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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Zonen, war es das Vertiefen in die geheimste Werkstätte, in
alle Labyrinthe und Winkelzüge des Naturschaffens, in die Sitten,
das Gemüth und den Haushalt jedweden Thieres, in Land, Luft,
Wasser und Schlamm, von dem schlaflosen, luftigen Vogel bis
zum trägsten Polypen des Göttinger Stadtgrabens, woran das
derbe, unerschöpfliche Witzgmie sich in ihm entwickelt hatte, diese
ungeschlachte Calemberger Gradheit, dieser Ueberfluß Von Laune,
von Einfällen und Schlagwörtern, die, gleich den hundert Kin¬
dern des Nilgottcö, sich um ihn her tummelten? Blumenbach
wohnte in dem am Thierreich, an Käfern und Mückenschwärmen,
ergiebigsten Quartier Göttingens) in der dichten Laube seines
Gärtchens, wo er Kaffee trank, rraminirte und belauschte er jede
sangbare Kreatur, welche ihm seine "Lieferanten," die Straßen-
bubcn, herbeischleppten. Hätte der Mann da auf und vor dem
Katheder, -- denn er wandelte beständig, wenn er lehrte, --
nicht im Knopfloch seines schlotternden blauen Fracks den Wel-
fenvrden, das verführerische Idol der GeorgSaugustianer, ge¬
tragen, so würde man sich eingebildet haben, man wohne einem
Larven- und Schattenspiel bei, und der greise, hohe Redner sei
berufen, den buntgmiischten Zug der Satyre, Faune, Elfen, Niren,
diese Phantasmagorie bepelzter, gefiederter, gepanzerter, bemalter
Wunderwesen zu deuten. Aber er that mehr, als ein gemeiner
Dolmetsch. Er riß der Natur die Maske vom Antlitz und zwang
sie mit unerheucheltem Laut uns anzuschreien. Blumenbach, vor¬
zugsweise mit dem Ehrennamen des "Alten" belegt, gehörte in die
frühere Heroenzeit der Lichtenberge, Kästner und Schlözer. Welch
einen reellen Dienst würden die mysteriösen Verfasser des berüchtigt
ten Buches über die Universität Göttingen der Lesewelt erzeigen,
wenn sie mit mehr historischem Gewissen, als in jener vergriffnen
satyrischen Schrift, all den Geist und Humor einsammeln wollten,
den Blumenbach während länger als einem halben Säculum vor
den Göttingern aufgesprüht, wohl gar verschleudert hat, und der,
wenn sich kein Biograph desselben annimmt, in der Tradition, bei
einem von Jahr zu Jahr witzärmern Geschlecht bald den Weg alles
Geistes und Fleisches gehen muß.




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Zonen, war es das Vertiefen in die geheimste Werkstätte, in
alle Labyrinthe und Winkelzüge des Naturschaffens, in die Sitten,
das Gemüth und den Haushalt jedweden Thieres, in Land, Luft,
Wasser und Schlamm, von dem schlaflosen, luftigen Vogel bis
zum trägsten Polypen des Göttinger Stadtgrabens, woran das
derbe, unerschöpfliche Witzgmie sich in ihm entwickelt hatte, diese
ungeschlachte Calemberger Gradheit, dieser Ueberfluß Von Laune,
von Einfällen und Schlagwörtern, die, gleich den hundert Kin¬
dern des Nilgottcö, sich um ihn her tummelten? Blumenbach
wohnte in dem am Thierreich, an Käfern und Mückenschwärmen,
ergiebigsten Quartier Göttingens) in der dichten Laube seines
Gärtchens, wo er Kaffee trank, rraminirte und belauschte er jede
sangbare Kreatur, welche ihm seine „Lieferanten," die Straßen-
bubcn, herbeischleppten. Hätte der Mann da auf und vor dem
Katheder, — denn er wandelte beständig, wenn er lehrte, —
nicht im Knopfloch seines schlotternden blauen Fracks den Wel-
fenvrden, das verführerische Idol der GeorgSaugustianer, ge¬
tragen, so würde man sich eingebildet haben, man wohne einem
Larven- und Schattenspiel bei, und der greise, hohe Redner sei
berufen, den buntgmiischten Zug der Satyre, Faune, Elfen, Niren,
diese Phantasmagorie bepelzter, gefiederter, gepanzerter, bemalter
Wunderwesen zu deuten. Aber er that mehr, als ein gemeiner
Dolmetsch. Er riß der Natur die Maske vom Antlitz und zwang
sie mit unerheucheltem Laut uns anzuschreien. Blumenbach, vor¬
zugsweise mit dem Ehrennamen des „Alten" belegt, gehörte in die
frühere Heroenzeit der Lichtenberge, Kästner und Schlözer. Welch
einen reellen Dienst würden die mysteriösen Verfasser des berüchtigt
ten Buches über die Universität Göttingen der Lesewelt erzeigen,
wenn sie mit mehr historischem Gewissen, als in jener vergriffnen
satyrischen Schrift, all den Geist und Humor einsammeln wollten,
den Blumenbach während länger als einem halben Säculum vor
den Göttingern aufgesprüht, wohl gar verschleudert hat, und der,
wenn sich kein Biograph desselben annimmt, in der Tradition, bei
einem von Jahr zu Jahr witzärmern Geschlecht bald den Weg alles
Geistes und Fleisches gehen muß.




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[0353] Zonen, war es das Vertiefen in die geheimste Werkstätte, in alle Labyrinthe und Winkelzüge des Naturschaffens, in die Sitten, das Gemüth und den Haushalt jedweden Thieres, in Land, Luft, Wasser und Schlamm, von dem schlaflosen, luftigen Vogel bis zum trägsten Polypen des Göttinger Stadtgrabens, woran das derbe, unerschöpfliche Witzgmie sich in ihm entwickelt hatte, diese ungeschlachte Calemberger Gradheit, dieser Ueberfluß Von Laune, von Einfällen und Schlagwörtern, die, gleich den hundert Kin¬ dern des Nilgottcö, sich um ihn her tummelten? Blumenbach wohnte in dem am Thierreich, an Käfern und Mückenschwärmen, ergiebigsten Quartier Göttingens) in der dichten Laube seines Gärtchens, wo er Kaffee trank, rraminirte und belauschte er jede sangbare Kreatur, welche ihm seine „Lieferanten," die Straßen- bubcn, herbeischleppten. Hätte der Mann da auf und vor dem Katheder, — denn er wandelte beständig, wenn er lehrte, — nicht im Knopfloch seines schlotternden blauen Fracks den Wel- fenvrden, das verführerische Idol der GeorgSaugustianer, ge¬ tragen, so würde man sich eingebildet haben, man wohne einem Larven- und Schattenspiel bei, und der greise, hohe Redner sei berufen, den buntgmiischten Zug der Satyre, Faune, Elfen, Niren, diese Phantasmagorie bepelzter, gefiederter, gepanzerter, bemalter Wunderwesen zu deuten. Aber er that mehr, als ein gemeiner Dolmetsch. Er riß der Natur die Maske vom Antlitz und zwang sie mit unerheucheltem Laut uns anzuschreien. Blumenbach, vor¬ zugsweise mit dem Ehrennamen des „Alten" belegt, gehörte in die frühere Heroenzeit der Lichtenberge, Kästner und Schlözer. Welch einen reellen Dienst würden die mysteriösen Verfasser des berüchtigt ten Buches über die Universität Göttingen der Lesewelt erzeigen, wenn sie mit mehr historischem Gewissen, als in jener vergriffnen satyrischen Schrift, all den Geist und Humor einsammeln wollten, den Blumenbach während länger als einem halben Säculum vor den Göttingern aufgesprüht, wohl gar verschleudert hat, und der, wenn sich kein Biograph desselben annimmt, in der Tradition, bei einem von Jahr zu Jahr witzärmern Geschlecht bald den Weg alles Geistes und Fleisches gehen muß. 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/353>, abgerufen am 23.07.2024.