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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Ungewißheit der neuen Stellung. Der Herzog von Aremberg lebte auf diese
Weise mit seiner Familie durch 10 Jahre in der strengsten Zurückgezogenheit
und erst im vorletzten Winter öffnete er zum ersten Male seine Salons der
größeren Gesellschaft. Diese Gesellschaft ist trotz aller ihrer hocharistokratischcn
Elemente doch bei weitem nicht so erclusiv, wie die der alten Aristokratie in
der I?aut>aurx 8t. Ksrmain. Die Salons des Herzogs von Aremverg, des
Prince de Ligne, des Herzogs von Ursel, des Marquis von Trösigny, des
Herzogs von Beaufort u. s. w. sind zwar wie natürlich der Mittelpunkt des
alten, einheimischen und fremden Adels und es ist sogar hier bei weitem schwe¬
rer Zutritt zu erhalten, als zu den Bälle" und Soireen des Hofes; dennoch
tragen diese Gesellschaften nicht den Charakter jener hochmüthigen Abgeschlos¬
senheit, der unsern lieben deutschen Adels-Zusammenkimftcn eigen ist. Man
findet hier nicht nur den männlichen Theil der bürgerlichen Sommitäten, son¬
dern auch ihre Damen; Etwas, das in Deutschland, bei den halblibcralen Ari¬
stokraten, welche Künstler, Gelehrte ?c. in ihren Salons empfangen, nie der
Fall ist. Andrerseits verschmäht der hiesige Adel nicht nur das Haus des
Bürgerlichen nicht, sondern auch nicht einmal seine öffentlichen, bisweilen sogar
seine ordinairen Vereinigungspunkte zu besuchen. Weit wichtiger für das Ra-
tionallebcn ist übrigens der Geist der Gleichheit unter der Bürgerklasse selbst. Die
lächerliche Vornehmheit, mit welcher in Deutschland die militärische, büreaukra¬
tische und finanzielle Welt von den übrigen Klassen sich abscheidet, kennt man
hier kaum dem Namen nach. In den Cafüs und Estaminets findet man den
höheren Militair- und Civilbeamten, den reichen Kaufmann und Industriellen
in vollständiger Vertraulichkeit an demselben Tische sitzen, an welchem der ehr¬
same Tischlermeister in seiner Blouse sitzt. Die kurze, weiße, thönerne Tabaks¬
pfeife und das längliche Bierglas, welches einen Hauptbestandtheil der Tcniers-
schcn Gemälde bildet, spielen noch heute dieselbe Rolle, wie zu den Zeiten
Albert's und Jsabella's. In der Kirche, auf dem Stadthause und in dem Esta¬
minet sind alle Belgier einander gleich: es sind dies die drei Hauptgebäude,
aus welchen alle Bewegungen und Nationaläußerungen dieses Volkes hervor¬
gegangen sind. Des Morgens die Kirche, des Mittags das Stadthaus, des
Abends das Estaminet: das sind die drei Lebenspunkte, deren verschiedene Zu¬
sammensetzung die ganze Geschichte dieses Volkes hervorgebracht hat. Der Priester,
der Schöffe, der Journalist finden da ihr Feld, ihre Tribüne. Zur Zeit, als
der gedruckte Journalismus noch nicht eristirte, wurde er im Estaminet münd¬
lich betrieben: hier predigten die Vonckiften und Bandernootistcn während
der Zeit der Brabanter Revolution gegen Oesterreich; hier wurden an jedem


Ungewißheit der neuen Stellung. Der Herzog von Aremberg lebte auf diese
Weise mit seiner Familie durch 10 Jahre in der strengsten Zurückgezogenheit
und erst im vorletzten Winter öffnete er zum ersten Male seine Salons der
größeren Gesellschaft. Diese Gesellschaft ist trotz aller ihrer hocharistokratischcn
Elemente doch bei weitem nicht so erclusiv, wie die der alten Aristokratie in
der I?aut>aurx 8t. Ksrmain. Die Salons des Herzogs von Aremverg, des
Prince de Ligne, des Herzogs von Ursel, des Marquis von Trösigny, des
Herzogs von Beaufort u. s. w. sind zwar wie natürlich der Mittelpunkt des
alten, einheimischen und fremden Adels und es ist sogar hier bei weitem schwe¬
rer Zutritt zu erhalten, als zu den Bälle» und Soireen des Hofes; dennoch
tragen diese Gesellschaften nicht den Charakter jener hochmüthigen Abgeschlos¬
senheit, der unsern lieben deutschen Adels-Zusammenkimftcn eigen ist. Man
findet hier nicht nur den männlichen Theil der bürgerlichen Sommitäten, son¬
dern auch ihre Damen; Etwas, das in Deutschland, bei den halblibcralen Ari¬
stokraten, welche Künstler, Gelehrte ?c. in ihren Salons empfangen, nie der
Fall ist. Andrerseits verschmäht der hiesige Adel nicht nur das Haus des
Bürgerlichen nicht, sondern auch nicht einmal seine öffentlichen, bisweilen sogar
seine ordinairen Vereinigungspunkte zu besuchen. Weit wichtiger für das Ra-
tionallebcn ist übrigens der Geist der Gleichheit unter der Bürgerklasse selbst. Die
lächerliche Vornehmheit, mit welcher in Deutschland die militärische, büreaukra¬
tische und finanzielle Welt von den übrigen Klassen sich abscheidet, kennt man
hier kaum dem Namen nach. In den Cafüs und Estaminets findet man den
höheren Militair- und Civilbeamten, den reichen Kaufmann und Industriellen
in vollständiger Vertraulichkeit an demselben Tische sitzen, an welchem der ehr¬
same Tischlermeister in seiner Blouse sitzt. Die kurze, weiße, thönerne Tabaks¬
pfeife und das längliche Bierglas, welches einen Hauptbestandtheil der Tcniers-
schcn Gemälde bildet, spielen noch heute dieselbe Rolle, wie zu den Zeiten
Albert's und Jsabella's. In der Kirche, auf dem Stadthause und in dem Esta¬
minet sind alle Belgier einander gleich: es sind dies die drei Hauptgebäude,
aus welchen alle Bewegungen und Nationaläußerungen dieses Volkes hervor¬
gegangen sind. Des Morgens die Kirche, des Mittags das Stadthaus, des
Abends das Estaminet: das sind die drei Lebenspunkte, deren verschiedene Zu¬
sammensetzung die ganze Geschichte dieses Volkes hervorgebracht hat. Der Priester,
der Schöffe, der Journalist finden da ihr Feld, ihre Tribüne. Zur Zeit, als
der gedruckte Journalismus noch nicht eristirte, wurde er im Estaminet münd¬
lich betrieben: hier predigten die Vonckiften und Bandernootistcn während
der Zeit der Brabanter Revolution gegen Oesterreich; hier wurden an jedem


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[0244] Ungewißheit der neuen Stellung. Der Herzog von Aremberg lebte auf diese Weise mit seiner Familie durch 10 Jahre in der strengsten Zurückgezogenheit und erst im vorletzten Winter öffnete er zum ersten Male seine Salons der größeren Gesellschaft. Diese Gesellschaft ist trotz aller ihrer hocharistokratischcn Elemente doch bei weitem nicht so erclusiv, wie die der alten Aristokratie in der I?aut>aurx 8t. Ksrmain. Die Salons des Herzogs von Aremverg, des Prince de Ligne, des Herzogs von Ursel, des Marquis von Trösigny, des Herzogs von Beaufort u. s. w. sind zwar wie natürlich der Mittelpunkt des alten, einheimischen und fremden Adels und es ist sogar hier bei weitem schwe¬ rer Zutritt zu erhalten, als zu den Bälle» und Soireen des Hofes; dennoch tragen diese Gesellschaften nicht den Charakter jener hochmüthigen Abgeschlos¬ senheit, der unsern lieben deutschen Adels-Zusammenkimftcn eigen ist. Man findet hier nicht nur den männlichen Theil der bürgerlichen Sommitäten, son¬ dern auch ihre Damen; Etwas, das in Deutschland, bei den halblibcralen Ari¬ stokraten, welche Künstler, Gelehrte ?c. in ihren Salons empfangen, nie der Fall ist. Andrerseits verschmäht der hiesige Adel nicht nur das Haus des Bürgerlichen nicht, sondern auch nicht einmal seine öffentlichen, bisweilen sogar seine ordinairen Vereinigungspunkte zu besuchen. Weit wichtiger für das Ra- tionallebcn ist übrigens der Geist der Gleichheit unter der Bürgerklasse selbst. Die lächerliche Vornehmheit, mit welcher in Deutschland die militärische, büreaukra¬ tische und finanzielle Welt von den übrigen Klassen sich abscheidet, kennt man hier kaum dem Namen nach. In den Cafüs und Estaminets findet man den höheren Militair- und Civilbeamten, den reichen Kaufmann und Industriellen in vollständiger Vertraulichkeit an demselben Tische sitzen, an welchem der ehr¬ same Tischlermeister in seiner Blouse sitzt. Die kurze, weiße, thönerne Tabaks¬ pfeife und das längliche Bierglas, welches einen Hauptbestandtheil der Tcniers- schcn Gemälde bildet, spielen noch heute dieselbe Rolle, wie zu den Zeiten Albert's und Jsabella's. In der Kirche, auf dem Stadthause und in dem Esta¬ minet sind alle Belgier einander gleich: es sind dies die drei Hauptgebäude, aus welchen alle Bewegungen und Nationaläußerungen dieses Volkes hervor¬ gegangen sind. Des Morgens die Kirche, des Mittags das Stadthaus, des Abends das Estaminet: das sind die drei Lebenspunkte, deren verschiedene Zu¬ sammensetzung die ganze Geschichte dieses Volkes hervorgebracht hat. Der Priester, der Schöffe, der Journalist finden da ihr Feld, ihre Tribüne. Zur Zeit, als der gedruckte Journalismus noch nicht eristirte, wurde er im Estaminet münd¬ lich betrieben: hier predigten die Vonckiften und Bandernootistcn während der Zeit der Brabanter Revolution gegen Oesterreich; hier wurden an jedem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/244>, abgerufen am 23.07.2024.