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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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und gefunden, daß der Provinzialgeift weder in Sachsen noch in
Preußen, weder in Schlesien noch in den Rheinlanden, weder in
Franken noch in Baiern, weder in Schwaben noch in Hessen fehl".
Warum soll gerade der Böhme seine Provinz nicht lieben dürfen V
Wenn Hebel allemannische Gedichte schreibt, wenn man in Hamburg
und im Hannöverschen plattdeutsch Predigt, wird kein Mensch ein
Arg daran haben. Nur Böhmen soll seine Nationalsprache
abdanken -- weil sie keine deutsche ist! Wahrlich, Ihr Herren,
macht Ihr den Elsässern auch die Zumuthung, sie sollen ihr Deutsch
vergessen, wie den Böhmen, ihr Böhmisch? Ich sollte denken: was
dem einen Recht/ ist dem andern billig.

Was würde Herr Wolfgang Menzel erst sagen, wenn er das
neue böhmische Theater sähe, welches im vorigen Monate hier ei-
öffnet wurde. ES ist dies für unsere Stadt immerhin wichtige Er¬
eignis) ein Beweis, wie große Fortschritte die Kräftigung des Na¬
tionalgeistes in Böhmen gemacht. Vor zehn Jahren zahlte das
böhmische Theater noch nicht ein Mal so viele Theilnahme, um die
Vorstellungen zu decken, welche deS Sonntags im ständischen Thea
ter, vor der deutschen Vorstellung (d. h. von 3 bis 0 Uhr Nach¬
mittags) Statt fanden, und nun ist das Publikum so angewachsen,
daß der Direktor Stögcr ein eigenes Theater dafür baute. Die
Eröffnung desselben, welche am Se. Wenzels tage Statt sand,
(der heilige Wenzel, einer der ersten christlichen Herzöge Böhmens,
der aus Veranlassung seiner heidnischen Mutter Drcihomira von
dem eigenen Bruder an der Schwelle einer Kirche ermordet wurde,
ist ein Lieblingsheld der Böhmen) füllte das neue Hans zum Bre¬
chen. Ein höhnisches Original-Lustspiel von dem Gymnasial-Pro-
fessor Swoboda füllte den Abend. Der Held dieses Lustspiels ist
Skreta, ein böhmischer Maler des siebzehnten Jahrhunderts (ge¬
storben 1674), die komische Person darin ist Hurka, ein Schwach¬
kopf, der nur das schön findet, was ausländisch ist und
alles Böhmische verachtet. Der Stoff gab Raum zu hundert
nationalen Anspielungen und der Jubel der Zuschauer floß in Strö¬
men; Dichter, Schauspieler, Direktor, Statisten, Alles wurde her¬
ausgerufen; ich glaube, man hätte gerne auch den neuen Saal selbst
herausgerufen, wenn nur die Zuschauer dann noch hätten darin blei¬
ben können. Die Eintheilung dieses neuen TheatergebäudcS hat


und gefunden, daß der Provinzialgeift weder in Sachsen noch in
Preußen, weder in Schlesien noch in den Rheinlanden, weder in
Franken noch in Baiern, weder in Schwaben noch in Hessen fehl«.
Warum soll gerade der Böhme seine Provinz nicht lieben dürfen V
Wenn Hebel allemannische Gedichte schreibt, wenn man in Hamburg
und im Hannöverschen plattdeutsch Predigt, wird kein Mensch ein
Arg daran haben. Nur Böhmen soll seine Nationalsprache
abdanken — weil sie keine deutsche ist! Wahrlich, Ihr Herren,
macht Ihr den Elsässern auch die Zumuthung, sie sollen ihr Deutsch
vergessen, wie den Böhmen, ihr Böhmisch? Ich sollte denken: was
dem einen Recht/ ist dem andern billig.

Was würde Herr Wolfgang Menzel erst sagen, wenn er das
neue böhmische Theater sähe, welches im vorigen Monate hier ei-
öffnet wurde. ES ist dies für unsere Stadt immerhin wichtige Er¬
eignis) ein Beweis, wie große Fortschritte die Kräftigung des Na¬
tionalgeistes in Böhmen gemacht. Vor zehn Jahren zahlte das
böhmische Theater noch nicht ein Mal so viele Theilnahme, um die
Vorstellungen zu decken, welche deS Sonntags im ständischen Thea
ter, vor der deutschen Vorstellung (d. h. von 3 bis 0 Uhr Nach¬
mittags) Statt fanden, und nun ist das Publikum so angewachsen,
daß der Direktor Stögcr ein eigenes Theater dafür baute. Die
Eröffnung desselben, welche am Se. Wenzels tage Statt sand,
(der heilige Wenzel, einer der ersten christlichen Herzöge Böhmens,
der aus Veranlassung seiner heidnischen Mutter Drcihomira von
dem eigenen Bruder an der Schwelle einer Kirche ermordet wurde,
ist ein Lieblingsheld der Böhmen) füllte das neue Hans zum Bre¬
chen. Ein höhnisches Original-Lustspiel von dem Gymnasial-Pro-
fessor Swoboda füllte den Abend. Der Held dieses Lustspiels ist
Skreta, ein böhmischer Maler des siebzehnten Jahrhunderts (ge¬
storben 1674), die komische Person darin ist Hurka, ein Schwach¬
kopf, der nur das schön findet, was ausländisch ist und
alles Böhmische verachtet. Der Stoff gab Raum zu hundert
nationalen Anspielungen und der Jubel der Zuschauer floß in Strö¬
men; Dichter, Schauspieler, Direktor, Statisten, Alles wurde her¬
ausgerufen; ich glaube, man hätte gerne auch den neuen Saal selbst
herausgerufen, wenn nur die Zuschauer dann noch hätten darin blei¬
ben können. Die Eintheilung dieses neuen TheatergebäudcS hat


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/500>, abgerufen am 03.07.2024.