Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.Ich muß gestehen, daß ich ganz melancholisch durch diese heil¬ Von Herrn v. Maltzahn'S pietistischer Saalbaderei gehe ich über Ich muß gestehen, daß ich ganz melancholisch durch diese heil¬ Von Herrn v. Maltzahn'S pietistischer Saalbaderei gehe ich über <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267133"/> <p xml:id="ID_1407"> Ich muß gestehen, daß ich ganz melancholisch durch diese heil¬<lb/> losen „Beziehungen" geworden bin; ich werde sie also nicht<lb/> weiter lesen. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1408"> Von Herrn v. Maltzahn'S pietistischer Saalbaderei gehe ich über<lb/> zu dem hiesigen Treiben seiner in mancher Hinsicht Sinnesverwandten,'<lb/> den unausstehlichen Frömmlern, deren es hier, wie in Mecklenburg<lb/> überhaupt, eine Unzahl giebt. Sie nennen sich nach Niemanden,<lb/> und thun auch wohl daran; so weiß man sie nicht zu nennen. Sie<lb/> sind nicht Antonisten, noch Stephanisten, noch andre sekttrerische Nar¬<lb/> ren unter selbsterwählter Firma, bezwecken keine Weiber- noch über¬<lb/> haupt Gütergemeinschaft, wofür sie viel zu große Egoisten sind, und<lb/> hegen auch sonst keine philanthropische, vielMniger noch, demagogische<lb/> Idee — aber verrückt sind sie, das wage ich fest zu behaupten;<lb/> denn welcher vernünftige Mensch würde wohl auf die Idee kommen,<lb/> durch solche Narrenpossen einen Fingerbreit mehr vom Himmel zu<lb/> erobern, als der gerade denkende AlltagSmensch?—Sie sehen, ihren<lb/> bauöbäckigen Mitmecklenburgern gegenüber, so fromm, so bleich und<lb/> so elend aus; man kann's ihnen ansehen, der Herr,hat kein Wohl¬<lb/> fallen an ihnen. Und nun gar die große Zahl der, häufig auch<lb/> jungen Damen, welche diesem Mysticismus huldigen. Wenn'S ihnen<lb/> noch auf der Stirn geschrieben stände, welchem Fetischismus sie<lb/> dienen, daß man ihnen mit ihren Hirten aus dem Wege gehen,<lb/> oder ausrufen könnte: nie ni^er estl — so aber fallen oft ganz<lb/> unschuldige Menschen in einen nicht geahnten Hinterhalt. So habe<lb/> ich mich gestern dazu hergeben müssen, mir zwölf lange Seiten aus<lb/> „Thirza, oder die Anziehungskraft des Kreuzes" und<lb/> fast die ganzen „sieben Hauptsünden" von einer Dame vorlesen<lb/> zu lassen — die Konvenieuz wollte es so — ich habe aber uur<lb/> zwei von ihnen gehört, die Erste und die Letzte, nämlich bevor ich<lb/> einschlief, und nachdem ich wieder erwacht war. Dafür werde ich<lb/> nun wohl nicht in den Himmel kommen. Wenn ich später einmal<lb/> eben so fromm werde wie diese braven Menschen, will ich auch<lb/> Alles wieder abbettelt ; indeß hat das keine große Eile. — Adieu. —</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
Ich muß gestehen, daß ich ganz melancholisch durch diese heil¬
losen „Beziehungen" geworden bin; ich werde sie also nicht
weiter lesen. —
Von Herrn v. Maltzahn'S pietistischer Saalbaderei gehe ich über
zu dem hiesigen Treiben seiner in mancher Hinsicht Sinnesverwandten,'
den unausstehlichen Frömmlern, deren es hier, wie in Mecklenburg
überhaupt, eine Unzahl giebt. Sie nennen sich nach Niemanden,
und thun auch wohl daran; so weiß man sie nicht zu nennen. Sie
sind nicht Antonisten, noch Stephanisten, noch andre sekttrerische Nar¬
ren unter selbsterwählter Firma, bezwecken keine Weiber- noch über¬
haupt Gütergemeinschaft, wofür sie viel zu große Egoisten sind, und
hegen auch sonst keine philanthropische, vielMniger noch, demagogische
Idee — aber verrückt sind sie, das wage ich fest zu behaupten;
denn welcher vernünftige Mensch würde wohl auf die Idee kommen,
durch solche Narrenpossen einen Fingerbreit mehr vom Himmel zu
erobern, als der gerade denkende AlltagSmensch?—Sie sehen, ihren
bauöbäckigen Mitmecklenburgern gegenüber, so fromm, so bleich und
so elend aus; man kann's ihnen ansehen, der Herr,hat kein Wohl¬
fallen an ihnen. Und nun gar die große Zahl der, häufig auch
jungen Damen, welche diesem Mysticismus huldigen. Wenn'S ihnen
noch auf der Stirn geschrieben stände, welchem Fetischismus sie
dienen, daß man ihnen mit ihren Hirten aus dem Wege gehen,
oder ausrufen könnte: nie ni^er estl — so aber fallen oft ganz
unschuldige Menschen in einen nicht geahnten Hinterhalt. So habe
ich mich gestern dazu hergeben müssen, mir zwölf lange Seiten aus
„Thirza, oder die Anziehungskraft des Kreuzes" und
fast die ganzen „sieben Hauptsünden" von einer Dame vorlesen
zu lassen — die Konvenieuz wollte es so — ich habe aber uur
zwei von ihnen gehört, die Erste und die Letzte, nämlich bevor ich
einschlief, und nachdem ich wieder erwacht war. Dafür werde ich
nun wohl nicht in den Himmel kommen. Wenn ich später einmal
eben so fromm werde wie diese braven Menschen, will ich auch
Alles wieder abbettelt ; indeß hat das keine große Eile. — Adieu. —
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