Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

Protestantismus entrissen hat, sich in die Arme der Religion gestürzt
zu haben, um hier einen Trost gegen den unheilbaren Schaden der Ge¬
genwart und gegen die Erinnerung an eine glänzendere Vergangen¬
heit zu finden. Wenigstens giebt es keine Stadt, wo man mehr
äußere Anzeichen katholischer Andacht und Frömmigkeit findet. Die
Bilder der heiligen Jungfrau, welche man an jeder Straßenecke
trifft und über die der Fremde, besonders der aus dem protestan¬
tischen Norden, sich nicht genug wundern kann, geben mit ihren
vom Winde lustig hin und her geschaukelten Laternen Ant¬
werpen noch heute jene Physiognomie einer spanischen Stadt,
wie sie vielleicht die Städte der Halbinsel selbst heutzutage dem
Reisenden nicht mehr zeigen. Wir haben in der Unzahl dieser
frommen Bildsäulen vergebens nach einer Arbeit uns umgesehen,
welche verdiente, in diesem den Kunstwerken Antwerpens gewidmeten
Artikel einen Platz zu finden. Sie sind alle einander gleich und da
sie nothwendigerweise alle nach dem Vorüberziehen der Bilderstür¬
mer gesetzt sein müssen, so gehören sie einer sehr späten Epoche ein:
ihr Hauptverdienst sollte Naivetät sein und umgekehrt leiden alle
an einer abscheulichen Ueberladung und Manierirtheit. Zu diesen-
Fehler kommt noch ein in Belgien allzu häufiger, barbarischer Ge¬
brauch, der nämlich, sie alle Jahre mit einer neuen Lage von Ma¬
lerei zu überkleiden: man scheint hier nicht zu der Erkenntniß
kommen zu wollen, daß diese Uebertünchung den Werken des Meißels
mehr schadet, als die Rauheit der Luft und Witterung.

Antwerpen ist arm an Monumenten, die ganz der Neuzeit an>
gehören. Der Palast des Königs auf der place 6e Neir, obgleich
im siebzehnten Jahrhundert, d. h. in dem Styl erbaut, dem man
den Spottnamen des Cichorienstylö gegeben hat, fällt doch durch
seine Anordnung angenehm in's Auge, vielleicht weil dem Ganzen
die monotone Nacktheit der benachbarten Fayaden als erhöhende
Folie dient. Die großen unter dem Kaiser ausgeführten Arbeiten
gehören nicht in das Bereich und die Competenz dieses Aufsatzes
und thun wir vielmehr alles Mögliche, um die Scheune nicht zu
sehen, die man unter dem anmaßenden Namen eines Entrepüt,
während der Vereinigung Belgiens mit Holland am Ende des
Hafens hingebaut hat. Das einzige in neuerer Zeit errichtete Werk,
das in den Rahmen dieses Artikels gehört, ist die Rubens-Bild


Protestantismus entrissen hat, sich in die Arme der Religion gestürzt
zu haben, um hier einen Trost gegen den unheilbaren Schaden der Ge¬
genwart und gegen die Erinnerung an eine glänzendere Vergangen¬
heit zu finden. Wenigstens giebt es keine Stadt, wo man mehr
äußere Anzeichen katholischer Andacht und Frömmigkeit findet. Die
Bilder der heiligen Jungfrau, welche man an jeder Straßenecke
trifft und über die der Fremde, besonders der aus dem protestan¬
tischen Norden, sich nicht genug wundern kann, geben mit ihren
vom Winde lustig hin und her geschaukelten Laternen Ant¬
werpen noch heute jene Physiognomie einer spanischen Stadt,
wie sie vielleicht die Städte der Halbinsel selbst heutzutage dem
Reisenden nicht mehr zeigen. Wir haben in der Unzahl dieser
frommen Bildsäulen vergebens nach einer Arbeit uns umgesehen,
welche verdiente, in diesem den Kunstwerken Antwerpens gewidmeten
Artikel einen Platz zu finden. Sie sind alle einander gleich und da
sie nothwendigerweise alle nach dem Vorüberziehen der Bilderstür¬
mer gesetzt sein müssen, so gehören sie einer sehr späten Epoche ein:
ihr Hauptverdienst sollte Naivetät sein und umgekehrt leiden alle
an einer abscheulichen Ueberladung und Manierirtheit. Zu diesen-
Fehler kommt noch ein in Belgien allzu häufiger, barbarischer Ge¬
brauch, der nämlich, sie alle Jahre mit einer neuen Lage von Ma¬
lerei zu überkleiden: man scheint hier nicht zu der Erkenntniß
kommen zu wollen, daß diese Uebertünchung den Werken des Meißels
mehr schadet, als die Rauheit der Luft und Witterung.

Antwerpen ist arm an Monumenten, die ganz der Neuzeit an>
gehören. Der Palast des Königs auf der place 6e Neir, obgleich
im siebzehnten Jahrhundert, d. h. in dem Styl erbaut, dem man
den Spottnamen des Cichorienstylö gegeben hat, fällt doch durch
seine Anordnung angenehm in's Auge, vielleicht weil dem Ganzen
die monotone Nacktheit der benachbarten Fayaden als erhöhende
Folie dient. Die großen unter dem Kaiser ausgeführten Arbeiten
gehören nicht in das Bereich und die Competenz dieses Aufsatzes
und thun wir vielmehr alles Mögliche, um die Scheune nicht zu
sehen, die man unter dem anmaßenden Namen eines Entrepüt,
während der Vereinigung Belgiens mit Holland am Ende des
Hafens hingebaut hat. Das einzige in neuerer Zeit errichtete Werk,
das in den Rahmen dieses Artikels gehört, ist die Rubens-Bild


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/267038"/>
            <p xml:id="ID_1172" prev="#ID_1171"> Protestantismus entrissen hat, sich in die Arme der Religion gestürzt<lb/>
zu haben, um hier einen Trost gegen den unheilbaren Schaden der Ge¬<lb/>
genwart und gegen die Erinnerung an eine glänzendere Vergangen¬<lb/>
heit zu finden. Wenigstens giebt es keine Stadt, wo man mehr<lb/>
äußere Anzeichen katholischer Andacht und Frömmigkeit findet. Die<lb/>
Bilder der heiligen Jungfrau, welche man an jeder Straßenecke<lb/>
trifft und über die der Fremde, besonders der aus dem protestan¬<lb/>
tischen Norden, sich nicht genug wundern kann, geben mit ihren<lb/>
vom Winde lustig hin und her geschaukelten Laternen Ant¬<lb/>
werpen noch heute jene Physiognomie einer spanischen Stadt,<lb/>
wie sie vielleicht die Städte der Halbinsel selbst heutzutage dem<lb/>
Reisenden nicht mehr zeigen. Wir haben in der Unzahl dieser<lb/>
frommen Bildsäulen vergebens nach einer Arbeit uns umgesehen,<lb/>
welche verdiente, in diesem den Kunstwerken Antwerpens gewidmeten<lb/>
Artikel einen Platz zu finden. Sie sind alle einander gleich und da<lb/>
sie nothwendigerweise alle nach dem Vorüberziehen der Bilderstür¬<lb/>
mer gesetzt sein müssen, so gehören sie einer sehr späten Epoche ein:<lb/>
ihr Hauptverdienst sollte Naivetät sein und umgekehrt leiden alle<lb/>
an einer abscheulichen Ueberladung und Manierirtheit. Zu diesen-<lb/>
Fehler kommt noch ein in Belgien allzu häufiger, barbarischer Ge¬<lb/>
brauch, der nämlich, sie alle Jahre mit einer neuen Lage von Ma¬<lb/>
lerei zu überkleiden: man scheint hier nicht zu der Erkenntniß<lb/>
kommen zu wollen, daß diese Uebertünchung den Werken des Meißels<lb/>
mehr schadet, als die Rauheit der Luft und Witterung.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1173" next="#ID_1174"> Antwerpen ist arm an Monumenten, die ganz der Neuzeit an&gt;<lb/>
gehören. Der Palast des Königs auf der place 6e Neir, obgleich<lb/>
im siebzehnten Jahrhundert, d. h. in dem Styl erbaut, dem man<lb/>
den Spottnamen des Cichorienstylö gegeben hat, fällt doch durch<lb/>
seine Anordnung angenehm in's Auge, vielleicht weil dem Ganzen<lb/>
die monotone Nacktheit der benachbarten Fayaden als erhöhende<lb/>
Folie dient. Die großen unter dem Kaiser ausgeführten Arbeiten<lb/>
gehören nicht in das Bereich und die Competenz dieses Aufsatzes<lb/>
und thun wir vielmehr alles Mögliche, um die Scheune nicht zu<lb/>
sehen, die man unter dem anmaßenden Namen eines Entrepüt,<lb/>
während der Vereinigung Belgiens mit Holland am Ende des<lb/>
Hafens hingebaut hat. Das einzige in neuerer Zeit errichtete Werk,<lb/>
das in den Rahmen dieses Artikels gehört, ist die Rubens-Bild</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0421] Protestantismus entrissen hat, sich in die Arme der Religion gestürzt zu haben, um hier einen Trost gegen den unheilbaren Schaden der Ge¬ genwart und gegen die Erinnerung an eine glänzendere Vergangen¬ heit zu finden. Wenigstens giebt es keine Stadt, wo man mehr äußere Anzeichen katholischer Andacht und Frömmigkeit findet. Die Bilder der heiligen Jungfrau, welche man an jeder Straßenecke trifft und über die der Fremde, besonders der aus dem protestan¬ tischen Norden, sich nicht genug wundern kann, geben mit ihren vom Winde lustig hin und her geschaukelten Laternen Ant¬ werpen noch heute jene Physiognomie einer spanischen Stadt, wie sie vielleicht die Städte der Halbinsel selbst heutzutage dem Reisenden nicht mehr zeigen. Wir haben in der Unzahl dieser frommen Bildsäulen vergebens nach einer Arbeit uns umgesehen, welche verdiente, in diesem den Kunstwerken Antwerpens gewidmeten Artikel einen Platz zu finden. Sie sind alle einander gleich und da sie nothwendigerweise alle nach dem Vorüberziehen der Bilderstür¬ mer gesetzt sein müssen, so gehören sie einer sehr späten Epoche ein: ihr Hauptverdienst sollte Naivetät sein und umgekehrt leiden alle an einer abscheulichen Ueberladung und Manierirtheit. Zu diesen- Fehler kommt noch ein in Belgien allzu häufiger, barbarischer Ge¬ brauch, der nämlich, sie alle Jahre mit einer neuen Lage von Ma¬ lerei zu überkleiden: man scheint hier nicht zu der Erkenntniß kommen zu wollen, daß diese Uebertünchung den Werken des Meißels mehr schadet, als die Rauheit der Luft und Witterung. Antwerpen ist arm an Monumenten, die ganz der Neuzeit an> gehören. Der Palast des Königs auf der place 6e Neir, obgleich im siebzehnten Jahrhundert, d. h. in dem Styl erbaut, dem man den Spottnamen des Cichorienstylö gegeben hat, fällt doch durch seine Anordnung angenehm in's Auge, vielleicht weil dem Ganzen die monotone Nacktheit der benachbarten Fayaden als erhöhende Folie dient. Die großen unter dem Kaiser ausgeführten Arbeiten gehören nicht in das Bereich und die Competenz dieses Aufsatzes und thun wir vielmehr alles Mögliche, um die Scheune nicht zu sehen, die man unter dem anmaßenden Namen eines Entrepüt, während der Vereinigung Belgiens mit Holland am Ende des Hafens hingebaut hat. Das einzige in neuerer Zeit errichtete Werk, das in den Rahmen dieses Artikels gehört, ist die Rubens-Bild

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/421
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/421>, abgerufen am 23.07.2024.