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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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manchen praktischen Mcksichten sich unterwerfen müssen. Die Bühne
ist sehr breit, aber nicht tief. Wir wollen hoffen, die böhmischen
Theaterdichter werden diesen Mangel in ihren Productionen dadurch
ersehen, daß sie bei ihren Dichtungen das umgekehrte Verhältniß
geltend machen: weniger Breite, aber desto mehr Tiefe. DaS Luft
spiel des Herrn Swoboda hat wirksame Scenen, obschon der Spaß
manchmal zu derb ist und nur für ein Sonntagspublikum berechne,
zu sein scheint. Indeß wollen wir uns bei dieser Gelegenheit nicht
auf das hohe richterliche Pferd setzen, und um des guten Anfangs
willen ein Auge zudrücken. ES werden von nun an in diesem
Theater wöchentlich drei Vorstellungen gegeben werden, darunter
eine Oper. Der wackere Schriftsteller Tyl hat die Regie. Man
erwartet einige interessante Novitäten von Klicpera; Uebersetzungen
wie Gutzkow's Werner, Don Juan, der Liebestrank, u. s. w. bilden
das anfängliche Repertoire. Da die meisten unserer Opernmitglic-
der geborene Böhmen sind, so ist für die böhmische Oper gut gesorgt.
Nicht so günstigen Umstands erfreut sich das böhmische Schauspiel,
welchem, mit wenigen Ausnahmen, nur untergeordnete Darstellerta¬
lente zu Gebote stehen -- was ans den Dichter selbst eine Nachtheil
lige Rückwirkung hat und den Aufschwung der dramatischen Poesie
der Böhmen -- in so weit sie der Bühne zufällt -- niederhal--
ten muß.

Vielleicht mag Alles, was ich da mittheile, dem deutschen Pub-
likum, das keine Ursache har, für die böhmische Bewegung fiel' n>
interessiren, sehr befremdlich vorkommen, um so mehr als es
dabei bemerken kann, daß dieses Aufwachen des böhmischen Volks--
geistes Manches absorbirt, was Deutschland von Böhmen zu cnvar--
ten berechtigt ist. In der That ist eS so und in dieser Beziehung
will ich auch die Lage der Dinge nicht verschönern. ES wird auch
Manchem unangenehm sein zu erfahren, baß der Anschluß Oester¬
reichs an den Zollverein nirgends so viele Gegner findet als in
Böhmen. Freilich nicht aus nationalen Rücksichten, sondern aus
materiellen. Die böhmische Industrie, die seit einigen Jahren so sehr
im Steigen ist, hat nicht unbegründete Ursachen, die deutsche Rede",
düsterm zu fürchten. Wenn es auch ganz falsch ist, daß - wie
einige Journale meldeten -- die österreichische Regierung bei den
Vorzüglichsten unserer Industriellen direkte Erkundigungen einzog,


manchen praktischen Mcksichten sich unterwerfen müssen. Die Bühne
ist sehr breit, aber nicht tief. Wir wollen hoffen, die böhmischen
Theaterdichter werden diesen Mangel in ihren Productionen dadurch
ersehen, daß sie bei ihren Dichtungen das umgekehrte Verhältniß
geltend machen: weniger Breite, aber desto mehr Tiefe. DaS Luft
spiel des Herrn Swoboda hat wirksame Scenen, obschon der Spaß
manchmal zu derb ist und nur für ein Sonntagspublikum berechne,
zu sein scheint. Indeß wollen wir uns bei dieser Gelegenheit nicht
auf das hohe richterliche Pferd setzen, und um des guten Anfangs
willen ein Auge zudrücken. ES werden von nun an in diesem
Theater wöchentlich drei Vorstellungen gegeben werden, darunter
eine Oper. Der wackere Schriftsteller Tyl hat die Regie. Man
erwartet einige interessante Novitäten von Klicpera; Uebersetzungen
wie Gutzkow's Werner, Don Juan, der Liebestrank, u. s. w. bilden
das anfängliche Repertoire. Da die meisten unserer Opernmitglic-
der geborene Böhmen sind, so ist für die böhmische Oper gut gesorgt.
Nicht so günstigen Umstands erfreut sich das böhmische Schauspiel,
welchem, mit wenigen Ausnahmen, nur untergeordnete Darstellerta¬
lente zu Gebote stehen — was ans den Dichter selbst eine Nachtheil
lige Rückwirkung hat und den Aufschwung der dramatischen Poesie
der Böhmen — in so weit sie der Bühne zufällt — niederhal--
ten muß.

Vielleicht mag Alles, was ich da mittheile, dem deutschen Pub-
likum, das keine Ursache har, für die böhmische Bewegung fiel' n>
interessiren, sehr befremdlich vorkommen, um so mehr als es
dabei bemerken kann, daß dieses Aufwachen des böhmischen Volks--
geistes Manches absorbirt, was Deutschland von Böhmen zu cnvar--
ten berechtigt ist. In der That ist eS so und in dieser Beziehung
will ich auch die Lage der Dinge nicht verschönern. ES wird auch
Manchem unangenehm sein zu erfahren, baß der Anschluß Oester¬
reichs an den Zollverein nirgends so viele Gegner findet als in
Böhmen. Freilich nicht aus nationalen Rücksichten, sondern aus
materiellen. Die böhmische Industrie, die seit einigen Jahren so sehr
im Steigen ist, hat nicht unbegründete Ursachen, die deutsche Rede«,
düsterm zu fürchten. Wenn es auch ganz falsch ist, daß - wie
einige Journale meldeten — die österreichische Regierung bei den
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[0501] manchen praktischen Mcksichten sich unterwerfen müssen. Die Bühne ist sehr breit, aber nicht tief. Wir wollen hoffen, die böhmischen Theaterdichter werden diesen Mangel in ihren Productionen dadurch ersehen, daß sie bei ihren Dichtungen das umgekehrte Verhältniß geltend machen: weniger Breite, aber desto mehr Tiefe. DaS Luft spiel des Herrn Swoboda hat wirksame Scenen, obschon der Spaß manchmal zu derb ist und nur für ein Sonntagspublikum berechne, zu sein scheint. Indeß wollen wir uns bei dieser Gelegenheit nicht auf das hohe richterliche Pferd setzen, und um des guten Anfangs willen ein Auge zudrücken. ES werden von nun an in diesem Theater wöchentlich drei Vorstellungen gegeben werden, darunter eine Oper. Der wackere Schriftsteller Tyl hat die Regie. Man erwartet einige interessante Novitäten von Klicpera; Uebersetzungen wie Gutzkow's Werner, Don Juan, der Liebestrank, u. s. w. bilden das anfängliche Repertoire. Da die meisten unserer Opernmitglic- der geborene Böhmen sind, so ist für die böhmische Oper gut gesorgt. Nicht so günstigen Umstands erfreut sich das böhmische Schauspiel, welchem, mit wenigen Ausnahmen, nur untergeordnete Darstellerta¬ lente zu Gebote stehen — was ans den Dichter selbst eine Nachtheil lige Rückwirkung hat und den Aufschwung der dramatischen Poesie der Böhmen — in so weit sie der Bühne zufällt — niederhal-- ten muß. Vielleicht mag Alles, was ich da mittheile, dem deutschen Pub- likum, das keine Ursache har, für die böhmische Bewegung fiel' n> interessiren, sehr befremdlich vorkommen, um so mehr als es dabei bemerken kann, daß dieses Aufwachen des böhmischen Volks-- geistes Manches absorbirt, was Deutschland von Böhmen zu cnvar-- ten berechtigt ist. In der That ist eS so und in dieser Beziehung will ich auch die Lage der Dinge nicht verschönern. ES wird auch Manchem unangenehm sein zu erfahren, baß der Anschluß Oester¬ reichs an den Zollverein nirgends so viele Gegner findet als in Böhmen. Freilich nicht aus nationalen Rücksichten, sondern aus materiellen. Die böhmische Industrie, die seit einigen Jahren so sehr im Steigen ist, hat nicht unbegründete Ursachen, die deutsche Rede«, düsterm zu fürchten. Wenn es auch ganz falsch ist, daß - wie einige Journale meldeten — die österreichische Regierung bei den Vorzüglichsten unserer Industriellen direkte Erkundigungen einzog,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/501>, abgerufen am 03.07.2024.