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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Architekten höhnisch herabzusehen. Der Niese der Scheide dagegen
steht in seiner Herrlichkeit einsam da. Die Fahrzeuge, die aus der"
sturmgepeitschten Nordsee einherwogen, neigen grüßend ihre luftigen
Häupter vor ihm, als einem jener Leuchtthürme der Civilisation, welche
weit in die Ferne hinaus den Glanz eines reichen, gewerbthättgen
Volkes strahlen. Und von der Landseite her giebt es zehn Meilen
in der Runde auch nicht eine Stadt, deren Bild man nicht in schat¬
tenhaften Umrissen von seiner in die Wolken ragenden Spitze erblickte.
Es ist eine großartige, imponirende Aussicht, die man von der Höhe
der letzten Galerie herab genießt. So hat Schreiber dieser Zeilen
erst neulich noch Gelegenheit gehabt, in Folge dieses unvergleichlichen
Standpunktes einen Gegensatz zu bewundern, durch den er die Schön¬
heit dieser Denkmale einer verschwundenen Zeit tiefer als je er¬
kannt hat.

Die Eisenbahn, welche Brüssel und Antwerpen mit einander
verbindet, liegt bekanntlich ganz in dem Gesichtskreise, den der Be¬
obachter von diesem hohen Standpunkte aus überschauen kann. Der
Thurm der Se. Romualds-Kirche in Mecheln scheint ein ungeheurer
Pfahl zu sein, der absichtlich hier hingestellt worden, um einen Punkt
in der Mitte der Bahn zu bezeichnen. In dem Momente, da wir
unsere Augen auf diese zauberkräftige Bahn warfen, auf welcher
mit der Schnelligkeit des Vogelfluges der eherne Hippogryph dahin
rennt, ging ein Wagenzug ab, während ein anderer in die Station
hineinkam. Da die Luft mit feuchten Bestandtheilen schwer beladen
war, so erhielten die hohen Säulen des aufwirbelnden Dampfes
eine weißliche Farbe und wurden dadurch unseren Augen sichtbar.
Der ankommende Convoi schien sich mühsam auf dem Boden hinzu¬
schleppen ; der abgehende, der noch langsamer war, kroch dahin gleich
einer Schnecke, die über einen Weg geht. Trotz dessen entfernte er
sich fortwährend und lange noch verfolgte ich ihn mit meinen Blicken.
Sein Dampfbanner verrieth ihn durch die Windungen des Bodens
hindurch, hinter denen er zuweilen verschwand, und bezeichnete seinen
Durchzug durch die Dörfer und kleinen Waldfleckcn, welche dem
eintönigen Anblick dieser reichen Gefilde einige Abwechselung verlei¬
hen. Wäre es nicht Abend geworden, so hätten wir ihn vielleicht
bis zu der Mechelner Station sehen können, deren zahlreiche Lichter
weithin am Horizont einen matten Glanzschein verbreiteten. Unwill-


Architekten höhnisch herabzusehen. Der Niese der Scheide dagegen
steht in seiner Herrlichkeit einsam da. Die Fahrzeuge, die aus der"
sturmgepeitschten Nordsee einherwogen, neigen grüßend ihre luftigen
Häupter vor ihm, als einem jener Leuchtthürme der Civilisation, welche
weit in die Ferne hinaus den Glanz eines reichen, gewerbthättgen
Volkes strahlen. Und von der Landseite her giebt es zehn Meilen
in der Runde auch nicht eine Stadt, deren Bild man nicht in schat¬
tenhaften Umrissen von seiner in die Wolken ragenden Spitze erblickte.
Es ist eine großartige, imponirende Aussicht, die man von der Höhe
der letzten Galerie herab genießt. So hat Schreiber dieser Zeilen
erst neulich noch Gelegenheit gehabt, in Folge dieses unvergleichlichen
Standpunktes einen Gegensatz zu bewundern, durch den er die Schön¬
heit dieser Denkmale einer verschwundenen Zeit tiefer als je er¬
kannt hat.

Die Eisenbahn, welche Brüssel und Antwerpen mit einander
verbindet, liegt bekanntlich ganz in dem Gesichtskreise, den der Be¬
obachter von diesem hohen Standpunkte aus überschauen kann. Der
Thurm der Se. Romualds-Kirche in Mecheln scheint ein ungeheurer
Pfahl zu sein, der absichtlich hier hingestellt worden, um einen Punkt
in der Mitte der Bahn zu bezeichnen. In dem Momente, da wir
unsere Augen auf diese zauberkräftige Bahn warfen, auf welcher
mit der Schnelligkeit des Vogelfluges der eherne Hippogryph dahin
rennt, ging ein Wagenzug ab, während ein anderer in die Station
hineinkam. Da die Luft mit feuchten Bestandtheilen schwer beladen
war, so erhielten die hohen Säulen des aufwirbelnden Dampfes
eine weißliche Farbe und wurden dadurch unseren Augen sichtbar.
Der ankommende Convoi schien sich mühsam auf dem Boden hinzu¬
schleppen ; der abgehende, der noch langsamer war, kroch dahin gleich
einer Schnecke, die über einen Weg geht. Trotz dessen entfernte er
sich fortwährend und lange noch verfolgte ich ihn mit meinen Blicken.
Sein Dampfbanner verrieth ihn durch die Windungen des Bodens
hindurch, hinter denen er zuweilen verschwand, und bezeichnete seinen
Durchzug durch die Dörfer und kleinen Waldfleckcn, welche dem
eintönigen Anblick dieser reichen Gefilde einige Abwechselung verlei¬
hen. Wäre es nicht Abend geworden, so hätten wir ihn vielleicht
bis zu der Mechelner Station sehen können, deren zahlreiche Lichter
weithin am Horizont einen matten Glanzschein verbreiteten. Unwill-


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[0406] Architekten höhnisch herabzusehen. Der Niese der Scheide dagegen steht in seiner Herrlichkeit einsam da. Die Fahrzeuge, die aus der" sturmgepeitschten Nordsee einherwogen, neigen grüßend ihre luftigen Häupter vor ihm, als einem jener Leuchtthürme der Civilisation, welche weit in die Ferne hinaus den Glanz eines reichen, gewerbthättgen Volkes strahlen. Und von der Landseite her giebt es zehn Meilen in der Runde auch nicht eine Stadt, deren Bild man nicht in schat¬ tenhaften Umrissen von seiner in die Wolken ragenden Spitze erblickte. Es ist eine großartige, imponirende Aussicht, die man von der Höhe der letzten Galerie herab genießt. So hat Schreiber dieser Zeilen erst neulich noch Gelegenheit gehabt, in Folge dieses unvergleichlichen Standpunktes einen Gegensatz zu bewundern, durch den er die Schön¬ heit dieser Denkmale einer verschwundenen Zeit tiefer als je er¬ kannt hat. Die Eisenbahn, welche Brüssel und Antwerpen mit einander verbindet, liegt bekanntlich ganz in dem Gesichtskreise, den der Be¬ obachter von diesem hohen Standpunkte aus überschauen kann. Der Thurm der Se. Romualds-Kirche in Mecheln scheint ein ungeheurer Pfahl zu sein, der absichtlich hier hingestellt worden, um einen Punkt in der Mitte der Bahn zu bezeichnen. In dem Momente, da wir unsere Augen auf diese zauberkräftige Bahn warfen, auf welcher mit der Schnelligkeit des Vogelfluges der eherne Hippogryph dahin rennt, ging ein Wagenzug ab, während ein anderer in die Station hineinkam. Da die Luft mit feuchten Bestandtheilen schwer beladen war, so erhielten die hohen Säulen des aufwirbelnden Dampfes eine weißliche Farbe und wurden dadurch unseren Augen sichtbar. Der ankommende Convoi schien sich mühsam auf dem Boden hinzu¬ schleppen ; der abgehende, der noch langsamer war, kroch dahin gleich einer Schnecke, die über einen Weg geht. Trotz dessen entfernte er sich fortwährend und lange noch verfolgte ich ihn mit meinen Blicken. Sein Dampfbanner verrieth ihn durch die Windungen des Bodens hindurch, hinter denen er zuweilen verschwand, und bezeichnete seinen Durchzug durch die Dörfer und kleinen Waldfleckcn, welche dem eintönigen Anblick dieser reichen Gefilde einige Abwechselung verlei¬ hen. Wäre es nicht Abend geworden, so hätten wir ihn vielleicht bis zu der Mechelner Station sehen können, deren zahlreiche Lichter weithin am Horizont einen matten Glanzschein verbreiteten. Unwill-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/406>, abgerufen am 26.08.2024.