wo jener bedeutungsvolle Act unterzeichnet werden sollte, zweifelte er am Erfolge. Und doch war Alles bereit. Im Augenblick, wo er in den Wagen stieg, um sich zu Metternich zu begeben, bezeugte seine Um¬ gebung eine leicht begreifliche Unruhe. „Erwarten Sie mich," sagte er. „Um Ihrer Ungeduld auch nicht eine augenblickliche Pein zu verursachen, lauern Sie an den Fenstern des Hotels auf meine Rückkehr. Wenn ich den Sieg da¬ von getragen habe, so werde ich Ihnen zum Kutschcnschlage heraus den Tractat zeigen, von dem das Loos Europas und Frankreichs abhängen wird." Wenige Stunden hernach steckte er die Rolle zum Wagenfenster heraus, welche den Frieden enthielt, der wieder zum Schiedsrichter des Krieges geworden. Einen Augenblick zuvor noch schien diese so mühsam errungene Beistimmung wieder im Begriffe zu zerfallen, als man nämlich die Flucht vom 20. März erfuhr und daß Napoleon in die Tuilerien eingezogen sei, ohne daß er einen Schwertschlag zu thun gebraucht. Besonders konnte Kaiser Alexander nicht be¬ greifen, daß die Familie der Bourbonen auch nicht den geringsten Widerstand versucht und daß nicht ein Vertheidiger sich sür sie erho¬ ben habe. Ich begegnete an demselben Morgen dem General Uwaroff: „Der Kaiser," sagte er mir, „kann aus dem Erstaunen noch gar nicht herauskommen; er ist deS Krieges müde und er hat erst heule mehr als zwanzig Mal zu mir gesagt: Nein, nein, ich werde mein Schwert nicht mehr für sie ziehen."' Es bedürfte nun von Seiten Talleyrandö neuer Wunder von Äeduld und Geschicklichkeit, um den Bund wieder zusammenzuknüpfen und all diese auseinanderstrebenden Willenömcinungen nach einem Ziele hinzurichten. ----Die Massen bemerkten mit Entsetzen, wie der Hori¬ zont sich von Neuem mit drohenden Wolken belaste, die Ehrgeizigen aber sahen mit Freude, daß die gute Zeit für ihren Ruhm zurück¬ kehre; denn, man kann es nicht läugnen, die Intrigue, die schon

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/527>, abgerufen am 01.07.2024.