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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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aufmerksamer Beobachter stets ziemlich genaue Angaben der Jahres¬
zahlen findet. Appelmannö -- oder, wie ihn Andere nennen, Appe-
lius -- der Baumeister der Antwerpener Kathedrale hatte sein
Werk zu spät begonnen, als daß er hätte hoffen dürfen, man werde
ehrfurchtsvoll seinen Plan durchführen. So ist bis zum obern Ge¬
schoß das Einlaufen der Thurmspitze regelmäßig und unmerklich.
Von da aber sieht man sie mit einem Male dünner werden und
diese plötzlich eintretende Magerkeit des Gipfels schneidet nicht
allein das Profil auf eine unangenehme Weise ab, sondern nimmt
auch noch allzu gesuchte Formen an, welche der strengen Einfachheit
deS Ganzen Eintrag thun. DaS ist auch der Grund, weshalb die
Thurmspitze der Antwerpener Kathedrale, in Bezug auf Reinheit
und Majestät deö Styls, der des Straßburger Münsters nachsteht,
mit der sie sonst wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe in Vergleich ge¬
stellt werden kann. Was die Kuppel des Transept betrifft, so kann
man zwar nicht in Abrede stellen, daß sie, vom Pflaster der Kirche aus
gesehen, einen imponirenden Anblick bietet; doch kann man auch nicht
umhin, einzugestehen, daß die runden Kuppeln in griechischem Styl,
wie Michel Angelo's Genie sie gleichsam in der Luft schweben läßt,
auf den Geist des Beschauers einen lebhafteren, tieferen Eindruck
machen. Es ist dies gerade die einzige Beziehung, in welcher die
heidnische Kunst in ihrer Jdealisirung durch das Christenthum mit
der rein katholischen Kunst an Erhabenheit und Kühnheit einen
Wettstreit eingehen kann, der meist zu Gunsten der ersteren ausfällt.
Die gothische" Kuppeln nach Art derjenigen, von denen wir liier spre¬
chen, sind zu eng, als daß sie, gleich den andern, über das verhäng-
nißvolle Gesetz der Schwere zu triumphiren scheinen könnten. Nur
viejenigen Thürme, die, gleich denen zu Straßburg und zu Freiburg
im Breisgau, zu unermeßlich scheinenden Tiefen ausgeweidet sind,
können einen großartigeren Eindruck hervorbringen, als die weiten
Kuppeln, welche der der Se. Peters-Kirche nachgeahmt sind.

Die Kuppel der Antwerpener Kathedrale ist weit weniger eine
solche, als vielmehr eine Lanterne von ungeheuren Dimensionen.
Sie ist zu bauchige und im Aeußeren zu geschnörkelt, als daß sie
nicht auf das Auge einen unangenehmen Eindruck machen sollte^ und
wüßten wir nicht, daß sie aus dem Jahre !ö^4 ist, d. h. aus dem
Ende der dritten Umwandlungsepoche der Spitzbogen-Baukunst, so


aufmerksamer Beobachter stets ziemlich genaue Angaben der Jahres¬
zahlen findet. Appelmannö — oder, wie ihn Andere nennen, Appe-
lius — der Baumeister der Antwerpener Kathedrale hatte sein
Werk zu spät begonnen, als daß er hätte hoffen dürfen, man werde
ehrfurchtsvoll seinen Plan durchführen. So ist bis zum obern Ge¬
schoß das Einlaufen der Thurmspitze regelmäßig und unmerklich.
Von da aber sieht man sie mit einem Male dünner werden und
diese plötzlich eintretende Magerkeit des Gipfels schneidet nicht
allein das Profil auf eine unangenehme Weise ab, sondern nimmt
auch noch allzu gesuchte Formen an, welche der strengen Einfachheit
deS Ganzen Eintrag thun. DaS ist auch der Grund, weshalb die
Thurmspitze der Antwerpener Kathedrale, in Bezug auf Reinheit
und Majestät deö Styls, der des Straßburger Münsters nachsteht,
mit der sie sonst wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe in Vergleich ge¬
stellt werden kann. Was die Kuppel des Transept betrifft, so kann
man zwar nicht in Abrede stellen, daß sie, vom Pflaster der Kirche aus
gesehen, einen imponirenden Anblick bietet; doch kann man auch nicht
umhin, einzugestehen, daß die runden Kuppeln in griechischem Styl,
wie Michel Angelo's Genie sie gleichsam in der Luft schweben läßt,
auf den Geist des Beschauers einen lebhafteren, tieferen Eindruck
machen. Es ist dies gerade die einzige Beziehung, in welcher die
heidnische Kunst in ihrer Jdealisirung durch das Christenthum mit
der rein katholischen Kunst an Erhabenheit und Kühnheit einen
Wettstreit eingehen kann, der meist zu Gunsten der ersteren ausfällt.
Die gothische» Kuppeln nach Art derjenigen, von denen wir liier spre¬
chen, sind zu eng, als daß sie, gleich den andern, über das verhäng-
nißvolle Gesetz der Schwere zu triumphiren scheinen könnten. Nur
viejenigen Thürme, die, gleich denen zu Straßburg und zu Freiburg
im Breisgau, zu unermeßlich scheinenden Tiefen ausgeweidet sind,
können einen großartigeren Eindruck hervorbringen, als die weiten
Kuppeln, welche der der Se. Peters-Kirche nachgeahmt sind.

Die Kuppel der Antwerpener Kathedrale ist weit weniger eine
solche, als vielmehr eine Lanterne von ungeheuren Dimensionen.
Sie ist zu bauchige und im Aeußeren zu geschnörkelt, als daß sie
nicht auf das Auge einen unangenehmen Eindruck machen sollte^ und
wüßten wir nicht, daß sie aus dem Jahre !ö^4 ist, d. h. aus dem
Ende der dritten Umwandlungsepoche der Spitzbogen-Baukunst, so


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[0404] aufmerksamer Beobachter stets ziemlich genaue Angaben der Jahres¬ zahlen findet. Appelmannö — oder, wie ihn Andere nennen, Appe- lius — der Baumeister der Antwerpener Kathedrale hatte sein Werk zu spät begonnen, als daß er hätte hoffen dürfen, man werde ehrfurchtsvoll seinen Plan durchführen. So ist bis zum obern Ge¬ schoß das Einlaufen der Thurmspitze regelmäßig und unmerklich. Von da aber sieht man sie mit einem Male dünner werden und diese plötzlich eintretende Magerkeit des Gipfels schneidet nicht allein das Profil auf eine unangenehme Weise ab, sondern nimmt auch noch allzu gesuchte Formen an, welche der strengen Einfachheit deS Ganzen Eintrag thun. DaS ist auch der Grund, weshalb die Thurmspitze der Antwerpener Kathedrale, in Bezug auf Reinheit und Majestät deö Styls, der des Straßburger Münsters nachsteht, mit der sie sonst wegen ihrer ungewöhnlichen Höhe in Vergleich ge¬ stellt werden kann. Was die Kuppel des Transept betrifft, so kann man zwar nicht in Abrede stellen, daß sie, vom Pflaster der Kirche aus gesehen, einen imponirenden Anblick bietet; doch kann man auch nicht umhin, einzugestehen, daß die runden Kuppeln in griechischem Styl, wie Michel Angelo's Genie sie gleichsam in der Luft schweben läßt, auf den Geist des Beschauers einen lebhafteren, tieferen Eindruck machen. Es ist dies gerade die einzige Beziehung, in welcher die heidnische Kunst in ihrer Jdealisirung durch das Christenthum mit der rein katholischen Kunst an Erhabenheit und Kühnheit einen Wettstreit eingehen kann, der meist zu Gunsten der ersteren ausfällt. Die gothische» Kuppeln nach Art derjenigen, von denen wir liier spre¬ chen, sind zu eng, als daß sie, gleich den andern, über das verhäng- nißvolle Gesetz der Schwere zu triumphiren scheinen könnten. Nur viejenigen Thürme, die, gleich denen zu Straßburg und zu Freiburg im Breisgau, zu unermeßlich scheinenden Tiefen ausgeweidet sind, können einen großartigeren Eindruck hervorbringen, als die weiten Kuppeln, welche der der Se. Peters-Kirche nachgeahmt sind. Die Kuppel der Antwerpener Kathedrale ist weit weniger eine solche, als vielmehr eine Lanterne von ungeheuren Dimensionen. Sie ist zu bauchige und im Aeußeren zu geschnörkelt, als daß sie nicht auf das Auge einen unangenehmen Eindruck machen sollte^ und wüßten wir nicht, daß sie aus dem Jahre !ö^4 ist, d. h. aus dem Ende der dritten Umwandlungsepoche der Spitzbogen-Baukunst, so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/404>, abgerufen am 26.08.2024.