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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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übrigen an einem Seile aus dem eroberte" Schloß Brom leitet.
Erschütternd ist die Klage der Geblendeten. Von gleicher Art ist-
"das Schlachtfeld;" aus dem Krieg zwischen Forschung und Hierar¬
chie bricht hier die furchtbarste Verzweiflung hervor:

"O Gott, wie Du auch heißen magst, es bleibt
Ein Schmerz, daß Glaube" solche Früchte treibt."

In der nächtlichen Scene wandert Alfar, der allen Glauben,
häretischen wie kirchlichen, abgeworfen, umher:

"Ob das ein Gott, ein Kranker ist zu nennen,
Der eine Welt in Fiebergluth errichtet,
Und bald im Frost des Fiebers sie vernichtet?
Ist Weltgeschick sein Frieren und sein Brennen?
Ist's nur ein Göttcrkind, dem diese Welt
Als buntes Spiclgcräthc zugefallen?..."

ÄZir stehen hier in der Mitte deS Gedichts; der Sturm der
Geschichte hat sich entladen. Die Begebenheiten scheinen der mensch¬
lichen Vernunft zu spotten, denn die Menschheit, der Geist der Ge¬
schichte, scheint mit sich selber in Krieg zu stehen. Rache, Blutdurst,
der wüste Trieb des Thiers wüthen auf dem Boden, der ihr gehört,
entfesselt umher. Die Seele zerknickt, von so furchtbarem Gericht
ergriffen. So zeichnet uns der Dichter in einzelnen Figuren den
Wahnsinn, die Verzweiflung, die Verhöhnung des Heiligen, Un¬
terjochung und feige Bube, entsetzendes Gemetzel, düstre Leiden
und lachenden Frevel. Alle Figuren, die dahin gehören, wie Jacques,
der wahnsinnige Schneider, der Herzog von Narbonne, der Graf
von Foir, Gras Simon, der gefangne Vicomte Roger von Beziers,
daS irre Mädchen von Lavaur, drücken auf verschiedene Weise diese
Spitze des Pathos aus, auf welchem das Gedicht nun angelangt
ist. Vielleicht kehrt der Verfasser zu sehr allein den Frevelsinn der
ergrimmten Albigenser heraus, wie in der Scene, wo Foir mit
seinen Gesellen im Kloster lagert, wo nach mancherlei Gespött, zuletzt
eine Moral des Fleisches gepredigt wird, so nackt, platt und plump,
wie die neusten Wiederfindet derselben sie kaum vorbringen möchten:

"Er predigt: Im Anfang war da" Fleisch,
Und Gott war das Fleisch, und dieses war

übrigen an einem Seile aus dem eroberte» Schloß Brom leitet.
Erschütternd ist die Klage der Geblendeten. Von gleicher Art ist-
„das Schlachtfeld;" aus dem Krieg zwischen Forschung und Hierar¬
chie bricht hier die furchtbarste Verzweiflung hervor:

„O Gott, wie Du auch heißen magst, es bleibt
Ein Schmerz, daß Glaube» solche Früchte treibt."

In der nächtlichen Scene wandert Alfar, der allen Glauben,
häretischen wie kirchlichen, abgeworfen, umher:

„Ob das ein Gott, ein Kranker ist zu nennen,
Der eine Welt in Fiebergluth errichtet,
Und bald im Frost des Fiebers sie vernichtet?
Ist Weltgeschick sein Frieren und sein Brennen?
Ist's nur ein Göttcrkind, dem diese Welt
Als buntes Spiclgcräthc zugefallen?..."

ÄZir stehen hier in der Mitte deS Gedichts; der Sturm der
Geschichte hat sich entladen. Die Begebenheiten scheinen der mensch¬
lichen Vernunft zu spotten, denn die Menschheit, der Geist der Ge¬
schichte, scheint mit sich selber in Krieg zu stehen. Rache, Blutdurst,
der wüste Trieb des Thiers wüthen auf dem Boden, der ihr gehört,
entfesselt umher. Die Seele zerknickt, von so furchtbarem Gericht
ergriffen. So zeichnet uns der Dichter in einzelnen Figuren den
Wahnsinn, die Verzweiflung, die Verhöhnung des Heiligen, Un¬
terjochung und feige Bube, entsetzendes Gemetzel, düstre Leiden
und lachenden Frevel. Alle Figuren, die dahin gehören, wie Jacques,
der wahnsinnige Schneider, der Herzog von Narbonne, der Graf
von Foir, Gras Simon, der gefangne Vicomte Roger von Beziers,
daS irre Mädchen von Lavaur, drücken auf verschiedene Weise diese
Spitze des Pathos aus, auf welchem das Gedicht nun angelangt
ist. Vielleicht kehrt der Verfasser zu sehr allein den Frevelsinn der
ergrimmten Albigenser heraus, wie in der Scene, wo Foir mit
seinen Gesellen im Kloster lagert, wo nach mancherlei Gespött, zuletzt
eine Moral des Fleisches gepredigt wird, so nackt, platt und plump,
wie die neusten Wiederfindet derselben sie kaum vorbringen möchten:

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Und Gott war das Fleisch, und dieses war

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[0430] übrigen an einem Seile aus dem eroberte» Schloß Brom leitet. Erschütternd ist die Klage der Geblendeten. Von gleicher Art ist- „das Schlachtfeld;" aus dem Krieg zwischen Forschung und Hierar¬ chie bricht hier die furchtbarste Verzweiflung hervor: „O Gott, wie Du auch heißen magst, es bleibt Ein Schmerz, daß Glaube» solche Früchte treibt." In der nächtlichen Scene wandert Alfar, der allen Glauben, häretischen wie kirchlichen, abgeworfen, umher: „Ob das ein Gott, ein Kranker ist zu nennen, Der eine Welt in Fiebergluth errichtet, Und bald im Frost des Fiebers sie vernichtet? Ist Weltgeschick sein Frieren und sein Brennen? Ist's nur ein Göttcrkind, dem diese Welt Als buntes Spiclgcräthc zugefallen?..." ÄZir stehen hier in der Mitte deS Gedichts; der Sturm der Geschichte hat sich entladen. Die Begebenheiten scheinen der mensch¬ lichen Vernunft zu spotten, denn die Menschheit, der Geist der Ge¬ schichte, scheint mit sich selber in Krieg zu stehen. Rache, Blutdurst, der wüste Trieb des Thiers wüthen auf dem Boden, der ihr gehört, entfesselt umher. Die Seele zerknickt, von so furchtbarem Gericht ergriffen. So zeichnet uns der Dichter in einzelnen Figuren den Wahnsinn, die Verzweiflung, die Verhöhnung des Heiligen, Un¬ terjochung und feige Bube, entsetzendes Gemetzel, düstre Leiden und lachenden Frevel. Alle Figuren, die dahin gehören, wie Jacques, der wahnsinnige Schneider, der Herzog von Narbonne, der Graf von Foir, Gras Simon, der gefangne Vicomte Roger von Beziers, daS irre Mädchen von Lavaur, drücken auf verschiedene Weise diese Spitze des Pathos aus, auf welchem das Gedicht nun angelangt ist. Vielleicht kehrt der Verfasser zu sehr allein den Frevelsinn der ergrimmten Albigenser heraus, wie in der Scene, wo Foir mit seinen Gesellen im Kloster lagert, wo nach mancherlei Gespött, zuletzt eine Moral des Fleisches gepredigt wird, so nackt, platt und plump, wie die neusten Wiederfindet derselben sie kaum vorbringen möchten: „Er predigt: Im Anfang war da« Fleisch, Und Gott war das Fleisch, und dieses war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/430>, abgerufen am 26.08.2024.