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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Friedens betrachtete. Auch erschrack man über die Rückkehr der revo-
lutionairen Ideen, deren Fiebertaumel Europa erschüttert hatte. Der
Kaiser von Oesterreich hatte sich an den Czar gewandt und zu
hin gesagt:

"Sehen Ew. Majestät nun, was davon herauskommt, daß Si.'
Ihre Pariser Jacobiner beschützt haben?"

"Es ist wahr," hatte Alexander geantwortet; "um aber mein
Unrecht wieder gut zu machen, stelle ich meine Person und meine
Armee ganz und gar Ew. Majestät zu Befehl."

So sollte also der Streit entbrennen zwischen Frankreich auf
der einen und ganz Europa auf der andern Seite, ein Kampf auf
Tod und Leben, der nur mit dem Leben eines der beiden Kämpfer
enden konnte. Auch das Wort Theilung hörte ich aussprechen
und Polens Beispiel war ja da, um zu zeigen, daß eine Nation
aus dem europäischen Familienverbande gestrichen werden könne.

Fürst Tallevrand stellte dagegen als Grundsatz auf, daß 181!"
wie ein Jahr vorher Europa nur mit Napoleon, nicht aber mit
Frankreich Krieg führen könne. Er manoeuvrirte mit so viel Geschick-
lichkeit oder mit so großem Glück, daß er über alle Hindernisse
triumphirte, die Gesinnungen derer, die gegen Frankreich feindlich
gesinnt waren, gänzlich umwandelte, und die feierliche Anerkennung
des von ihm aufgestellten Grundsatzes erwirkte. Zwanzig Mal wohl
war der Congreß im Begriffe, auseinander zu gehen und Nichts zu
entscheiden, als einen blinden Krieg; zwanzig Mal brachte er diese
untereinander so abweichenden Meinungen wieder zur Einigkeit zu¬
rück. Ich weiß, daß gewisse unumschränkte, starre Geister diese
Wendungen der Klugheit nicht anerkennen wollen; besser, hat man
gesagt, wäre eine Kriegserklärung, eine Drohung völliger Ver¬
nichtung für Frankreich gewesen. Das Land hätte in seiner Ver¬
zweiflung eine übernatürliche Kraft gefunden; es würde mit Ruhm
entweder im Kampfe unterlegen sein oder triumphirt haben.

Tallevrand aber besaß eine allzu hohe Mäßigung der Gesin¬
nung, er würdigte die Hilfsmittel des geschwächten Frankreich allzu
richtig, als daß er zu diesem äußersten gewaltsamen Entschlüsse
hätte seinen Rath geben können. Er sah, Europa habe sich erhoben:
er lenkte es gegen einen Mann, anstatt gegen ein Volk. Und hierin
that er wohl. Sein Benehmen wurde in Wien als der Triumph


Friedens betrachtete. Auch erschrack man über die Rückkehr der revo-
lutionairen Ideen, deren Fiebertaumel Europa erschüttert hatte. Der
Kaiser von Oesterreich hatte sich an den Czar gewandt und zu
hin gesagt:

„Sehen Ew. Majestät nun, was davon herauskommt, daß Si.'
Ihre Pariser Jacobiner beschützt haben?"

„Es ist wahr," hatte Alexander geantwortet; „um aber mein
Unrecht wieder gut zu machen, stelle ich meine Person und meine
Armee ganz und gar Ew. Majestät zu Befehl."

So sollte also der Streit entbrennen zwischen Frankreich auf
der einen und ganz Europa auf der andern Seite, ein Kampf auf
Tod und Leben, der nur mit dem Leben eines der beiden Kämpfer
enden konnte. Auch das Wort Theilung hörte ich aussprechen
und Polens Beispiel war ja da, um zu zeigen, daß eine Nation
aus dem europäischen Familienverbande gestrichen werden könne.

Fürst Tallevrand stellte dagegen als Grundsatz auf, daß 181!»
wie ein Jahr vorher Europa nur mit Napoleon, nicht aber mit
Frankreich Krieg führen könne. Er manoeuvrirte mit so viel Geschick-
lichkeit oder mit so großem Glück, daß er über alle Hindernisse
triumphirte, die Gesinnungen derer, die gegen Frankreich feindlich
gesinnt waren, gänzlich umwandelte, und die feierliche Anerkennung
des von ihm aufgestellten Grundsatzes erwirkte. Zwanzig Mal wohl
war der Congreß im Begriffe, auseinander zu gehen und Nichts zu
entscheiden, als einen blinden Krieg; zwanzig Mal brachte er diese
untereinander so abweichenden Meinungen wieder zur Einigkeit zu¬
rück. Ich weiß, daß gewisse unumschränkte, starre Geister diese
Wendungen der Klugheit nicht anerkennen wollen; besser, hat man
gesagt, wäre eine Kriegserklärung, eine Drohung völliger Ver¬
nichtung für Frankreich gewesen. Das Land hätte in seiner Ver¬
zweiflung eine übernatürliche Kraft gefunden; es würde mit Ruhm
entweder im Kampfe unterlegen sein oder triumphirt haben.

Tallevrand aber besaß eine allzu hohe Mäßigung der Gesin¬
nung, er würdigte die Hilfsmittel des geschwächten Frankreich allzu
richtig, als daß er zu diesem äußersten gewaltsamen Entschlüsse
hätte seinen Rath geben können. Er sah, Europa habe sich erhoben:
er lenkte es gegen einen Mann, anstatt gegen ein Volk. Und hierin
that er wohl. Sein Benehmen wurde in Wien als der Triumph


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[0526] Friedens betrachtete. Auch erschrack man über die Rückkehr der revo- lutionairen Ideen, deren Fiebertaumel Europa erschüttert hatte. Der Kaiser von Oesterreich hatte sich an den Czar gewandt und zu hin gesagt: „Sehen Ew. Majestät nun, was davon herauskommt, daß Si.' Ihre Pariser Jacobiner beschützt haben?" „Es ist wahr," hatte Alexander geantwortet; „um aber mein Unrecht wieder gut zu machen, stelle ich meine Person und meine Armee ganz und gar Ew. Majestät zu Befehl." So sollte also der Streit entbrennen zwischen Frankreich auf der einen und ganz Europa auf der andern Seite, ein Kampf auf Tod und Leben, der nur mit dem Leben eines der beiden Kämpfer enden konnte. Auch das Wort Theilung hörte ich aussprechen und Polens Beispiel war ja da, um zu zeigen, daß eine Nation aus dem europäischen Familienverbande gestrichen werden könne. Fürst Tallevrand stellte dagegen als Grundsatz auf, daß 181!» wie ein Jahr vorher Europa nur mit Napoleon, nicht aber mit Frankreich Krieg führen könne. Er manoeuvrirte mit so viel Geschick- lichkeit oder mit so großem Glück, daß er über alle Hindernisse triumphirte, die Gesinnungen derer, die gegen Frankreich feindlich gesinnt waren, gänzlich umwandelte, und die feierliche Anerkennung des von ihm aufgestellten Grundsatzes erwirkte. Zwanzig Mal wohl war der Congreß im Begriffe, auseinander zu gehen und Nichts zu entscheiden, als einen blinden Krieg; zwanzig Mal brachte er diese untereinander so abweichenden Meinungen wieder zur Einigkeit zu¬ rück. Ich weiß, daß gewisse unumschränkte, starre Geister diese Wendungen der Klugheit nicht anerkennen wollen; besser, hat man gesagt, wäre eine Kriegserklärung, eine Drohung völliger Ver¬ nichtung für Frankreich gewesen. Das Land hätte in seiner Ver¬ zweiflung eine übernatürliche Kraft gefunden; es würde mit Ruhm entweder im Kampfe unterlegen sein oder triumphirt haben. Tallevrand aber besaß eine allzu hohe Mäßigung der Gesin¬ nung, er würdigte die Hilfsmittel des geschwächten Frankreich allzu richtig, als daß er zu diesem äußersten gewaltsamen Entschlüsse hätte seinen Rath geben können. Er sah, Europa habe sich erhoben: er lenkte es gegen einen Mann, anstatt gegen ein Volk. Und hierin that er wohl. Sein Benehmen wurde in Wien als der Triumph

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/526>, abgerufen am 01.10.2024.