Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Wie stimmt dies zu den vorigen Versen? -- Die zweite Stimme
ihrerseits ruft dem Dichter zu¬

lasse herzhaft! rüste Dich zum Streite!
Liebe die Natur, die treu und wahr,
Ringe nach Licht und Freiheit immerdar,
Wenn auch unter ihren eignen Füßen
Graun und Tod und Schmerz aufwirbeln müssen."

Aus dieser Doppelheit ver Gefühle, dem Contrast der sitt¬
lichen und natürlichen Weltordnung, welcher den Ausruf auspreßt:

"O Geist, ist Deinem Lenz die Lust genommen,
Sei Du der Welt in Schrecken auch willkommen!"

treten wir sofort in die wirkliche Welt voll thätlichen Widerstreites,
voll Mord, Qual und Verwüstung. Mit dem Bannstrahl des Pap¬
stes Innocenz bewaffnet, tritt Pierre von Castelnau gegenüber dem
naturfrohen, von Liebe und Tapferkeit glühenden Troubadour Fulco
vor uns; von letzterem heißt es:

"Pierr'i ich bin ein Ketzer!" ruft der Wandrer,
"Heraus mit Fluch und Bann! hei, dorn're zu!"

In ihrem Zusammentreffen und Gespräch (die Legende von den
Zigeunern und dem Kreuz, die Pierre erzählt, ist eine höchst gelun¬
gene Episode) arbeiten sich die streitenden Principe, die sie vertreten,
deutlicher heraus. Nun folgen die Ereignisse Schlag auf Schlag.
Der Priester wird ermordet, der Sänger wird am Sarge seiner
Geliebten plötzlich in einen fanatischen Diener der Kirche verwandelt.
Und was treibt ihn dazu? Der Anblick der Todten ist es, der ihm
den Albigenserglauben entreißt, der keine Auferstehung annimmt; da
treffen wir auf den ganz neumodischen Satz:

"Denn Sterben ist im Geist verschwinden,
Wir glauben an kein Wiederfinden."

Bald sehen wir den Troubadour, der die Schönheit der Frauen
so bezaubernd besang, als Innocenz' Boten und Bischof von Tou¬
louse, den Kreuzzug anschürend. So wird dieser Charakter auf die
tragische Bahn des Schicksals gerissen. Bei dieser Katastrophe
spricht der Dichter die schönen Verse:

"Wenn all sein Glück ein starkes Herz verloren, -
Wenn seine Wund' am tiefsten klafft,
Dann wird es vom Verhängnis, gern erkoren,
Und in den großen Sturm hinauögcrafft."

Wie stimmt dies zu den vorigen Versen? — Die zweite Stimme
ihrerseits ruft dem Dichter zu¬

lasse herzhaft! rüste Dich zum Streite!
Liebe die Natur, die treu und wahr,
Ringe nach Licht und Freiheit immerdar,
Wenn auch unter ihren eignen Füßen
Graun und Tod und Schmerz aufwirbeln müssen."

Aus dieser Doppelheit ver Gefühle, dem Contrast der sitt¬
lichen und natürlichen Weltordnung, welcher den Ausruf auspreßt:

„O Geist, ist Deinem Lenz die Lust genommen,
Sei Du der Welt in Schrecken auch willkommen!"

treten wir sofort in die wirkliche Welt voll thätlichen Widerstreites,
voll Mord, Qual und Verwüstung. Mit dem Bannstrahl des Pap¬
stes Innocenz bewaffnet, tritt Pierre von Castelnau gegenüber dem
naturfrohen, von Liebe und Tapferkeit glühenden Troubadour Fulco
vor uns; von letzterem heißt es:

„Pierr'i ich bin ein Ketzer!" ruft der Wandrer,
„Heraus mit Fluch und Bann! hei, dorn're zu!"

In ihrem Zusammentreffen und Gespräch (die Legende von den
Zigeunern und dem Kreuz, die Pierre erzählt, ist eine höchst gelun¬
gene Episode) arbeiten sich die streitenden Principe, die sie vertreten,
deutlicher heraus. Nun folgen die Ereignisse Schlag auf Schlag.
Der Priester wird ermordet, der Sänger wird am Sarge seiner
Geliebten plötzlich in einen fanatischen Diener der Kirche verwandelt.
Und was treibt ihn dazu? Der Anblick der Todten ist es, der ihm
den Albigenserglauben entreißt, der keine Auferstehung annimmt; da
treffen wir auf den ganz neumodischen Satz:

„Denn Sterben ist im Geist verschwinden,
Wir glauben an kein Wiederfinden."

Bald sehen wir den Troubadour, der die Schönheit der Frauen
so bezaubernd besang, als Innocenz' Boten und Bischof von Tou¬
louse, den Kreuzzug anschürend. So wird dieser Charakter auf die
tragische Bahn des Schicksals gerissen. Bei dieser Katastrophe
spricht der Dichter die schönen Verse:

„Wenn all sein Glück ein starkes Herz verloren, -
Wenn seine Wund' am tiefsten klafft,
Dann wird es vom Verhängnis, gern erkoren,
Und in den großen Sturm hinauögcrafft."

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0428" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267045"/>
            <p xml:id="ID_1190"> Wie stimmt dies zu den vorigen Versen? &#x2014; Die zweite Stimme<lb/>
ihrerseits ruft dem Dichter zu¬</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_21" type="poem">
              <l> lasse herzhaft! rüste Dich zum Streite!<lb/>
Liebe die Natur, die treu und wahr,<lb/>
Ringe nach Licht und Freiheit immerdar,<lb/>
Wenn auch unter ihren eignen Füßen<lb/>
Graun und Tod und Schmerz aufwirbeln müssen."</l>
            </lg><lb/>
            <p xml:id="ID_1191"> Aus dieser Doppelheit ver Gefühle, dem Contrast der sitt¬<lb/>
lichen und natürlichen Weltordnung, welcher den Ausruf auspreßt:</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_22" type="poem">
              <l> &#x201E;O Geist, ist Deinem Lenz die Lust genommen,<lb/>
Sei Du der Welt in Schrecken auch willkommen!"</l>
            </lg><lb/>
            <p xml:id="ID_1192"> treten wir sofort in die wirkliche Welt voll thätlichen Widerstreites,<lb/>
voll Mord, Qual und Verwüstung. Mit dem Bannstrahl des Pap¬<lb/>
stes Innocenz bewaffnet, tritt Pierre von Castelnau gegenüber dem<lb/>
naturfrohen, von Liebe und Tapferkeit glühenden Troubadour Fulco<lb/>
vor uns; von letzterem heißt es:</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_23" type="poem">
              <l> &#x201E;Pierr'i ich bin ein Ketzer!" ruft der Wandrer,<lb/>
&#x201E;Heraus mit Fluch und Bann! hei, dorn're zu!"</l>
            </lg><lb/>
            <p xml:id="ID_1193"> In ihrem Zusammentreffen und Gespräch (die Legende von den<lb/>
Zigeunern und dem Kreuz, die Pierre erzählt, ist eine höchst gelun¬<lb/>
gene Episode) arbeiten sich die streitenden Principe, die sie vertreten,<lb/>
deutlicher heraus. Nun folgen die Ereignisse Schlag auf Schlag.<lb/>
Der Priester wird ermordet, der Sänger wird am Sarge seiner<lb/>
Geliebten plötzlich in einen fanatischen Diener der Kirche verwandelt.<lb/>
Und was treibt ihn dazu? Der Anblick der Todten ist es, der ihm<lb/>
den Albigenserglauben entreißt, der keine Auferstehung annimmt; da<lb/>
treffen wir auf den ganz neumodischen Satz:</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_24" type="poem">
              <l> &#x201E;Denn Sterben ist im Geist verschwinden,<lb/>
Wir glauben an kein Wiederfinden."</l>
            </lg><lb/>
            <p xml:id="ID_1194"> Bald sehen wir den Troubadour, der die Schönheit der Frauen<lb/>
so bezaubernd besang, als Innocenz' Boten und Bischof von Tou¬<lb/>
louse, den Kreuzzug anschürend. So wird dieser Charakter auf die<lb/>
tragische Bahn des Schicksals gerissen. Bei dieser Katastrophe<lb/>
spricht der Dichter die schönen Verse:</p><lb/>
            <lg xml:id="POEMID_25" type="poem">
              <l> &#x201E;Wenn all sein Glück ein starkes Herz verloren, -<lb/>
Wenn seine Wund' am tiefsten klafft,<lb/>
Dann wird es vom Verhängnis, gern erkoren,<lb/>
Und in den großen Sturm hinauögcrafft."</l>
            </lg><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0428] Wie stimmt dies zu den vorigen Versen? — Die zweite Stimme ihrerseits ruft dem Dichter zu¬ lasse herzhaft! rüste Dich zum Streite! Liebe die Natur, die treu und wahr, Ringe nach Licht und Freiheit immerdar, Wenn auch unter ihren eignen Füßen Graun und Tod und Schmerz aufwirbeln müssen." Aus dieser Doppelheit ver Gefühle, dem Contrast der sitt¬ lichen und natürlichen Weltordnung, welcher den Ausruf auspreßt: „O Geist, ist Deinem Lenz die Lust genommen, Sei Du der Welt in Schrecken auch willkommen!" treten wir sofort in die wirkliche Welt voll thätlichen Widerstreites, voll Mord, Qual und Verwüstung. Mit dem Bannstrahl des Pap¬ stes Innocenz bewaffnet, tritt Pierre von Castelnau gegenüber dem naturfrohen, von Liebe und Tapferkeit glühenden Troubadour Fulco vor uns; von letzterem heißt es: „Pierr'i ich bin ein Ketzer!" ruft der Wandrer, „Heraus mit Fluch und Bann! hei, dorn're zu!" In ihrem Zusammentreffen und Gespräch (die Legende von den Zigeunern und dem Kreuz, die Pierre erzählt, ist eine höchst gelun¬ gene Episode) arbeiten sich die streitenden Principe, die sie vertreten, deutlicher heraus. Nun folgen die Ereignisse Schlag auf Schlag. Der Priester wird ermordet, der Sänger wird am Sarge seiner Geliebten plötzlich in einen fanatischen Diener der Kirche verwandelt. Und was treibt ihn dazu? Der Anblick der Todten ist es, der ihm den Albigenserglauben entreißt, der keine Auferstehung annimmt; da treffen wir auf den ganz neumodischen Satz: „Denn Sterben ist im Geist verschwinden, Wir glauben an kein Wiederfinden." Bald sehen wir den Troubadour, der die Schönheit der Frauen so bezaubernd besang, als Innocenz' Boten und Bischof von Tou¬ louse, den Kreuzzug anschürend. So wird dieser Charakter auf die tragische Bahn des Schicksals gerissen. Bei dieser Katastrophe spricht der Dichter die schönen Verse: „Wenn all sein Glück ein starkes Herz verloren, - Wenn seine Wund' am tiefsten klafft, Dann wird es vom Verhängnis, gern erkoren, Und in den großen Sturm hinauögcrafft."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/428
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/428>, abgerufen am 26.08.2024.