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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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-- Ihr sollt eben nicht weinen! Denn Eure Herzenshärte und
Eure Selbstsucht rühren gerade davon her, daß Ihr feiger, weibischer
Weise über Alles weint. Weinet nicht im Theater, weinet nicht
während der Criminalverhandlungen der Assisenhofe, benetzet nicht
mit Thränen die Romane, die der pathetische Schriftsteller vielleicht
lachend geschrieben! Diese unablässige Zersplitterung Eures Gefühls
stumpft es zuletzt ab und wenn dann ernsthafte Austritte kommen,
welche der Thränen Zoll von Euch zu heischen berechtigt sind, so
finden sie Euch kalt und theilnahmlos und Euer Auge bleibt trocken,
Und Ihr, die Ihr glücklich seid und nicht zu weinen Ursache habt,
bewahret Eure Thränenperlen in Eures Herzens Schrein. Fordert
nicht verwegen durch grundlose Thränen die Traurigkeit heraus,
und fürchtet Nemesis Adrastcia, die reisende Göttin, auf daß sie nicht
plötzlich eine jener grausamen Wunden Euch schlage, die nimmer
vernarben, auf daß nicht des Unglücks bitterer Kelch Euch unvermu-
thet gereicht werde und Ihr dann schamroth werdet, daß Ihr über
all das falsche Bücherelend, über jeden erdichteten Jammer alltägliche
Thränen vergossen habt. Dann werdet Ihr Euch einschließen, um
zu weinen. Ihr werdet dann keine Zuschauer suchen, die Eure
Rührung mit ansehen: und sollte mitten in Eure Einsamkeit ein
Unwillkommener sich eindrängen, so wird Euer Schmerz plötzlich
verstummen, Ihr werdet dem Fremdling ein ruhiges, ungetrübtes
Gesicht zeigen, das wie ein Jsisschleier über das Heiligthum Eure
Trauer gebreitet sein wird. Denn alsdann werdet Ihr fühlen, was
ich schon längst inne geworden, daß eS eine unerträgliche Beleidigung
ist, wenn der Salonpöbel Euch lobt und von Euch sagt: diese Per¬
son ist von einer überaus zarten Empfindlichkeit.

Ich meinerseits wünschte, es wüßte irgend ein Schriftsteller, der
das-Pathetische zu hehandelir versteht, einen Nutzen aus dieser mü¬
ßigen Empfindsamkeit zu ziehen; ich wünschte, daß diejenigen, die in
ihrer unmittelbaren Nähe und Umgebung keine Gelegenheit zu jenen
Schmerzen finden, nach denen sie so begierig sind, durch die Worte
einer beredten Feder zum Besten der großen Familie der Menschheit
gerührt und bewegt würden. Man erzählt eine Geschichte von
einem Prediger, der so salbungsrcich über Mitleid und Menschen¬
liebe predigte, daß in allen Städten, wo er für die Armen
seinen Eiser erglühen ließ, die Frauen ihren Schmuck, die Männer


— Ihr sollt eben nicht weinen! Denn Eure Herzenshärte und
Eure Selbstsucht rühren gerade davon her, daß Ihr feiger, weibischer
Weise über Alles weint. Weinet nicht im Theater, weinet nicht
während der Criminalverhandlungen der Assisenhofe, benetzet nicht
mit Thränen die Romane, die der pathetische Schriftsteller vielleicht
lachend geschrieben! Diese unablässige Zersplitterung Eures Gefühls
stumpft es zuletzt ab und wenn dann ernsthafte Austritte kommen,
welche der Thränen Zoll von Euch zu heischen berechtigt sind, so
finden sie Euch kalt und theilnahmlos und Euer Auge bleibt trocken,
Und Ihr, die Ihr glücklich seid und nicht zu weinen Ursache habt,
bewahret Eure Thränenperlen in Eures Herzens Schrein. Fordert
nicht verwegen durch grundlose Thränen die Traurigkeit heraus,
und fürchtet Nemesis Adrastcia, die reisende Göttin, auf daß sie nicht
plötzlich eine jener grausamen Wunden Euch schlage, die nimmer
vernarben, auf daß nicht des Unglücks bitterer Kelch Euch unvermu-
thet gereicht werde und Ihr dann schamroth werdet, daß Ihr über
all das falsche Bücherelend, über jeden erdichteten Jammer alltägliche
Thränen vergossen habt. Dann werdet Ihr Euch einschließen, um
zu weinen. Ihr werdet dann keine Zuschauer suchen, die Eure
Rührung mit ansehen: und sollte mitten in Eure Einsamkeit ein
Unwillkommener sich eindrängen, so wird Euer Schmerz plötzlich
verstummen, Ihr werdet dem Fremdling ein ruhiges, ungetrübtes
Gesicht zeigen, das wie ein Jsisschleier über das Heiligthum Eure
Trauer gebreitet sein wird. Denn alsdann werdet Ihr fühlen, was
ich schon längst inne geworden, daß eS eine unerträgliche Beleidigung
ist, wenn der Salonpöbel Euch lobt und von Euch sagt: diese Per¬
son ist von einer überaus zarten Empfindlichkeit.

Ich meinerseits wünschte, es wüßte irgend ein Schriftsteller, der
das-Pathetische zu hehandelir versteht, einen Nutzen aus dieser mü¬
ßigen Empfindsamkeit zu ziehen; ich wünschte, daß diejenigen, die in
ihrer unmittelbaren Nähe und Umgebung keine Gelegenheit zu jenen
Schmerzen finden, nach denen sie so begierig sind, durch die Worte
einer beredten Feder zum Besten der großen Familie der Menschheit
gerührt und bewegt würden. Man erzählt eine Geschichte von
einem Prediger, der so salbungsrcich über Mitleid und Menschen¬
liebe predigte, daß in allen Städten, wo er für die Armen
seinen Eiser erglühen ließ, die Frauen ihren Schmuck, die Männer


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[0263] — Ihr sollt eben nicht weinen! Denn Eure Herzenshärte und Eure Selbstsucht rühren gerade davon her, daß Ihr feiger, weibischer Weise über Alles weint. Weinet nicht im Theater, weinet nicht während der Criminalverhandlungen der Assisenhofe, benetzet nicht mit Thränen die Romane, die der pathetische Schriftsteller vielleicht lachend geschrieben! Diese unablässige Zersplitterung Eures Gefühls stumpft es zuletzt ab und wenn dann ernsthafte Austritte kommen, welche der Thränen Zoll von Euch zu heischen berechtigt sind, so finden sie Euch kalt und theilnahmlos und Euer Auge bleibt trocken, Und Ihr, die Ihr glücklich seid und nicht zu weinen Ursache habt, bewahret Eure Thränenperlen in Eures Herzens Schrein. Fordert nicht verwegen durch grundlose Thränen die Traurigkeit heraus, und fürchtet Nemesis Adrastcia, die reisende Göttin, auf daß sie nicht plötzlich eine jener grausamen Wunden Euch schlage, die nimmer vernarben, auf daß nicht des Unglücks bitterer Kelch Euch unvermu- thet gereicht werde und Ihr dann schamroth werdet, daß Ihr über all das falsche Bücherelend, über jeden erdichteten Jammer alltägliche Thränen vergossen habt. Dann werdet Ihr Euch einschließen, um zu weinen. Ihr werdet dann keine Zuschauer suchen, die Eure Rührung mit ansehen: und sollte mitten in Eure Einsamkeit ein Unwillkommener sich eindrängen, so wird Euer Schmerz plötzlich verstummen, Ihr werdet dem Fremdling ein ruhiges, ungetrübtes Gesicht zeigen, das wie ein Jsisschleier über das Heiligthum Eure Trauer gebreitet sein wird. Denn alsdann werdet Ihr fühlen, was ich schon längst inne geworden, daß eS eine unerträgliche Beleidigung ist, wenn der Salonpöbel Euch lobt und von Euch sagt: diese Per¬ son ist von einer überaus zarten Empfindlichkeit. Ich meinerseits wünschte, es wüßte irgend ein Schriftsteller, der das-Pathetische zu hehandelir versteht, einen Nutzen aus dieser mü¬ ßigen Empfindsamkeit zu ziehen; ich wünschte, daß diejenigen, die in ihrer unmittelbaren Nähe und Umgebung keine Gelegenheit zu jenen Schmerzen finden, nach denen sie so begierig sind, durch die Worte einer beredten Feder zum Besten der großen Familie der Menschheit gerührt und bewegt würden. Man erzählt eine Geschichte von einem Prediger, der so salbungsrcich über Mitleid und Menschen¬ liebe predigte, daß in allen Städten, wo er für die Armen seinen Eiser erglühen ließ, die Frauen ihren Schmuck, die Männer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/263>, abgerufen am 26.08.2024.