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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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die Zierde dieses Theaters. Er war so geistreich, daß er nicht allem
die Menge, sondern auch eine große Anzahl Schriftsteller, Maler
und andere Künstler in dieses elende Theater auf dem Boulevard
du Temple lockte. Ich gehörte in jener Zeit fast zu den täglichen
Besuchern der FunambuleS und ich erinnere mich, daß unsere ganze
Gesellschaft gewöhnlich eine Loge dicht an der Bühne inne hatte,
von wo ans wir uns mit dem Schauspieler, der den Pterrot
(Hanswurst -- Kasperl -- Staberl) gab, unterhalten konnten. Er
war so an uns gewöhnt und so vertraut mit uns, daß wir von
allen leckeren Gastmahlen, die er auf der Bühne genoß, regelmäßig
unsern Theil bekamen.

Jüngst nun war ich einmal unserer großen Sänger und Sän¬
gerinnen, unserer großen Schauspieler und Schauspielerinnen in Luft-
und Trauerspiel überdrüssig und satt und beschloß, in Erinnerung der
fröhlichen Stunden, die ich in diesem Winkcltheater verbracht, wieder
in dasselbe einzutreten. Anfangs schwankte ich etwas, wie dies immer
der Fall ist, wenn man eine Person oder Sache wiedersehen soll, die
Einem früher gefallen hat, von der man aber, weil man sie lange
nicht gesehen, nicht weiß, ob es jetzt wieder der Fall sein werde.
Besonders flößte mir der Umstand Besorgnis? ein, daß das Theater
überweißt und angestrichen worden war und fast ein sauberes Aus¬
sehen hatte. Als ich nun gar im Orchester eine Verstärkung von
fünf oder sechs Blaseinstrumenten erblickte, fürchtete ich vollends, es
möchte dieses Theater etwa ein trauriges Anhängsel der komischen
Oper geworden sein und schickte mich schon an, fortzugehen. Da
ging glücklicher Weise der Bvrhang in die Höhe, und meine Be¬
sorgnisse nahmen ein fröhliches Eröe; denn ich erkannte bald, daß
sich das Theure deö FunambuleS siegreich auf seiner ursprüngliche"
Höhe zu behaupten verstanden habe und daß die Traditionen der
Kunst rein und unverfälscht in seinen Mauern, wie in einem
schützenden Heiligthum, bewahrt worden waren.

Das Theater stellte eine Straße, einen öffentlichen Platz dar,
ganz wie in einem Stücke des alten classischen Lustspiels. Pierrot
geht auf und ab, die Hände stecken in den Taschen, sein Kopf hängt
auf die Brust nieder, sein Gang ist schleppend; er ist traurig, eine
geheime Melancholie zehrt an, seiner Seele. Sein Herz ist leer und
seine Börse in einem ähnlichen Zustande, woe sein Herz. Cassandrc,


die Zierde dieses Theaters. Er war so geistreich, daß er nicht allem
die Menge, sondern auch eine große Anzahl Schriftsteller, Maler
und andere Künstler in dieses elende Theater auf dem Boulevard
du Temple lockte. Ich gehörte in jener Zeit fast zu den täglichen
Besuchern der FunambuleS und ich erinnere mich, daß unsere ganze
Gesellschaft gewöhnlich eine Loge dicht an der Bühne inne hatte,
von wo ans wir uns mit dem Schauspieler, der den Pterrot
(Hanswurst — Kasperl — Staberl) gab, unterhalten konnten. Er
war so an uns gewöhnt und so vertraut mit uns, daß wir von
allen leckeren Gastmahlen, die er auf der Bühne genoß, regelmäßig
unsern Theil bekamen.

Jüngst nun war ich einmal unserer großen Sänger und Sän¬
gerinnen, unserer großen Schauspieler und Schauspielerinnen in Luft-
und Trauerspiel überdrüssig und satt und beschloß, in Erinnerung der
fröhlichen Stunden, die ich in diesem Winkcltheater verbracht, wieder
in dasselbe einzutreten. Anfangs schwankte ich etwas, wie dies immer
der Fall ist, wenn man eine Person oder Sache wiedersehen soll, die
Einem früher gefallen hat, von der man aber, weil man sie lange
nicht gesehen, nicht weiß, ob es jetzt wieder der Fall sein werde.
Besonders flößte mir der Umstand Besorgnis? ein, daß das Theater
überweißt und angestrichen worden war und fast ein sauberes Aus¬
sehen hatte. Als ich nun gar im Orchester eine Verstärkung von
fünf oder sechs Blaseinstrumenten erblickte, fürchtete ich vollends, es
möchte dieses Theater etwa ein trauriges Anhängsel der komischen
Oper geworden sein und schickte mich schon an, fortzugehen. Da
ging glücklicher Weise der Bvrhang in die Höhe, und meine Be¬
sorgnisse nahmen ein fröhliches Eröe; denn ich erkannte bald, daß
sich das Theure deö FunambuleS siegreich auf seiner ursprüngliche»
Höhe zu behaupten verstanden habe und daß die Traditionen der
Kunst rein und unverfälscht in seinen Mauern, wie in einem
schützenden Heiligthum, bewahrt worden waren.

Das Theater stellte eine Straße, einen öffentlichen Platz dar,
ganz wie in einem Stücke des alten classischen Lustspiels. Pierrot
geht auf und ab, die Hände stecken in den Taschen, sein Kopf hängt
auf die Brust nieder, sein Gang ist schleppend; er ist traurig, eine
geheime Melancholie zehrt an, seiner Seele. Sein Herz ist leer und
seine Börse in einem ähnlichen Zustande, woe sein Herz. Cassandrc,


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[0383] die Zierde dieses Theaters. Er war so geistreich, daß er nicht allem die Menge, sondern auch eine große Anzahl Schriftsteller, Maler und andere Künstler in dieses elende Theater auf dem Boulevard du Temple lockte. Ich gehörte in jener Zeit fast zu den täglichen Besuchern der FunambuleS und ich erinnere mich, daß unsere ganze Gesellschaft gewöhnlich eine Loge dicht an der Bühne inne hatte, von wo ans wir uns mit dem Schauspieler, der den Pterrot (Hanswurst — Kasperl — Staberl) gab, unterhalten konnten. Er war so an uns gewöhnt und so vertraut mit uns, daß wir von allen leckeren Gastmahlen, die er auf der Bühne genoß, regelmäßig unsern Theil bekamen. Jüngst nun war ich einmal unserer großen Sänger und Sän¬ gerinnen, unserer großen Schauspieler und Schauspielerinnen in Luft- und Trauerspiel überdrüssig und satt und beschloß, in Erinnerung der fröhlichen Stunden, die ich in diesem Winkcltheater verbracht, wieder in dasselbe einzutreten. Anfangs schwankte ich etwas, wie dies immer der Fall ist, wenn man eine Person oder Sache wiedersehen soll, die Einem früher gefallen hat, von der man aber, weil man sie lange nicht gesehen, nicht weiß, ob es jetzt wieder der Fall sein werde. Besonders flößte mir der Umstand Besorgnis? ein, daß das Theater überweißt und angestrichen worden war und fast ein sauberes Aus¬ sehen hatte. Als ich nun gar im Orchester eine Verstärkung von fünf oder sechs Blaseinstrumenten erblickte, fürchtete ich vollends, es möchte dieses Theater etwa ein trauriges Anhängsel der komischen Oper geworden sein und schickte mich schon an, fortzugehen. Da ging glücklicher Weise der Bvrhang in die Höhe, und meine Be¬ sorgnisse nahmen ein fröhliches Eröe; denn ich erkannte bald, daß sich das Theure deö FunambuleS siegreich auf seiner ursprüngliche» Höhe zu behaupten verstanden habe und daß die Traditionen der Kunst rein und unverfälscht in seinen Mauern, wie in einem schützenden Heiligthum, bewahrt worden waren. Das Theater stellte eine Straße, einen öffentlichen Platz dar, ganz wie in einem Stücke des alten classischen Lustspiels. Pierrot geht auf und ab, die Hände stecken in den Taschen, sein Kopf hängt auf die Brust nieder, sein Gang ist schleppend; er ist traurig, eine geheime Melancholie zehrt an, seiner Seele. Sein Herz ist leer und seine Börse in einem ähnlichen Zustande, woe sein Herz. Cassandrc,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/383>, abgerufen am 03.07.2024.