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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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durch die so schätzenswerthe, so heilbringende Vereinigung der indu¬
striellen Beschäftigung mit Ackerbau und ländlichen Arbeiten von
Tag zu Tag minder möglich. Die sonst so bedeutende Anzahl jener
Klasse Landbewohner, welche neben ein oder zwei Morgen Landes,
die sie bebauten, noch einen Webestuhl oder ein fleißiges Spinnrad
im Gange hatten, nimmt immer mehr ab. Diese friedliche, ordnungs¬
liebende, arbeitsame, sparende Klasse der Bevölkerung ist durch die
Gewalt der Dinge immer mehr nach den Mittelpunkten industrieller
Thätigkeit hin zusammengedrängt worden; sie hat sich gezwungen
gesehen, aus freien, unabhängigen Landbewohnern zu Stadtbewoh¬
nern, zu Arbeitern in großen Werkstätten sich umzugestalten und bei
dieser Umwandlung hat sie leider auch ihre alten Tugenden gegen
Laster Vertauscht, die aus ihrer neuen Lage hervorgingen."

"Endlich ist auch die Entwicklung der mechanischen Kräfte die
Haupwrsache der Handelskrisen, welche mit einer periodischen Regel¬
mäßigkeit in unserer-Zeit wiederkehren und leider immer häusiger zu wer¬
den drohen. Die Maschinen treiben die Industrie zu einer maßlosen
Production, indem sie die Concurrenz noch mehr begünstigen, so daß
die Schranken der Vorsicht gar schnell überschritten werden. Dann
häufen sie in den Magazinen Massen von Waaren an, die trotz der
niedrigsten Preise keinen Absatz finden können, weil es an Consu-
nienten fehlt, so daß als natürliche Folge hiervon eine Arbeits-,
also auch Brotlosigkeit von Tausenden von Arbeitern aus teil nie¬
drigen Volksklassen eintritt, nachdem man diese eine Zeitlang vorher
zu einer übermäßigen, geistig entkräftenden Arbeit angespannt hat.
Denn was hat ein Arbeiter, der mit fünfzehn Jahren an einen
Webestuhl gesetzt worden ist, nach vielleicht vierzigjähriger Arbeit
gelernt? Etwa zwei oder drei automatenartige Bewegungen, die ihn
zu jeder anderen Beschäftigung fast untauglich machen, während sie
ihm, so bald seine Fabrik still steht, kein Brod geben können." So
weit Villerneo. '

Das Alles ist freilich sehr betrübsam; aber wo will man auch
hienieden eine Institution finden, die nicht neben ihrer guten auch
ihre schlimme, neben ihrer Licht- auch ihre Schattenseite hätte?
Wenn es keine reichen Fabrikherrn gäbe, so gäbe eS darum nicht
weniger elende Arbeiter; doch nein, wir täuschen uns, es gäbe ihrer
zwar weniger, aber warum? weil sie Hungers sterben müßten aus


durch die so schätzenswerthe, so heilbringende Vereinigung der indu¬
striellen Beschäftigung mit Ackerbau und ländlichen Arbeiten von
Tag zu Tag minder möglich. Die sonst so bedeutende Anzahl jener
Klasse Landbewohner, welche neben ein oder zwei Morgen Landes,
die sie bebauten, noch einen Webestuhl oder ein fleißiges Spinnrad
im Gange hatten, nimmt immer mehr ab. Diese friedliche, ordnungs¬
liebende, arbeitsame, sparende Klasse der Bevölkerung ist durch die
Gewalt der Dinge immer mehr nach den Mittelpunkten industrieller
Thätigkeit hin zusammengedrängt worden; sie hat sich gezwungen
gesehen, aus freien, unabhängigen Landbewohnern zu Stadtbewoh¬
nern, zu Arbeitern in großen Werkstätten sich umzugestalten und bei
dieser Umwandlung hat sie leider auch ihre alten Tugenden gegen
Laster Vertauscht, die aus ihrer neuen Lage hervorgingen."

„Endlich ist auch die Entwicklung der mechanischen Kräfte die
Haupwrsache der Handelskrisen, welche mit einer periodischen Regel¬
mäßigkeit in unserer-Zeit wiederkehren und leider immer häusiger zu wer¬
den drohen. Die Maschinen treiben die Industrie zu einer maßlosen
Production, indem sie die Concurrenz noch mehr begünstigen, so daß
die Schranken der Vorsicht gar schnell überschritten werden. Dann
häufen sie in den Magazinen Massen von Waaren an, die trotz der
niedrigsten Preise keinen Absatz finden können, weil es an Consu-
nienten fehlt, so daß als natürliche Folge hiervon eine Arbeits-,
also auch Brotlosigkeit von Tausenden von Arbeitern aus teil nie¬
drigen Volksklassen eintritt, nachdem man diese eine Zeitlang vorher
zu einer übermäßigen, geistig entkräftenden Arbeit angespannt hat.
Denn was hat ein Arbeiter, der mit fünfzehn Jahren an einen
Webestuhl gesetzt worden ist, nach vielleicht vierzigjähriger Arbeit
gelernt? Etwa zwei oder drei automatenartige Bewegungen, die ihn
zu jeder anderen Beschäftigung fast untauglich machen, während sie
ihm, so bald seine Fabrik still steht, kein Brod geben können." So
weit Villerneo. '

Das Alles ist freilich sehr betrübsam; aber wo will man auch
hienieden eine Institution finden, die nicht neben ihrer guten auch
ihre schlimme, neben ihrer Licht- auch ihre Schattenseite hätte?
Wenn es keine reichen Fabrikherrn gäbe, so gäbe eS darum nicht
weniger elende Arbeiter; doch nein, wir täuschen uns, es gäbe ihrer
zwar weniger, aber warum? weil sie Hungers sterben müßten aus


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[0322] durch die so schätzenswerthe, so heilbringende Vereinigung der indu¬ striellen Beschäftigung mit Ackerbau und ländlichen Arbeiten von Tag zu Tag minder möglich. Die sonst so bedeutende Anzahl jener Klasse Landbewohner, welche neben ein oder zwei Morgen Landes, die sie bebauten, noch einen Webestuhl oder ein fleißiges Spinnrad im Gange hatten, nimmt immer mehr ab. Diese friedliche, ordnungs¬ liebende, arbeitsame, sparende Klasse der Bevölkerung ist durch die Gewalt der Dinge immer mehr nach den Mittelpunkten industrieller Thätigkeit hin zusammengedrängt worden; sie hat sich gezwungen gesehen, aus freien, unabhängigen Landbewohnern zu Stadtbewoh¬ nern, zu Arbeitern in großen Werkstätten sich umzugestalten und bei dieser Umwandlung hat sie leider auch ihre alten Tugenden gegen Laster Vertauscht, die aus ihrer neuen Lage hervorgingen." „Endlich ist auch die Entwicklung der mechanischen Kräfte die Haupwrsache der Handelskrisen, welche mit einer periodischen Regel¬ mäßigkeit in unserer-Zeit wiederkehren und leider immer häusiger zu wer¬ den drohen. Die Maschinen treiben die Industrie zu einer maßlosen Production, indem sie die Concurrenz noch mehr begünstigen, so daß die Schranken der Vorsicht gar schnell überschritten werden. Dann häufen sie in den Magazinen Massen von Waaren an, die trotz der niedrigsten Preise keinen Absatz finden können, weil es an Consu- nienten fehlt, so daß als natürliche Folge hiervon eine Arbeits-, also auch Brotlosigkeit von Tausenden von Arbeitern aus teil nie¬ drigen Volksklassen eintritt, nachdem man diese eine Zeitlang vorher zu einer übermäßigen, geistig entkräftenden Arbeit angespannt hat. Denn was hat ein Arbeiter, der mit fünfzehn Jahren an einen Webestuhl gesetzt worden ist, nach vielleicht vierzigjähriger Arbeit gelernt? Etwa zwei oder drei automatenartige Bewegungen, die ihn zu jeder anderen Beschäftigung fast untauglich machen, während sie ihm, so bald seine Fabrik still steht, kein Brod geben können." So weit Villerneo. ' Das Alles ist freilich sehr betrübsam; aber wo will man auch hienieden eine Institution finden, die nicht neben ihrer guten auch ihre schlimme, neben ihrer Licht- auch ihre Schattenseite hätte? Wenn es keine reichen Fabrikherrn gäbe, so gäbe eS darum nicht weniger elende Arbeiter; doch nein, wir täuschen uns, es gäbe ihrer zwar weniger, aber warum? weil sie Hungers sterben müßten aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/322>, abgerufen am 26.08.2024.