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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ihre kostbarsten Zierrathen zu Gunsten der Unglücklichen zu seinen
Füßen niederlegten, Diese Geschichte hat mich stets sonderbar er¬
griffen und ich wollte, eS fände sich ein Schriftsteller, der in unserer
Zeit, bei dem immer tiefer in die Gesellschaft sich einfressenden Krebs¬
schaden des Pauperismus, so auf die Herzen zu wirken verstände.
Er müßte, wenn er die Glücklichen dieser Welt sür das wahre Elend
interessiren wollte, einfach sein wie die Wahrheit und streng wie das
Unglück. Er dürfte kein Menschenfreund von Profession sein, denn
diese prunkvolle Tugend, womit die Eitelkeit sich brüstet, ist heutzu¬
tage, da Jedermann weiß, daß die Philanthropie zu Nichts ver¬
pflichtet, in Mißcredit gekommen. Eben so wenig dürste er, dagegen
sträubt sich der Geist unserer Zeit, sein Buch im Kanzelstyle und
Predigertone schreiben; denn gar viele sogenannte starke Geister
würden gegen ihre eigene Ueberzeugung seinem Buche kein Gehör
geben, blos weil sie aus anderweitigen Gründen ein System der
Feindseligkeit gegen alle religiösen Gefühle befolgen.

Aber ach! ich fürchte fast, mein Schriftsteller ist nicht aufzufin¬
den. Denn wo lebt in unsrer Zeit noch in stiller Verborgenheit ein
Mann, der Talent und Herz genug besäße, um weder in Styl- noch
in Gedanken-Ercesse zu verfallen, um seine Gefühle von aller Ueber¬
treibung fern zu halten, um weder aus Glaubens- noch aus Par¬
tei-Rücksichten seine Darstellung auf die Spitze zu treiben, der
unzugänglich wäre den Täuschungen der Eitelkeit, der auf die
kleinen Triumphe der Eigenliebe mit gerechter Verachtung hinab¬
schaute, und den die Liebe zum Guten allein zu solchem Werke be¬
geisterte? Wo, frag' ich, weilt ein solcher Schriftsteller? Und doch
müßte er all diese Eigenschaften besitzen, um das zu thun, was ich
verlange, nämlich die übertriebene Empfindsamkeit der Weltkinder
zum Besten des Volkes zu lenken.

Ich habe oftmals von einer traurigen, gar rührenden Geschichte
geträumt, die ohne alle hinterlistige Einleitungen, ohne rednerische
Kunstmittel, ohne all jene Sprachschlingen erzählt werden müßte,
in die man selbst die einfachsten Dinge verwickelt; kurz/ eine Ge¬
schichte, nackt wie das Unglück und bei deren Vortrag man sich
alles Effecthaschens enthielte; denn durch die Sucht, überall drama¬
tische Effecte hervorzubringen, werden zuweilen die besten Ideen und
besonders die nützlichsten verdorben. Die Trauerlieder, die man


ihre kostbarsten Zierrathen zu Gunsten der Unglücklichen zu seinen
Füßen niederlegten, Diese Geschichte hat mich stets sonderbar er¬
griffen und ich wollte, eS fände sich ein Schriftsteller, der in unserer
Zeit, bei dem immer tiefer in die Gesellschaft sich einfressenden Krebs¬
schaden des Pauperismus, so auf die Herzen zu wirken verstände.
Er müßte, wenn er die Glücklichen dieser Welt sür das wahre Elend
interessiren wollte, einfach sein wie die Wahrheit und streng wie das
Unglück. Er dürfte kein Menschenfreund von Profession sein, denn
diese prunkvolle Tugend, womit die Eitelkeit sich brüstet, ist heutzu¬
tage, da Jedermann weiß, daß die Philanthropie zu Nichts ver¬
pflichtet, in Mißcredit gekommen. Eben so wenig dürste er, dagegen
sträubt sich der Geist unserer Zeit, sein Buch im Kanzelstyle und
Predigertone schreiben; denn gar viele sogenannte starke Geister
würden gegen ihre eigene Ueberzeugung seinem Buche kein Gehör
geben, blos weil sie aus anderweitigen Gründen ein System der
Feindseligkeit gegen alle religiösen Gefühle befolgen.

Aber ach! ich fürchte fast, mein Schriftsteller ist nicht aufzufin¬
den. Denn wo lebt in unsrer Zeit noch in stiller Verborgenheit ein
Mann, der Talent und Herz genug besäße, um weder in Styl- noch
in Gedanken-Ercesse zu verfallen, um seine Gefühle von aller Ueber¬
treibung fern zu halten, um weder aus Glaubens- noch aus Par¬
tei-Rücksichten seine Darstellung auf die Spitze zu treiben, der
unzugänglich wäre den Täuschungen der Eitelkeit, der auf die
kleinen Triumphe der Eigenliebe mit gerechter Verachtung hinab¬
schaute, und den die Liebe zum Guten allein zu solchem Werke be¬
geisterte? Wo, frag' ich, weilt ein solcher Schriftsteller? Und doch
müßte er all diese Eigenschaften besitzen, um das zu thun, was ich
verlange, nämlich die übertriebene Empfindsamkeit der Weltkinder
zum Besten des Volkes zu lenken.

Ich habe oftmals von einer traurigen, gar rührenden Geschichte
geträumt, die ohne alle hinterlistige Einleitungen, ohne rednerische
Kunstmittel, ohne all jene Sprachschlingen erzählt werden müßte,
in die man selbst die einfachsten Dinge verwickelt; kurz/ eine Ge¬
schichte, nackt wie das Unglück und bei deren Vortrag man sich
alles Effecthaschens enthielte; denn durch die Sucht, überall drama¬
tische Effecte hervorzubringen, werden zuweilen die besten Ideen und
besonders die nützlichsten verdorben. Die Trauerlieder, die man


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[0264] ihre kostbarsten Zierrathen zu Gunsten der Unglücklichen zu seinen Füßen niederlegten, Diese Geschichte hat mich stets sonderbar er¬ griffen und ich wollte, eS fände sich ein Schriftsteller, der in unserer Zeit, bei dem immer tiefer in die Gesellschaft sich einfressenden Krebs¬ schaden des Pauperismus, so auf die Herzen zu wirken verstände. Er müßte, wenn er die Glücklichen dieser Welt sür das wahre Elend interessiren wollte, einfach sein wie die Wahrheit und streng wie das Unglück. Er dürfte kein Menschenfreund von Profession sein, denn diese prunkvolle Tugend, womit die Eitelkeit sich brüstet, ist heutzu¬ tage, da Jedermann weiß, daß die Philanthropie zu Nichts ver¬ pflichtet, in Mißcredit gekommen. Eben so wenig dürste er, dagegen sträubt sich der Geist unserer Zeit, sein Buch im Kanzelstyle und Predigertone schreiben; denn gar viele sogenannte starke Geister würden gegen ihre eigene Ueberzeugung seinem Buche kein Gehör geben, blos weil sie aus anderweitigen Gründen ein System der Feindseligkeit gegen alle religiösen Gefühle befolgen. Aber ach! ich fürchte fast, mein Schriftsteller ist nicht aufzufin¬ den. Denn wo lebt in unsrer Zeit noch in stiller Verborgenheit ein Mann, der Talent und Herz genug besäße, um weder in Styl- noch in Gedanken-Ercesse zu verfallen, um seine Gefühle von aller Ueber¬ treibung fern zu halten, um weder aus Glaubens- noch aus Par¬ tei-Rücksichten seine Darstellung auf die Spitze zu treiben, der unzugänglich wäre den Täuschungen der Eitelkeit, der auf die kleinen Triumphe der Eigenliebe mit gerechter Verachtung hinab¬ schaute, und den die Liebe zum Guten allein zu solchem Werke be¬ geisterte? Wo, frag' ich, weilt ein solcher Schriftsteller? Und doch müßte er all diese Eigenschaften besitzen, um das zu thun, was ich verlange, nämlich die übertriebene Empfindsamkeit der Weltkinder zum Besten des Volkes zu lenken. Ich habe oftmals von einer traurigen, gar rührenden Geschichte geträumt, die ohne alle hinterlistige Einleitungen, ohne rednerische Kunstmittel, ohne all jene Sprachschlingen erzählt werden müßte, in die man selbst die einfachsten Dinge verwickelt; kurz/ eine Ge¬ schichte, nackt wie das Unglück und bei deren Vortrag man sich alles Effecthaschens enthielte; denn durch die Sucht, überall drama¬ tische Effecte hervorzubringen, werden zuweilen die besten Ideen und besonders die nützlichsten verdorben. Die Trauerlieder, die man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/264>, abgerufen am 26.08.2024.