Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.zuschlagen. Es war Abend geworden und der Kaiser, der sich mit Der jetzige Kaiser nun hat unermüdlich ein scharfes Augen¬ Um diesen Zweck zu erreichen, müßte zunächst die Lage der zuschlagen. Es war Abend geworden und der Kaiser, der sich mit Der jetzige Kaiser nun hat unermüdlich ein scharfes Augen¬ Um diesen Zweck zu erreichen, müßte zunächst die Lage der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0462" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267079"/> <p xml:id="ID_1261" prev="#ID_1260"> zuschlagen. Es war Abend geworden und der Kaiser, der sich mit<lb/> seinem treuen Diebitsch allein in der Kutsche befand, war richtig<lb/> eingeschlafen. Als der Wagen nun plötzlich an der Poststation an¬<lb/> hielt, erwachte er und frug seinen Begleiter: — „Wo sind wir,<lb/> mein Bester?" — „Ew. Majestät befinden sich in diesem Augenblick<lb/> in der neuen, auf Ihren Befehl erbauten Stadt, Alerandrvw-CharaSzo."<lb/> — „Sehr schön; ich will die Nacht über hier mich ausruhen und<lb/> mir morgen die Stadt ansehen. Aber was ist das?" frug der Kai¬<lb/> ser, als er beim Aussteigen Nichts als ein einsames Posthaus und rings¬<lb/> umher nur eine weite Steppe sah, in deren alleinigem, ungestörtem<lb/> Besitze sich die friedlich weidenden Pferde und Kühe des Postmeisters<lb/> befanden. „Sie haben sich offenbar geirrt, Diebitsch; hier ist ja<lb/> keine Stadt zu sehen." — „Verzeihen Ew. Majestät; die Stadt ist<lb/> wirklich da, nur stehen die Häuser blos auf dem Papiere, oder viel¬<lb/> mehr sie stecken in der Tasche des Ministers." — „Lassen Sie an¬<lb/> spannen und sprechen Sie mir nicht weiter davon; ich verbiete es<lb/> Ihnen," entgegnete Alerander. —</p><lb/> <p xml:id="ID_1262"> Der jetzige Kaiser nun hat unermüdlich ein scharfes Augen¬<lb/> merk auf sämmtliche Verwaltungszweige und bestraft alle sich kund<lb/> gebenden Veruntreuungen mit unerbittlicher Strenge, die denn frei¬<lb/> lich auch ihre Urheber seinem Auge um so sorgfältiger zu verbergen<lb/> suchen. Des Kaisers Wille allein ist keinesweges hinreichend, um<lb/> diesen am Marke des Staats saugenden und sein Wohl verzehrenden<lb/> Krebsschaden auszurotten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1263" next="#ID_1264"> Um diesen Zweck zu erreichen, müßte zunächst die Lage der<lb/> öffentlichen Beamten verbessert werden, deren Gehalte mit den Noth¬<lb/> wendigkeiten nicht blos deS Lurus, sondern selbst des täglichen Le¬<lb/> bens im schreienden Mißverhältnisse stehen. Ein gemeiner preußischer<lb/> Grenzaufseher hat einen höheren Gehalt, als ein Douanen-Director<lb/> in Rußland und der Sold eines preußischen Secondelieutenants ist<lb/> nur um ein Weniges geringer, als der eines russischen Oberstlieute¬<lb/> nants und Regimentschefs. Nur die Professoren der höheren Bil¬<lb/> dungsanstalten und die Diplomaten sind reichlich atisgestattet.<lb/> Letzterer Theil der gouvernementalen Beamten verschlingt eine unge¬<lb/> heure Summe aus den Staatseinkünften; so haben z. B der vorige<lb/> und der jetzige Kaiser den russischen Gesandtschaften zu London,<lb/> Paris und andern großen Höfen sehr oft einen unbegrenzten Credit</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0462]
zuschlagen. Es war Abend geworden und der Kaiser, der sich mit
seinem treuen Diebitsch allein in der Kutsche befand, war richtig
eingeschlafen. Als der Wagen nun plötzlich an der Poststation an¬
hielt, erwachte er und frug seinen Begleiter: — „Wo sind wir,
mein Bester?" — „Ew. Majestät befinden sich in diesem Augenblick
in der neuen, auf Ihren Befehl erbauten Stadt, Alerandrvw-CharaSzo."
— „Sehr schön; ich will die Nacht über hier mich ausruhen und
mir morgen die Stadt ansehen. Aber was ist das?" frug der Kai¬
ser, als er beim Aussteigen Nichts als ein einsames Posthaus und rings¬
umher nur eine weite Steppe sah, in deren alleinigem, ungestörtem
Besitze sich die friedlich weidenden Pferde und Kühe des Postmeisters
befanden. „Sie haben sich offenbar geirrt, Diebitsch; hier ist ja
keine Stadt zu sehen." — „Verzeihen Ew. Majestät; die Stadt ist
wirklich da, nur stehen die Häuser blos auf dem Papiere, oder viel¬
mehr sie stecken in der Tasche des Ministers." — „Lassen Sie an¬
spannen und sprechen Sie mir nicht weiter davon; ich verbiete es
Ihnen," entgegnete Alerander. —
Der jetzige Kaiser nun hat unermüdlich ein scharfes Augen¬
merk auf sämmtliche Verwaltungszweige und bestraft alle sich kund
gebenden Veruntreuungen mit unerbittlicher Strenge, die denn frei¬
lich auch ihre Urheber seinem Auge um so sorgfältiger zu verbergen
suchen. Des Kaisers Wille allein ist keinesweges hinreichend, um
diesen am Marke des Staats saugenden und sein Wohl verzehrenden
Krebsschaden auszurotten.
Um diesen Zweck zu erreichen, müßte zunächst die Lage der
öffentlichen Beamten verbessert werden, deren Gehalte mit den Noth¬
wendigkeiten nicht blos deS Lurus, sondern selbst des täglichen Le¬
bens im schreienden Mißverhältnisse stehen. Ein gemeiner preußischer
Grenzaufseher hat einen höheren Gehalt, als ein Douanen-Director
in Rußland und der Sold eines preußischen Secondelieutenants ist
nur um ein Weniges geringer, als der eines russischen Oberstlieute¬
nants und Regimentschefs. Nur die Professoren der höheren Bil¬
dungsanstalten und die Diplomaten sind reichlich atisgestattet.
Letzterer Theil der gouvernementalen Beamten verschlingt eine unge¬
heure Summe aus den Staatseinkünften; so haben z. B der vorige
und der jetzige Kaiser den russischen Gesandtschaften zu London,
Paris und andern großen Höfen sehr oft einen unbegrenzten Credit
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