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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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von Fr. von Sattel. Laiencvangelium,

Schon der Name dieses Buches erinnert an dasjLaienbevier von L. Sche¬
fer. Das Evangelium wie das Brevier enthalten didaktische Gedichte, in denen
die Verfasser ihre Philosophie, eine eigene Betrachtung der Welt und des
menschlichen Lebens, ausgesprochen haben. Schefer jedoch ist poetischer, origi¬
neller; aber er ist auch reicher und mehr im Kleinen verloren; seine Dich>
tungen sind nicht selten spielend, coquettirend mit Lieblingsgefühlen, und des¬
wegen unangenehm. Dann aber ist Schefer wieder erhaben in Anschauungen
und Gedanken, rasch, kühn und glücklich in Bildern; v. Sattel hingegen ist
mehr Denker, kalt, klar und strenge, immer in gleicher Linie der Reflexion
fortschreitend; er ist mehr Lehrer als Dichter; trockener, allein auch männli¬
cher als der Verfasser des Breviers, giebt er nicht, wie dieser, jedem Reiz der
Einbildungskraft, jeder Lockspeise der Anschauung nach; und dazu kommt
noch das Verdienst, daß er nicht in reimlosen Zeilen sich ergeht, von denen
ein Dichter sagt:


Und fliehe wie den Tod die ungereimten Jamben!

Aber diese überdachten, gleichmäßigen Dichtungen werden eintönig und ermü¬
dend, nicht allein wegen der vielen Wiederholung der Hauptidcm, sondern
sobald man sie, freilich gegen das Recept, in zu großer Dosis nimmt. Man
soll, wie in ein Salzfaß, nur von Zeit zu Zeit mit kleinen Löffeln hinein^
tauchen.


T a g e b u eh.



von Fr. von Sattel. Laiencvangelium,

Schon der Name dieses Buches erinnert an dasjLaienbevier von L. Sche¬
fer. Das Evangelium wie das Brevier enthalten didaktische Gedichte, in denen
die Verfasser ihre Philosophie, eine eigene Betrachtung der Welt und des
menschlichen Lebens, ausgesprochen haben. Schefer jedoch ist poetischer, origi¬
neller; aber er ist auch reicher und mehr im Kleinen verloren; seine Dich>
tungen sind nicht selten spielend, coquettirend mit Lieblingsgefühlen, und des¬
wegen unangenehm. Dann aber ist Schefer wieder erhaben in Anschauungen
und Gedanken, rasch, kühn und glücklich in Bildern; v. Sattel hingegen ist
mehr Denker, kalt, klar und strenge, immer in gleicher Linie der Reflexion
fortschreitend; er ist mehr Lehrer als Dichter; trockener, allein auch männli¬
cher als der Verfasser des Breviers, giebt er nicht, wie dieser, jedem Reiz der
Einbildungskraft, jeder Lockspeise der Anschauung nach; und dazu kommt
noch das Verdienst, daß er nicht in reimlosen Zeilen sich ergeht, von denen
ein Dichter sagt:


Und fliehe wie den Tod die ungereimten Jamben!

Aber diese überdachten, gleichmäßigen Dichtungen werden eintönig und ermü¬
dend, nicht allein wegen der vielen Wiederholung der Hauptidcm, sondern
sobald man sie, freilich gegen das Recept, in zu großer Dosis nimmt. Man
soll, wie in ein Salzfaß, nur von Zeit zu Zeit mit kleinen Löffeln hinein^
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[0490] T a g e b u eh. von Fr. von Sattel. Laiencvangelium, Schon der Name dieses Buches erinnert an dasjLaienbevier von L. Sche¬ fer. Das Evangelium wie das Brevier enthalten didaktische Gedichte, in denen die Verfasser ihre Philosophie, eine eigene Betrachtung der Welt und des menschlichen Lebens, ausgesprochen haben. Schefer jedoch ist poetischer, origi¬ neller; aber er ist auch reicher und mehr im Kleinen verloren; seine Dich> tungen sind nicht selten spielend, coquettirend mit Lieblingsgefühlen, und des¬ wegen unangenehm. Dann aber ist Schefer wieder erhaben in Anschauungen und Gedanken, rasch, kühn und glücklich in Bildern; v. Sattel hingegen ist mehr Denker, kalt, klar und strenge, immer in gleicher Linie der Reflexion fortschreitend; er ist mehr Lehrer als Dichter; trockener, allein auch männli¬ cher als der Verfasser des Breviers, giebt er nicht, wie dieser, jedem Reiz der Einbildungskraft, jeder Lockspeise der Anschauung nach; und dazu kommt noch das Verdienst, daß er nicht in reimlosen Zeilen sich ergeht, von denen ein Dichter sagt: Und fliehe wie den Tod die ungereimten Jamben! Aber diese überdachten, gleichmäßigen Dichtungen werden eintönig und ermü¬ dend, nicht allein wegen der vielen Wiederholung der Hauptidcm, sondern sobald man sie, freilich gegen das Recept, in zu großer Dosis nimmt. Man soll, wie in ein Salzfaß, nur von Zeit zu Zeit mit kleinen Löffeln hinein^ tauchen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/490>, abgerufen am 04.07.2024.