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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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kürlich aber brachen wir in folgende Worte aus, welche den durch
diesen Anblick in uns geweckten Gedanken entsprachen:

"Wie! Das also ist diese zügellose, so schnelle Kraft der Loco-
motive, von der wir fast zum Schwindel gebracht wurden, als sie
uns zum ersten Male auf ihren umflammten Rädern fortriß und
wir Dörfer, Wälder und Ebenen wie schattenhafte Traumbilder an
uns vorbeifliegen sahen! So große Schnelligkeit aus dem Erdboden
und solche Langsamkeit, wenn man um fünfhundert Fuß höher ist!
Und doch glaubte die Materie schon den Fittigen des Vogels Trotz
bieten zu können, und strebt schon selbst den Schwingen des Gedan¬
kens vorauszueilen, und der Geist unserer Zeiten ist schon gar nahe
daran, trunken von dem Zauber seiner eigenen Wunderwerke auszu¬
rufen: "Was denkt wohl Gott von seiner Creatur, wenn er sie so
die Entfernung des Raumes verschlingen sieht? Ach! Gott sieht sie
immer kriechen, da kaum aus halbem Wege zu den Wolken, ein
Menschenauge schon das Bewußtsein dieser den Athem versetzenden
Geschwindigkeit verliert, die es eben noch blendete."

Indessen war es Nacht geworden und meine Blicke hoben sich
zu dem funkelnden Lichte einiger Sterne empor, welche durch die
nebligte Decke eines Herbsthimmels hindurchzuschimmern vermochten,
und ich bedachte, wie auch wir und diese Erde, die uns trägt, zwischen
Millionen von Sonnen mit einer Schnelligkeit uns bewegen, welcher
die der Kanonenkugel noch gar fern steht, und wie wir wiederum
auch diese Geschwindigkeit nicht gewahr werden. Darauf dann wandten
sich meine Gedanken zum Menschen und den verschiedenen Werken
zurück, die er von Jahrhundert zu Jahrhundert erfüllt, und es be-
dünkte mir, daß, wenn der Charakter einer verschwundenen Gesell¬
schaft sich in den ruhenden Monumenten der Vergangenheit kund
giebt, jene große Erscheinung der vorüberbrausenden Dampfwagen,
die ich eben beobachtet, der bewegliche und flüchtige Ausdruck unserer
Zeit sei und daß in einer solchen Entfernung davon, als diemeinige
jetzt war, der Vergleich nicht eben zu unserem Vortheile aufschlüge.
Das Werk jener spirttualistischm Zeit schwebt noch in seiner Unbe-
weglichkeit hoch über den Staunen erregenden Entdeckungen, welche
den Stolz einer neuen, im Kampfe mit der Materie begriffenen Ge¬
sellschaft ausmachen. Sie arbeiteten in die Höhe, wir schleppen
uns auf der Oberfläche hin. Wir mögen immerhin unsere Erobe-


kürlich aber brachen wir in folgende Worte aus, welche den durch
diesen Anblick in uns geweckten Gedanken entsprachen:

„Wie! Das also ist diese zügellose, so schnelle Kraft der Loco-
motive, von der wir fast zum Schwindel gebracht wurden, als sie
uns zum ersten Male auf ihren umflammten Rädern fortriß und
wir Dörfer, Wälder und Ebenen wie schattenhafte Traumbilder an
uns vorbeifliegen sahen! So große Schnelligkeit aus dem Erdboden
und solche Langsamkeit, wenn man um fünfhundert Fuß höher ist!
Und doch glaubte die Materie schon den Fittigen des Vogels Trotz
bieten zu können, und strebt schon selbst den Schwingen des Gedan¬
kens vorauszueilen, und der Geist unserer Zeiten ist schon gar nahe
daran, trunken von dem Zauber seiner eigenen Wunderwerke auszu¬
rufen: „Was denkt wohl Gott von seiner Creatur, wenn er sie so
die Entfernung des Raumes verschlingen sieht? Ach! Gott sieht sie
immer kriechen, da kaum aus halbem Wege zu den Wolken, ein
Menschenauge schon das Bewußtsein dieser den Athem versetzenden
Geschwindigkeit verliert, die es eben noch blendete."

Indessen war es Nacht geworden und meine Blicke hoben sich
zu dem funkelnden Lichte einiger Sterne empor, welche durch die
nebligte Decke eines Herbsthimmels hindurchzuschimmern vermochten,
und ich bedachte, wie auch wir und diese Erde, die uns trägt, zwischen
Millionen von Sonnen mit einer Schnelligkeit uns bewegen, welcher
die der Kanonenkugel noch gar fern steht, und wie wir wiederum
auch diese Geschwindigkeit nicht gewahr werden. Darauf dann wandten
sich meine Gedanken zum Menschen und den verschiedenen Werken
zurück, die er von Jahrhundert zu Jahrhundert erfüllt, und es be-
dünkte mir, daß, wenn der Charakter einer verschwundenen Gesell¬
schaft sich in den ruhenden Monumenten der Vergangenheit kund
giebt, jene große Erscheinung der vorüberbrausenden Dampfwagen,
die ich eben beobachtet, der bewegliche und flüchtige Ausdruck unserer
Zeit sei und daß in einer solchen Entfernung davon, als diemeinige
jetzt war, der Vergleich nicht eben zu unserem Vortheile aufschlüge.
Das Werk jener spirttualistischm Zeit schwebt noch in seiner Unbe-
weglichkeit hoch über den Staunen erregenden Entdeckungen, welche
den Stolz einer neuen, im Kampfe mit der Materie begriffenen Ge¬
sellschaft ausmachen. Sie arbeiteten in die Höhe, wir schleppen
uns auf der Oberfläche hin. Wir mögen immerhin unsere Erobe-


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[0407] kürlich aber brachen wir in folgende Worte aus, welche den durch diesen Anblick in uns geweckten Gedanken entsprachen: „Wie! Das also ist diese zügellose, so schnelle Kraft der Loco- motive, von der wir fast zum Schwindel gebracht wurden, als sie uns zum ersten Male auf ihren umflammten Rädern fortriß und wir Dörfer, Wälder und Ebenen wie schattenhafte Traumbilder an uns vorbeifliegen sahen! So große Schnelligkeit aus dem Erdboden und solche Langsamkeit, wenn man um fünfhundert Fuß höher ist! Und doch glaubte die Materie schon den Fittigen des Vogels Trotz bieten zu können, und strebt schon selbst den Schwingen des Gedan¬ kens vorauszueilen, und der Geist unserer Zeiten ist schon gar nahe daran, trunken von dem Zauber seiner eigenen Wunderwerke auszu¬ rufen: „Was denkt wohl Gott von seiner Creatur, wenn er sie so die Entfernung des Raumes verschlingen sieht? Ach! Gott sieht sie immer kriechen, da kaum aus halbem Wege zu den Wolken, ein Menschenauge schon das Bewußtsein dieser den Athem versetzenden Geschwindigkeit verliert, die es eben noch blendete." Indessen war es Nacht geworden und meine Blicke hoben sich zu dem funkelnden Lichte einiger Sterne empor, welche durch die nebligte Decke eines Herbsthimmels hindurchzuschimmern vermochten, und ich bedachte, wie auch wir und diese Erde, die uns trägt, zwischen Millionen von Sonnen mit einer Schnelligkeit uns bewegen, welcher die der Kanonenkugel noch gar fern steht, und wie wir wiederum auch diese Geschwindigkeit nicht gewahr werden. Darauf dann wandten sich meine Gedanken zum Menschen und den verschiedenen Werken zurück, die er von Jahrhundert zu Jahrhundert erfüllt, und es be- dünkte mir, daß, wenn der Charakter einer verschwundenen Gesell¬ schaft sich in den ruhenden Monumenten der Vergangenheit kund giebt, jene große Erscheinung der vorüberbrausenden Dampfwagen, die ich eben beobachtet, der bewegliche und flüchtige Ausdruck unserer Zeit sei und daß in einer solchen Entfernung davon, als diemeinige jetzt war, der Vergleich nicht eben zu unserem Vortheile aufschlüge. Das Werk jener spirttualistischm Zeit schwebt noch in seiner Unbe- weglichkeit hoch über den Staunen erregenden Entdeckungen, welche den Stolz einer neuen, im Kampfe mit der Materie begriffenen Ge¬ sellschaft ausmachen. Sie arbeiteten in die Höhe, wir schleppen uns auf der Oberfläche hin. Wir mögen immerhin unsere Erobe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/407>, abgerufen am 26.08.2024.