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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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erstatter zu verdächtigen, scheute man sich nicht, sie dem Papste als
Jakobiner und Anhänger deS Ubbo Lamennais zu schildern, welche
sich der Religion nur als eines Deckmantels bedienen wollten, um
in Polen einen neuen Aufstand anzufachen, während es dem Kaiser
kaum noch gelungen sei, die Wunden der letzten Revolution zu ver-
harschen. Diesem bedeutenden Einflüsse Rußlands in Rom ist eS
denn auch zuzuschreiben, daß es dieser Macht möglich ward, nach¬
dem durch anderweitigen Einfluß der Papst zur Erfüllung seiner
Pflicht als Oberhaupt deS Katholicismus veranlaßt worden, dennoch
wenigstens die Veröffentlichung der betreffenden Actenstücke im Diaria"
6i Il,om.i, dem officiellen Blatt des römischen Cabinets, zu hinter¬
treiben. Rußlands Staatsmänner wissen sehr wohl, welch unge¬
heuern Einfluß auf die öffentliche Meinung Europas religiöse An¬
gelegenheiten in unsern Tagen haben und wie nachtheilig die Be¬
kanntmachung und Besprechung der päpstlichen Beschwerdeschriften
auf die allgemeine Stimmung einwirken würde, die man durch so
viele künstliche Mittelchen zu Gunsten Rußlands zu erhalten sucht.
Daher strebte das Petersburger Cabinet darnach, die Bedeutsamkeit
der vielerwähntm Urkunden dadurch möglichst zu schwächen, daß
man sie, so weit es geschehen konnte, der öffentlichen Discussion ent¬
zog"). Und dies ist ihm auch durch ein auf die kindische Leichtgläu¬
bigkeit der europäischen Zeitungswelt, -- so der Redacteure, wie der Leser,
-- berechnetes, barockes Mittel ziemlich gut gelungen. Jene abge¬
schmackten Fabeln nämlich, mit denen im Juli und August dieses
Jahres fast alle europäischen Journale aus Petersburg ihre Leser
unterhielten, jene mehr als unwahrscheinlichen Märchen von Ver¬
schwörungen und Mordversuchen gegen den Kaiser, den nur die
Geistesgegenwart des Königs von Preußen vom Tode rettete, sodann
die lächerlichen Geschichtchen von dem Stuhle mit zwei verborgenen
Schwertern u. s. w., u. s. w., später die, wenigstens damals noch



Anm. d. Red.
*) So eben kommt uns die letzte Nummer der Kölnischen Zeitung zu,
worin wir aus Schwaben berichtet finden, das Petersburger Cabinet habe sich
beim bairischen Hofe über die Augsburger Allgemeine Zeitung beschwert, weil
sie es gewagt, die Allocution des Papstes zu veröffentlichen.
Einen besseren Beweis von der Wahrheit der Behauptungen unseres Peters¬
burger Correspondenten, konnte die russische Regierung nicht geben.

erstatter zu verdächtigen, scheute man sich nicht, sie dem Papste als
Jakobiner und Anhänger deS Ubbo Lamennais zu schildern, welche
sich der Religion nur als eines Deckmantels bedienen wollten, um
in Polen einen neuen Aufstand anzufachen, während es dem Kaiser
kaum noch gelungen sei, die Wunden der letzten Revolution zu ver-
harschen. Diesem bedeutenden Einflüsse Rußlands in Rom ist eS
denn auch zuzuschreiben, daß es dieser Macht möglich ward, nach¬
dem durch anderweitigen Einfluß der Papst zur Erfüllung seiner
Pflicht als Oberhaupt deS Katholicismus veranlaßt worden, dennoch
wenigstens die Veröffentlichung der betreffenden Actenstücke im Diaria»
6i Il,om.i, dem officiellen Blatt des römischen Cabinets, zu hinter¬
treiben. Rußlands Staatsmänner wissen sehr wohl, welch unge¬
heuern Einfluß auf die öffentliche Meinung Europas religiöse An¬
gelegenheiten in unsern Tagen haben und wie nachtheilig die Be¬
kanntmachung und Besprechung der päpstlichen Beschwerdeschriften
auf die allgemeine Stimmung einwirken würde, die man durch so
viele künstliche Mittelchen zu Gunsten Rußlands zu erhalten sucht.
Daher strebte das Petersburger Cabinet darnach, die Bedeutsamkeit
der vielerwähntm Urkunden dadurch möglichst zu schwächen, daß
man sie, so weit es geschehen konnte, der öffentlichen Discussion ent¬
zog»). Und dies ist ihm auch durch ein auf die kindische Leichtgläu¬
bigkeit der europäischen Zeitungswelt, — so der Redacteure, wie der Leser,
— berechnetes, barockes Mittel ziemlich gut gelungen. Jene abge¬
schmackten Fabeln nämlich, mit denen im Juli und August dieses
Jahres fast alle europäischen Journale aus Petersburg ihre Leser
unterhielten, jene mehr als unwahrscheinlichen Märchen von Ver¬
schwörungen und Mordversuchen gegen den Kaiser, den nur die
Geistesgegenwart des Königs von Preußen vom Tode rettete, sodann
die lächerlichen Geschichtchen von dem Stuhle mit zwei verborgenen
Schwertern u. s. w., u. s. w., später die, wenigstens damals noch



Anm. d. Red.
*) So eben kommt uns die letzte Nummer der Kölnischen Zeitung zu,
worin wir aus Schwaben berichtet finden, das Petersburger Cabinet habe sich
beim bairischen Hofe über die Augsburger Allgemeine Zeitung beschwert, weil
sie es gewagt, die Allocution des Papstes zu veröffentlichen.
Einen besseren Beweis von der Wahrheit der Behauptungen unseres Peters¬
burger Correspondenten, konnte die russische Regierung nicht geben.
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[0456] erstatter zu verdächtigen, scheute man sich nicht, sie dem Papste als Jakobiner und Anhänger deS Ubbo Lamennais zu schildern, welche sich der Religion nur als eines Deckmantels bedienen wollten, um in Polen einen neuen Aufstand anzufachen, während es dem Kaiser kaum noch gelungen sei, die Wunden der letzten Revolution zu ver- harschen. Diesem bedeutenden Einflüsse Rußlands in Rom ist eS denn auch zuzuschreiben, daß es dieser Macht möglich ward, nach¬ dem durch anderweitigen Einfluß der Papst zur Erfüllung seiner Pflicht als Oberhaupt deS Katholicismus veranlaßt worden, dennoch wenigstens die Veröffentlichung der betreffenden Actenstücke im Diaria» 6i Il,om.i, dem officiellen Blatt des römischen Cabinets, zu hinter¬ treiben. Rußlands Staatsmänner wissen sehr wohl, welch unge¬ heuern Einfluß auf die öffentliche Meinung Europas religiöse An¬ gelegenheiten in unsern Tagen haben und wie nachtheilig die Be¬ kanntmachung und Besprechung der päpstlichen Beschwerdeschriften auf die allgemeine Stimmung einwirken würde, die man durch so viele künstliche Mittelchen zu Gunsten Rußlands zu erhalten sucht. Daher strebte das Petersburger Cabinet darnach, die Bedeutsamkeit der vielerwähntm Urkunden dadurch möglichst zu schwächen, daß man sie, so weit es geschehen konnte, der öffentlichen Discussion ent¬ zog»). Und dies ist ihm auch durch ein auf die kindische Leichtgläu¬ bigkeit der europäischen Zeitungswelt, — so der Redacteure, wie der Leser, — berechnetes, barockes Mittel ziemlich gut gelungen. Jene abge¬ schmackten Fabeln nämlich, mit denen im Juli und August dieses Jahres fast alle europäischen Journale aus Petersburg ihre Leser unterhielten, jene mehr als unwahrscheinlichen Märchen von Ver¬ schwörungen und Mordversuchen gegen den Kaiser, den nur die Geistesgegenwart des Königs von Preußen vom Tode rettete, sodann die lächerlichen Geschichtchen von dem Stuhle mit zwei verborgenen Schwertern u. s. w., u. s. w., später die, wenigstens damals noch Anm. d. Red. *) So eben kommt uns die letzte Nummer der Kölnischen Zeitung zu, worin wir aus Schwaben berichtet finden, das Petersburger Cabinet habe sich beim bairischen Hofe über die Augsburger Allgemeine Zeitung beschwert, weil sie es gewagt, die Allocution des Papstes zu veröffentlichen. Einen besseren Beweis von der Wahrheit der Behauptungen unseres Peters¬ burger Correspondenten, konnte die russische Regierung nicht geben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/456>, abgerufen am 29.06.2024.