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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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unter nun herrscht unumschränkt Rubens und seine Schule, die in
Bezug auf die Form durchaus profan ist. Die plastische Kunst je¬
ner Zeit hatte selbst in ihrer Anwendung auf religiöse Dinge jenen
Lurus an schwellenden, beweglichen Formen und, wenn man sich so
ausdrücken kann, an Fleisch beibehalten, der mit der nüchternen
Strenge der rein gothischen Form einen Contrast bildet, der heutzu¬
tage weit mehr in'ö Auge springt, als dies damals der Fall war.
Die Chorstühle, die Altäre, die Kanzeln und die Beichtstühle jener
Epoche haben eine allzuweltliche Physiognomie, selbst wenn sie in
der Ausführung nicht manierirt sind. Nun kann es aber in einer
katholischen Kirche Nichts geben, das minder an seinem Platz wäre,
als diese einer späteren Epoche angehörenden Baldachine, welche die
Altäre entstellen und die an jene verschwenderische Mode erinnern,
welche zur Zeit, da Ludwig XIV. regierte, in den Meubles herrschte.
Daher wäre es überaus wünschenswert!), daß man zwischen den
religiösen Bauwerken und ihren inneren Verzierungen jene Ueberein¬
stimmung des Styls wieder herstellte, welche durch die oben von uns
angedeuteten Ursachen zerstört ward. Und darum hat es uns eine
außerordentliche Freude gemacht, als wir die Kirchenverwaltung der
Kathedrale Unserer Lieben Frauen zu Antwerpen hierin im Großen
mit gutem Beispiele vorangehen sahen.

Die Chorstühle werden, wenn wir uns nicht irren, aus Linden¬
holz angefertigt werden und ganz im Style der Kirche selbst sein.
Man kann nach denjenigen, welche schon placirt sind, sich vollkom¬
men eine Idee von dem Gesammteindruck dieser schönen Arbeit
machen. Da der Umkreis des Chors von sechs massiven Pfeilern
gebildet wird und sich in der Säulenweite im Hintergrunde lediglich
der Altar befand, so hatte der Bildhauer noch sechs Räume, drei
auf jeder Seite auszufüllen. Herr Geerts aus Löwen nun, der
mit dieser Arbeit beauftragt worden, hat die Sache folgendermaßen
angeordnet. Der Altar wird von den Chorstühlen durch ein durch¬
brochenes, hölzernes Geländer getrennt werden, das nach rechts und
links hin von einem Pfeiler bis zum andern sich zieht, und dessen
rechte Seite schon angebracht ist. Es blieben also von jeder Seite
nur noch zwei Säulenweiten auszufüllen, deren Mitte durch einen
Pfeiler bezeichnet wird. Auf diesem Pfeiler soll sich nun eine Art
sehr schmaler und sehr schlanker gothischer Thurmspitze erheben, die, wenn


unter nun herrscht unumschränkt Rubens und seine Schule, die in
Bezug auf die Form durchaus profan ist. Die plastische Kunst je¬
ner Zeit hatte selbst in ihrer Anwendung auf religiöse Dinge jenen
Lurus an schwellenden, beweglichen Formen und, wenn man sich so
ausdrücken kann, an Fleisch beibehalten, der mit der nüchternen
Strenge der rein gothischen Form einen Contrast bildet, der heutzu¬
tage weit mehr in'ö Auge springt, als dies damals der Fall war.
Die Chorstühle, die Altäre, die Kanzeln und die Beichtstühle jener
Epoche haben eine allzuweltliche Physiognomie, selbst wenn sie in
der Ausführung nicht manierirt sind. Nun kann es aber in einer
katholischen Kirche Nichts geben, das minder an seinem Platz wäre,
als diese einer späteren Epoche angehörenden Baldachine, welche die
Altäre entstellen und die an jene verschwenderische Mode erinnern,
welche zur Zeit, da Ludwig XIV. regierte, in den Meubles herrschte.
Daher wäre es überaus wünschenswert!), daß man zwischen den
religiösen Bauwerken und ihren inneren Verzierungen jene Ueberein¬
stimmung des Styls wieder herstellte, welche durch die oben von uns
angedeuteten Ursachen zerstört ward. Und darum hat es uns eine
außerordentliche Freude gemacht, als wir die Kirchenverwaltung der
Kathedrale Unserer Lieben Frauen zu Antwerpen hierin im Großen
mit gutem Beispiele vorangehen sahen.

Die Chorstühle werden, wenn wir uns nicht irren, aus Linden¬
holz angefertigt werden und ganz im Style der Kirche selbst sein.
Man kann nach denjenigen, welche schon placirt sind, sich vollkom¬
men eine Idee von dem Gesammteindruck dieser schönen Arbeit
machen. Da der Umkreis des Chors von sechs massiven Pfeilern
gebildet wird und sich in der Säulenweite im Hintergrunde lediglich
der Altar befand, so hatte der Bildhauer noch sechs Räume, drei
auf jeder Seite auszufüllen. Herr Geerts aus Löwen nun, der
mit dieser Arbeit beauftragt worden, hat die Sache folgendermaßen
angeordnet. Der Altar wird von den Chorstühlen durch ein durch¬
brochenes, hölzernes Geländer getrennt werden, das nach rechts und
links hin von einem Pfeiler bis zum andern sich zieht, und dessen
rechte Seite schon angebracht ist. Es blieben also von jeder Seite
nur noch zwei Säulenweiten auszufüllen, deren Mitte durch einen
Pfeiler bezeichnet wird. Auf diesem Pfeiler soll sich nun eine Art
sehr schmaler und sehr schlanker gothischer Thurmspitze erheben, die, wenn


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[0410] unter nun herrscht unumschränkt Rubens und seine Schule, die in Bezug auf die Form durchaus profan ist. Die plastische Kunst je¬ ner Zeit hatte selbst in ihrer Anwendung auf religiöse Dinge jenen Lurus an schwellenden, beweglichen Formen und, wenn man sich so ausdrücken kann, an Fleisch beibehalten, der mit der nüchternen Strenge der rein gothischen Form einen Contrast bildet, der heutzu¬ tage weit mehr in'ö Auge springt, als dies damals der Fall war. Die Chorstühle, die Altäre, die Kanzeln und die Beichtstühle jener Epoche haben eine allzuweltliche Physiognomie, selbst wenn sie in der Ausführung nicht manierirt sind. Nun kann es aber in einer katholischen Kirche Nichts geben, das minder an seinem Platz wäre, als diese einer späteren Epoche angehörenden Baldachine, welche die Altäre entstellen und die an jene verschwenderische Mode erinnern, welche zur Zeit, da Ludwig XIV. regierte, in den Meubles herrschte. Daher wäre es überaus wünschenswert!), daß man zwischen den religiösen Bauwerken und ihren inneren Verzierungen jene Ueberein¬ stimmung des Styls wieder herstellte, welche durch die oben von uns angedeuteten Ursachen zerstört ward. Und darum hat es uns eine außerordentliche Freude gemacht, als wir die Kirchenverwaltung der Kathedrale Unserer Lieben Frauen zu Antwerpen hierin im Großen mit gutem Beispiele vorangehen sahen. Die Chorstühle werden, wenn wir uns nicht irren, aus Linden¬ holz angefertigt werden und ganz im Style der Kirche selbst sein. Man kann nach denjenigen, welche schon placirt sind, sich vollkom¬ men eine Idee von dem Gesammteindruck dieser schönen Arbeit machen. Da der Umkreis des Chors von sechs massiven Pfeilern gebildet wird und sich in der Säulenweite im Hintergrunde lediglich der Altar befand, so hatte der Bildhauer noch sechs Räume, drei auf jeder Seite auszufüllen. Herr Geerts aus Löwen nun, der mit dieser Arbeit beauftragt worden, hat die Sache folgendermaßen angeordnet. Der Altar wird von den Chorstühlen durch ein durch¬ brochenes, hölzernes Geländer getrennt werden, das nach rechts und links hin von einem Pfeiler bis zum andern sich zieht, und dessen rechte Seite schon angebracht ist. Es blieben also von jeder Seite nur noch zwei Säulenweiten auszufüllen, deren Mitte durch einen Pfeiler bezeichnet wird. Auf diesem Pfeiler soll sich nun eine Art sehr schmaler und sehr schlanker gothischer Thurmspitze erheben, die, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/410>, abgerufen am 26.08.2024.