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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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tome ein lebhaftes Interesse nahm. Frankreich ist für uns ein viel
zu ferner Staat, als daß man hier sich viel mit ihm beschäftigen
sollte. In dem engen Bette, in welchem der deutsche und böhmische
Wellenschlag.aufund niederwogt, ist keinPlatzfür ein drittes,--für fran¬
zösisches Wesen. Wenn der Herzog von Bordeaux, von seinein
Hofmeister und einem Bedienten begleitet, durch die Straßen ritt,
zeigte sich nirgends auch nur die geringste Theilnahme. Die Bür¬
ger blieben nicht stehen, um ihn zu grüßen, die Frauen traten nicht
in die Ladenthüre, um ihm nachzusehen. Wenn Letzteres vielleicht
jetzt eher als früher geschieht, so hat es seine Ursache darin, weil
der Herzog ein hübscher, kräftiger, junger Mann geworden ist, des¬
sen Anblick, trotz seines für seine Jugend unverhältnismäßig starken
Embonpoints, manches Busentuch höher schwellen macht. Ob er
hinkt, kann ich Ihnen nicht sagen, da ich ihn nicht zu Fuße gesehen
habe. Aber welch ein Unterschied zwischen seinem ersten und seinem
zweiten Hiersein, zwischen seinem Knaben- und seinem Jünglings¬
alter! Damals war der kleine hiesige Carlistenhof in zwei Factionen
getheilt: die Herzogin von Berry stand dem alten König Karl dem
Zehnten mit großen Ansprüchen gegenüber; die Henriquinquisten
erklärten den Herzog von Bordeaux für ihren König, weil sein
Großvater zu seinen Gunsten abgedankt. Karl der Zehnte wollte
jedoch keinen Fuß breit von seiner Würde vergeben. -- Nun ist er
todt und seinem Enkel steht Nichts in dem Wege, König zu sein,
als--Alles. Der Tod des Herzogs von Orleans hat das
kleine Häufchen der Legitimisten gelüftet und das Schlimmste ist,
der junge Prätendent selbst hat den Glauben an sich verloren. Daß
er in österreichische Dienste treten will, wie hier Einige sagen, ist
eine offenbare Uebertreibung. ES wäre ein furchtbar tragischer Wink
des Schicksals, wenn der Sohn Napoleons und der letzte Sprößling
der Bourbons, die dem Hause Habsburg durch Jahrhunderte den
Krieg gemacht, auf der Namensliste der österreichischen Offiziere der
Nachwelt die wunderbaren Fügungen der Geschichte erzählten.




tome ein lebhaftes Interesse nahm. Frankreich ist für uns ein viel
zu ferner Staat, als daß man hier sich viel mit ihm beschäftigen
sollte. In dem engen Bette, in welchem der deutsche und böhmische
Wellenschlag.aufund niederwogt, ist keinPlatzfür ein drittes,—für fran¬
zösisches Wesen. Wenn der Herzog von Bordeaux, von seinein
Hofmeister und einem Bedienten begleitet, durch die Straßen ritt,
zeigte sich nirgends auch nur die geringste Theilnahme. Die Bür¬
ger blieben nicht stehen, um ihn zu grüßen, die Frauen traten nicht
in die Ladenthüre, um ihm nachzusehen. Wenn Letzteres vielleicht
jetzt eher als früher geschieht, so hat es seine Ursache darin, weil
der Herzog ein hübscher, kräftiger, junger Mann geworden ist, des¬
sen Anblick, trotz seines für seine Jugend unverhältnismäßig starken
Embonpoints, manches Busentuch höher schwellen macht. Ob er
hinkt, kann ich Ihnen nicht sagen, da ich ihn nicht zu Fuße gesehen
habe. Aber welch ein Unterschied zwischen seinem ersten und seinem
zweiten Hiersein, zwischen seinem Knaben- und seinem Jünglings¬
alter! Damals war der kleine hiesige Carlistenhof in zwei Factionen
getheilt: die Herzogin von Berry stand dem alten König Karl dem
Zehnten mit großen Ansprüchen gegenüber; die Henriquinquisten
erklärten den Herzog von Bordeaux für ihren König, weil sein
Großvater zu seinen Gunsten abgedankt. Karl der Zehnte wollte
jedoch keinen Fuß breit von seiner Würde vergeben. — Nun ist er
todt und seinem Enkel steht Nichts in dem Wege, König zu sein,
als--Alles. Der Tod des Herzogs von Orleans hat das
kleine Häufchen der Legitimisten gelüftet und das Schlimmste ist,
der junge Prätendent selbst hat den Glauben an sich verloren. Daß
er in österreichische Dienste treten will, wie hier Einige sagen, ist
eine offenbare Uebertreibung. ES wäre ein furchtbar tragischer Wink
des Schicksals, wenn der Sohn Napoleons und der letzte Sprößling
der Bourbons, die dem Hause Habsburg durch Jahrhunderte den
Krieg gemacht, auf der Namensliste der österreichischen Offiziere der
Nachwelt die wunderbaren Fügungen der Geschichte erzählten.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/504>, abgerufen am 23.07.2024.