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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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walten schien, Etwas von ihrer früheren Intelligenz zurückbekom¬
men haben und daß Seelen, die für todt, für erstorben, für abge¬
schieden gelten konnten, wieder erweckt wurden.

Eine Schwester Pförtnerin öffnete uns und führte uns zu Herrn
Trelat, dem dirigirenden Arzte der Anstalt, der seinen täglichen Mor-
gen-Rundgang schon begonnen hatte. Unser Weg führte uns durch
eine Reihe Schlafsäle, die durch außerordentliche Sauberkeit einen
angenehmen Eindruck machten, nach dem im ersten Stockwerk gelege¬
nen Arbeitssaal. Wie? höre ich hier ausrufen, eine organisirte Ar¬
beit im Irrenhause! Ist das möglich? Und durch welche Mittel hat
man so ein wunderbares Resultat erlangt? Die Sache aber ver¬
hält sich in aller Wahrheit so und ist durch den Einfluß der Mu¬
sik erlangt worden. Die Irren in der Salpvtriore arbeiten wirk¬
lich und die Arbeit macht nicht nur ihre Geistesabwesenheit, ihre
VerstandcSverirrungcn, ja sogar ihre Wuthanfälle seltener, sondern
sie weckt und entwickelt auch Gefühle höherer Gattung in ihnen
und besonders einen regen Wetteifer. Freilich ist es bis jetzt noch
nicht möglich gewesen, alle Bewohnerinnen jener Anstalt zur Arbeit
zu bewegen. Noch gar viele von ihnen sind entweder, weil wü¬
thend, unter fortwährender Zwangesüberwachung oder befinden sich
in einem völlig verstandlosen Zustande, so daß sie, unbeseelte Körper,
müßig in den weiten Höfen umherirren. Und da scheinen selbst die
Vogel es zu erkennen, daß ihnen die Intelligenz fehlt; denn sie
picken ihr Futter vor den Füßen dieser Unglücklichen auf und flattern
um sie herum, ohne sich durch ihr Geschrei oder ihre plötzlichen Be¬
wegungen verscheuchen zu lassen.

Doch kehren wir in den Arbeitssaal zurück, in den uns Doctor
Trvlat eingeführt hatte: es ward darin freilich keine Beschäftigung
getrieben, die einen Aufwand geistiger Kräfte verlangt hätte, sondern
es war nur eine Fabrik von Filzschuhen, die unter der Leitung ei¬
ner Wahnsinnigen stand. Diese Werkmcisterin benimmt sich, seit¬
dem sie zur Arbeit angehalten worden, so gut, daß sie schon die
Erlaubniß erhalten hat, in der Stadt auszugehen, und es steht zu
hoffen, daß ihr bald die Rückkehr in ihre Familie wird gestattet
werden können. Mehrere ihrer Schülerinnen kamen um die Wette
zu uns, um uns ihre Arbeiten zu zeigen, und waren über das Lob,
das wir ihnen ertheilten, außerordentlich erfreut. Eine unter ihnen,


walten schien, Etwas von ihrer früheren Intelligenz zurückbekom¬
men haben und daß Seelen, die für todt, für erstorben, für abge¬
schieden gelten konnten, wieder erweckt wurden.

Eine Schwester Pförtnerin öffnete uns und führte uns zu Herrn
Trelat, dem dirigirenden Arzte der Anstalt, der seinen täglichen Mor-
gen-Rundgang schon begonnen hatte. Unser Weg führte uns durch
eine Reihe Schlafsäle, die durch außerordentliche Sauberkeit einen
angenehmen Eindruck machten, nach dem im ersten Stockwerk gelege¬
nen Arbeitssaal. Wie? höre ich hier ausrufen, eine organisirte Ar¬
beit im Irrenhause! Ist das möglich? Und durch welche Mittel hat
man so ein wunderbares Resultat erlangt? Die Sache aber ver¬
hält sich in aller Wahrheit so und ist durch den Einfluß der Mu¬
sik erlangt worden. Die Irren in der Salpvtriore arbeiten wirk¬
lich und die Arbeit macht nicht nur ihre Geistesabwesenheit, ihre
VerstandcSverirrungcn, ja sogar ihre Wuthanfälle seltener, sondern
sie weckt und entwickelt auch Gefühle höherer Gattung in ihnen
und besonders einen regen Wetteifer. Freilich ist es bis jetzt noch
nicht möglich gewesen, alle Bewohnerinnen jener Anstalt zur Arbeit
zu bewegen. Noch gar viele von ihnen sind entweder, weil wü¬
thend, unter fortwährender Zwangesüberwachung oder befinden sich
in einem völlig verstandlosen Zustande, so daß sie, unbeseelte Körper,
müßig in den weiten Höfen umherirren. Und da scheinen selbst die
Vogel es zu erkennen, daß ihnen die Intelligenz fehlt; denn sie
picken ihr Futter vor den Füßen dieser Unglücklichen auf und flattern
um sie herum, ohne sich durch ihr Geschrei oder ihre plötzlichen Be¬
wegungen verscheuchen zu lassen.

Doch kehren wir in den Arbeitssaal zurück, in den uns Doctor
Trvlat eingeführt hatte: es ward darin freilich keine Beschäftigung
getrieben, die einen Aufwand geistiger Kräfte verlangt hätte, sondern
es war nur eine Fabrik von Filzschuhen, die unter der Leitung ei¬
ner Wahnsinnigen stand. Diese Werkmcisterin benimmt sich, seit¬
dem sie zur Arbeit angehalten worden, so gut, daß sie schon die
Erlaubniß erhalten hat, in der Stadt auszugehen, und es steht zu
hoffen, daß ihr bald die Rückkehr in ihre Familie wird gestattet
werden können. Mehrere ihrer Schülerinnen kamen um die Wette
zu uns, um uns ihre Arbeiten zu zeigen, und waren über das Lob,
das wir ihnen ertheilten, außerordentlich erfreut. Eine unter ihnen,


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[0480] walten schien, Etwas von ihrer früheren Intelligenz zurückbekom¬ men haben und daß Seelen, die für todt, für erstorben, für abge¬ schieden gelten konnten, wieder erweckt wurden. Eine Schwester Pförtnerin öffnete uns und führte uns zu Herrn Trelat, dem dirigirenden Arzte der Anstalt, der seinen täglichen Mor- gen-Rundgang schon begonnen hatte. Unser Weg führte uns durch eine Reihe Schlafsäle, die durch außerordentliche Sauberkeit einen angenehmen Eindruck machten, nach dem im ersten Stockwerk gelege¬ nen Arbeitssaal. Wie? höre ich hier ausrufen, eine organisirte Ar¬ beit im Irrenhause! Ist das möglich? Und durch welche Mittel hat man so ein wunderbares Resultat erlangt? Die Sache aber ver¬ hält sich in aller Wahrheit so und ist durch den Einfluß der Mu¬ sik erlangt worden. Die Irren in der Salpvtriore arbeiten wirk¬ lich und die Arbeit macht nicht nur ihre Geistesabwesenheit, ihre VerstandcSverirrungcn, ja sogar ihre Wuthanfälle seltener, sondern sie weckt und entwickelt auch Gefühle höherer Gattung in ihnen und besonders einen regen Wetteifer. Freilich ist es bis jetzt noch nicht möglich gewesen, alle Bewohnerinnen jener Anstalt zur Arbeit zu bewegen. Noch gar viele von ihnen sind entweder, weil wü¬ thend, unter fortwährender Zwangesüberwachung oder befinden sich in einem völlig verstandlosen Zustande, so daß sie, unbeseelte Körper, müßig in den weiten Höfen umherirren. Und da scheinen selbst die Vogel es zu erkennen, daß ihnen die Intelligenz fehlt; denn sie picken ihr Futter vor den Füßen dieser Unglücklichen auf und flattern um sie herum, ohne sich durch ihr Geschrei oder ihre plötzlichen Be¬ wegungen verscheuchen zu lassen. Doch kehren wir in den Arbeitssaal zurück, in den uns Doctor Trvlat eingeführt hatte: es ward darin freilich keine Beschäftigung getrieben, die einen Aufwand geistiger Kräfte verlangt hätte, sondern es war nur eine Fabrik von Filzschuhen, die unter der Leitung ei¬ ner Wahnsinnigen stand. Diese Werkmcisterin benimmt sich, seit¬ dem sie zur Arbeit angehalten worden, so gut, daß sie schon die Erlaubniß erhalten hat, in der Stadt auszugehen, und es steht zu hoffen, daß ihr bald die Rückkehr in ihre Familie wird gestattet werden können. Mehrere ihrer Schülerinnen kamen um die Wette zu uns, um uns ihre Arbeiten zu zeigen, und waren über das Lob, das wir ihnen ertheilten, außerordentlich erfreut. Eine unter ihnen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/480>, abgerufen am 26.08.2024.