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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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gesetzten Wege zum Ziel; der Genuß war bei ihm die Frucht der
Mühseligkeit, er schreckte durch Schweiß und Gähnen ab, um Den,
der ihm zu folgen wagte, desto reichliches zu belohnen. Er war
frei von allem .Theatereffekt, den so viele seiner Kollegen, Mediciner,
Theologen, und natürlich Privatdocenten, suchten oder suchen mußten.
In der quälenden Manier des Vertrages ging der Professor Eloquentiä,
Mitscherlich, noch über ihn, nur heilte oder vertuschte dieser Alles
noch mehr durch seine gleich riesenhafte Gelehrsamkeit und Berühmt¬
heit. Dissen'S Vorlesungen waren von einer Menge solcher Jüng¬
linge besucht, die des guten Tons- halber studirten, Barone, fürst¬
liche Studenten u. tgi. Er hatte in seiner Jugend mit einer
Anzahl wissenschaftslustiger Curländer lehrend, lernend, reisend ge¬
lebt, ganz seiner Vorliebe für das Alterthum hingegeben. Diese
Jahre pflegte er die glücklichsten seines Lebens zu nennen. Zu sei¬
nem Ruhme gereicht es endlich noch, daß er keinen "Grasentisch"
hatte, dieses obscurante Institut, womit ein Heeren, Blumenbach,
Bouterweck, Schulze, Hugo, Sartorius von Waltershausen u. A.
den Hörsaal zierten.

Einen schroffen Gegensatz zu einander bildeten Heeren und
Dcchlmann. Dieser, ganz ein Mann, ein römischer Consular, noch
mehr, ein nordischer Volksvertreter, fest, aufrecht, ein honorer, un¬
beugsamer Baß, der die Geschichte mit dem ehernen Munde eines
Richters, ruhig, hartherzig, doch mit unterlaufenden, aus dem
Grunde der Seele auftauchenden tragischen Klängen vortrug. Vor
Dahlmann's deutschem Sinn und eiserner Urtheilskraft, vor diesem
wortkargen Patrioten mußte die geschwätzige, schäumende, aus dem
Jahr 14 zugestutzte Großrednerei Saalfeld'ö, des Lieblings der
Füchse, in Staub zerfallen. Saalfeld stürzte halbjährlich den Bona¬
parte vom Thron, wie Menzel den Göthe, und er hatte den furcht¬
baren Gebrauch, all die Meisterwerke seiner Zunge in den Druck
zu geben/ Was Heeren betrifft, so war der seinerseits eine weib¬
liche, furchtsame, überlegungövolle Natur, eine gezogene, fistulirende
Stimme, ein spinnender, drehender Lehrvortrag, ein fleißiger, mütter¬
licher Haushalt mit ehelich erworbenen und eigenhändig verarbeiteten
Geschichtsschätzen, ein Freund des wohnlichen Hauses und der Ca-
binette, empfindlich gegen die Zugluft deö öffentlichen Lebens, höch¬
lichst delicat gegen unser Jahrhundert und einen Theil deö ver-


gesetzten Wege zum Ziel; der Genuß war bei ihm die Frucht der
Mühseligkeit, er schreckte durch Schweiß und Gähnen ab, um Den,
der ihm zu folgen wagte, desto reichliches zu belohnen. Er war
frei von allem .Theatereffekt, den so viele seiner Kollegen, Mediciner,
Theologen, und natürlich Privatdocenten, suchten oder suchen mußten.
In der quälenden Manier des Vertrages ging der Professor Eloquentiä,
Mitscherlich, noch über ihn, nur heilte oder vertuschte dieser Alles
noch mehr durch seine gleich riesenhafte Gelehrsamkeit und Berühmt¬
heit. Dissen'S Vorlesungen waren von einer Menge solcher Jüng¬
linge besucht, die des guten Tons- halber studirten, Barone, fürst¬
liche Studenten u. tgi. Er hatte in seiner Jugend mit einer
Anzahl wissenschaftslustiger Curländer lehrend, lernend, reisend ge¬
lebt, ganz seiner Vorliebe für das Alterthum hingegeben. Diese
Jahre pflegte er die glücklichsten seines Lebens zu nennen. Zu sei¬
nem Ruhme gereicht es endlich noch, daß er keinen „Grasentisch"
hatte, dieses obscurante Institut, womit ein Heeren, Blumenbach,
Bouterweck, Schulze, Hugo, Sartorius von Waltershausen u. A.
den Hörsaal zierten.

Einen schroffen Gegensatz zu einander bildeten Heeren und
Dcchlmann. Dieser, ganz ein Mann, ein römischer Consular, noch
mehr, ein nordischer Volksvertreter, fest, aufrecht, ein honorer, un¬
beugsamer Baß, der die Geschichte mit dem ehernen Munde eines
Richters, ruhig, hartherzig, doch mit unterlaufenden, aus dem
Grunde der Seele auftauchenden tragischen Klängen vortrug. Vor
Dahlmann's deutschem Sinn und eiserner Urtheilskraft, vor diesem
wortkargen Patrioten mußte die geschwätzige, schäumende, aus dem
Jahr 14 zugestutzte Großrednerei Saalfeld'ö, des Lieblings der
Füchse, in Staub zerfallen. Saalfeld stürzte halbjährlich den Bona¬
parte vom Thron, wie Menzel den Göthe, und er hatte den furcht¬
baren Gebrauch, all die Meisterwerke seiner Zunge in den Druck
zu geben/ Was Heeren betrifft, so war der seinerseits eine weib¬
liche, furchtsame, überlegungövolle Natur, eine gezogene, fistulirende
Stimme, ein spinnender, drehender Lehrvortrag, ein fleißiger, mütter¬
licher Haushalt mit ehelich erworbenen und eigenhändig verarbeiteten
Geschichtsschätzen, ein Freund des wohnlichen Hauses und der Ca-
binette, empfindlich gegen die Zugluft deö öffentlichen Lebens, höch¬
lichst delicat gegen unser Jahrhundert und einen Theil deö ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/351>, abgerufen am 26.08.2024.