Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

das üppige, wohlfeile, bequeme und freie Leben Belgiens herbeilockt, werden
auch in Zukunft nicht fehlen. Bedenkt man, daß die Fahrt von London nach
Brüssel in nur zwölf Stunden und für die geringe Summe von vier Thalern
zurückgelegt werden kann, daß man von Cöln hierher kaum so viel bedarf und
von Paris hierher nur das Doppelte braucht--natürlich überall die wohlfeilste
Reiseart angenommen -- so wird man leicht begreifen, wie so dieser Zuwachs
an Fremden mit jedem Tage sich vermehrt und worauf da" Vertrauen der
Spekulanten begründet ist. -- Man kann im Ganzen annehmen, daß nur die
kleinere Hälfte der Einwohner Brüssels aus eigentlichen Brabantern besteht;
die andere, bei weitem größere Hälfte besteht aus flandrischen und wallonischen
Belgiern, und aus den Fremden, unter welchen man ungefähr 20,000 Fran¬
zosen annimmt, 10,000 Deutsche, 4--5000 Engländer und ein kleines Häuflein
Holländer, welche aus langer Gewohnheit oder aus Geschäftsnöthigung nach
der Revolution hier zurückgeblieben sind. Die verschiedenen Lebensweisen,
die sich durch die Verschiedenheit der nationalen Neigungen herausstellen, geben
Brüssel seine Mannichfaltigkeit. Der Brabanter, wie überhaupt der Flamän-
der zeichnet sich durch einen besondern Geist der Gleichheit aus, der in den
belgischen Provinzen weit älter ist, als der Begriff der vgalitv, den die fran¬
zösische Revolution geschaffen. Die Macht der Städte und Zünfte, welche die¬
sen Provinzen ihren alten Reichthum brachte, gab dem Bürger ein Bewußtsein
seiner Würde, welche der Adel achten mußte: die Eifersucht zwischen Adel und
Bürgerschaft in der Blüthezeit der deutschen Städte und welche so oft den Ruin
derselben herbeigeführt, kam hier aus dem wichtigen Grunde nicht zur gefähr¬
lichen Entwicklung, weil die belgischen Provinzen oft unter fremder Herrschaft
standen, gegen welche die städtische, wie die aristokratische Macht sich brüderlich
verbinden mußten, um ihre Privilegien aufrecht zu erhalten. Dieses gcgensei-
scitige Verhältniß hatte sich durch die Zeit so tief eingewurzelt, daß noch heute,
wo doch der Adel als politische Körperschaft hier keinen Bestand mehr hat,
wo er alle Lasten und Pflichten in Bezug auf Steuer, Militärdienst :c. ganz
gleich mit dem Bürger tragen muß und durch seine Geburt zu keinem Vorzug
berechtigt ist, er dennoch social noch immer einer großen Hochachtung und Po¬
pularität genießt, die er sich wohl hütet, durch Stolz und Abgeschiedenheit zu
verspielen. In den ersten Jahren nach dem Ausbruche der Revolution, als die
Bürger -- und leider auch die Pöbelmacht eine der Aristokratie gefährliche
Stellung gewann, zogen sich einige der bedeutendsten Häupter von der gesell¬
schaftlichen Bühne zurück. Es geschah dies bei weitem weniger aus Anhänglichkeit
für das oranische Haus, als aus Furcht vor pöbelhafter Uebergriffen und der


16"

das üppige, wohlfeile, bequeme und freie Leben Belgiens herbeilockt, werden
auch in Zukunft nicht fehlen. Bedenkt man, daß die Fahrt von London nach
Brüssel in nur zwölf Stunden und für die geringe Summe von vier Thalern
zurückgelegt werden kann, daß man von Cöln hierher kaum so viel bedarf und
von Paris hierher nur das Doppelte braucht—natürlich überall die wohlfeilste
Reiseart angenommen — so wird man leicht begreifen, wie so dieser Zuwachs
an Fremden mit jedem Tage sich vermehrt und worauf da» Vertrauen der
Spekulanten begründet ist. — Man kann im Ganzen annehmen, daß nur die
kleinere Hälfte der Einwohner Brüssels aus eigentlichen Brabantern besteht;
die andere, bei weitem größere Hälfte besteht aus flandrischen und wallonischen
Belgiern, und aus den Fremden, unter welchen man ungefähr 20,000 Fran¬
zosen annimmt, 10,000 Deutsche, 4—5000 Engländer und ein kleines Häuflein
Holländer, welche aus langer Gewohnheit oder aus Geschäftsnöthigung nach
der Revolution hier zurückgeblieben sind. Die verschiedenen Lebensweisen,
die sich durch die Verschiedenheit der nationalen Neigungen herausstellen, geben
Brüssel seine Mannichfaltigkeit. Der Brabanter, wie überhaupt der Flamän-
der zeichnet sich durch einen besondern Geist der Gleichheit aus, der in den
belgischen Provinzen weit älter ist, als der Begriff der vgalitv, den die fran¬
zösische Revolution geschaffen. Die Macht der Städte und Zünfte, welche die¬
sen Provinzen ihren alten Reichthum brachte, gab dem Bürger ein Bewußtsein
seiner Würde, welche der Adel achten mußte: die Eifersucht zwischen Adel und
Bürgerschaft in der Blüthezeit der deutschen Städte und welche so oft den Ruin
derselben herbeigeführt, kam hier aus dem wichtigen Grunde nicht zur gefähr¬
lichen Entwicklung, weil die belgischen Provinzen oft unter fremder Herrschaft
standen, gegen welche die städtische, wie die aristokratische Macht sich brüderlich
verbinden mußten, um ihre Privilegien aufrecht zu erhalten. Dieses gcgensei-
scitige Verhältniß hatte sich durch die Zeit so tief eingewurzelt, daß noch heute,
wo doch der Adel als politische Körperschaft hier keinen Bestand mehr hat,
wo er alle Lasten und Pflichten in Bezug auf Steuer, Militärdienst :c. ganz
gleich mit dem Bürger tragen muß und durch seine Geburt zu keinem Vorzug
berechtigt ist, er dennoch social noch immer einer großen Hochachtung und Po¬
pularität genießt, die er sich wohl hütet, durch Stolz und Abgeschiedenheit zu
verspielen. In den ersten Jahren nach dem Ausbruche der Revolution, als die
Bürger — und leider auch die Pöbelmacht eine der Aristokratie gefährliche
Stellung gewann, zogen sich einige der bedeutendsten Häupter von der gesell¬
schaftlichen Bühne zurück. Es geschah dies bei weitem weniger aus Anhänglichkeit
für das oranische Haus, als aus Furcht vor pöbelhafter Uebergriffen und der


16»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0243" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266860"/>
            <p xml:id="ID_633" prev="#ID_632" next="#ID_634"> das üppige, wohlfeile, bequeme und freie Leben Belgiens herbeilockt, werden<lb/>
auch in Zukunft nicht fehlen. Bedenkt man, daß die Fahrt von London nach<lb/>
Brüssel in nur zwölf Stunden und für die geringe Summe von vier Thalern<lb/>
zurückgelegt werden kann, daß man von Cöln hierher kaum so viel bedarf und<lb/>
von Paris hierher nur das Doppelte braucht&#x2014;natürlich überall die wohlfeilste<lb/>
Reiseart angenommen &#x2014; so wird man leicht begreifen, wie so dieser Zuwachs<lb/>
an Fremden mit jedem Tage sich vermehrt und worauf da» Vertrauen der<lb/>
Spekulanten begründet ist. &#x2014; Man kann im Ganzen annehmen, daß nur die<lb/>
kleinere Hälfte der Einwohner Brüssels aus eigentlichen Brabantern besteht;<lb/>
die andere, bei weitem größere Hälfte besteht aus flandrischen und wallonischen<lb/>
Belgiern, und aus den Fremden, unter welchen man ungefähr 20,000 Fran¬<lb/>
zosen annimmt, 10,000 Deutsche, 4&#x2014;5000 Engländer und ein kleines Häuflein<lb/>
Holländer, welche aus langer Gewohnheit oder aus Geschäftsnöthigung nach<lb/>
der Revolution hier zurückgeblieben sind. Die verschiedenen Lebensweisen,<lb/>
die sich durch die Verschiedenheit der nationalen Neigungen herausstellen, geben<lb/>
Brüssel seine Mannichfaltigkeit. Der Brabanter, wie überhaupt der Flamän-<lb/>
der zeichnet sich durch einen besondern Geist der Gleichheit aus, der in den<lb/>
belgischen Provinzen weit älter ist, als der Begriff der vgalitv, den die fran¬<lb/>
zösische Revolution geschaffen. Die Macht der Städte und Zünfte, welche die¬<lb/>
sen Provinzen ihren alten Reichthum brachte, gab dem Bürger ein Bewußtsein<lb/>
seiner Würde, welche der Adel achten mußte: die Eifersucht zwischen Adel und<lb/>
Bürgerschaft in der Blüthezeit der deutschen Städte und welche so oft den Ruin<lb/>
derselben herbeigeführt, kam hier aus dem wichtigen Grunde nicht zur gefähr¬<lb/>
lichen Entwicklung, weil die belgischen Provinzen oft unter fremder Herrschaft<lb/>
standen, gegen welche die städtische, wie die aristokratische Macht sich brüderlich<lb/>
verbinden mußten, um ihre Privilegien aufrecht zu erhalten. Dieses gcgensei-<lb/>
scitige Verhältniß hatte sich durch die Zeit so tief eingewurzelt, daß noch heute,<lb/>
wo doch der Adel als politische Körperschaft hier keinen Bestand mehr hat,<lb/>
wo er alle Lasten und Pflichten in Bezug auf Steuer, Militärdienst :c. ganz<lb/>
gleich mit dem Bürger tragen muß und durch seine Geburt zu keinem Vorzug<lb/>
berechtigt ist, er dennoch social noch immer einer großen Hochachtung und Po¬<lb/>
pularität genießt, die er sich wohl hütet, durch Stolz und Abgeschiedenheit zu<lb/>
verspielen. In den ersten Jahren nach dem Ausbruche der Revolution, als die<lb/>
Bürger &#x2014; und leider auch die Pöbelmacht eine der Aristokratie gefährliche<lb/>
Stellung gewann, zogen sich einige der bedeutendsten Häupter von der gesell¬<lb/>
schaftlichen Bühne zurück. Es geschah dies bei weitem weniger aus Anhänglichkeit<lb/>
für das oranische Haus, als aus Furcht vor pöbelhafter Uebergriffen und der</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> 16»</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0243] das üppige, wohlfeile, bequeme und freie Leben Belgiens herbeilockt, werden auch in Zukunft nicht fehlen. Bedenkt man, daß die Fahrt von London nach Brüssel in nur zwölf Stunden und für die geringe Summe von vier Thalern zurückgelegt werden kann, daß man von Cöln hierher kaum so viel bedarf und von Paris hierher nur das Doppelte braucht—natürlich überall die wohlfeilste Reiseart angenommen — so wird man leicht begreifen, wie so dieser Zuwachs an Fremden mit jedem Tage sich vermehrt und worauf da» Vertrauen der Spekulanten begründet ist. — Man kann im Ganzen annehmen, daß nur die kleinere Hälfte der Einwohner Brüssels aus eigentlichen Brabantern besteht; die andere, bei weitem größere Hälfte besteht aus flandrischen und wallonischen Belgiern, und aus den Fremden, unter welchen man ungefähr 20,000 Fran¬ zosen annimmt, 10,000 Deutsche, 4—5000 Engländer und ein kleines Häuflein Holländer, welche aus langer Gewohnheit oder aus Geschäftsnöthigung nach der Revolution hier zurückgeblieben sind. Die verschiedenen Lebensweisen, die sich durch die Verschiedenheit der nationalen Neigungen herausstellen, geben Brüssel seine Mannichfaltigkeit. Der Brabanter, wie überhaupt der Flamän- der zeichnet sich durch einen besondern Geist der Gleichheit aus, der in den belgischen Provinzen weit älter ist, als der Begriff der vgalitv, den die fran¬ zösische Revolution geschaffen. Die Macht der Städte und Zünfte, welche die¬ sen Provinzen ihren alten Reichthum brachte, gab dem Bürger ein Bewußtsein seiner Würde, welche der Adel achten mußte: die Eifersucht zwischen Adel und Bürgerschaft in der Blüthezeit der deutschen Städte und welche so oft den Ruin derselben herbeigeführt, kam hier aus dem wichtigen Grunde nicht zur gefähr¬ lichen Entwicklung, weil die belgischen Provinzen oft unter fremder Herrschaft standen, gegen welche die städtische, wie die aristokratische Macht sich brüderlich verbinden mußten, um ihre Privilegien aufrecht zu erhalten. Dieses gcgensei- scitige Verhältniß hatte sich durch die Zeit so tief eingewurzelt, daß noch heute, wo doch der Adel als politische Körperschaft hier keinen Bestand mehr hat, wo er alle Lasten und Pflichten in Bezug auf Steuer, Militärdienst :c. ganz gleich mit dem Bürger tragen muß und durch seine Geburt zu keinem Vorzug berechtigt ist, er dennoch social noch immer einer großen Hochachtung und Po¬ pularität genießt, die er sich wohl hütet, durch Stolz und Abgeschiedenheit zu verspielen. In den ersten Jahren nach dem Ausbruche der Revolution, als die Bürger — und leider auch die Pöbelmacht eine der Aristokratie gefährliche Stellung gewann, zogen sich einige der bedeutendsten Häupter von der gesell¬ schaftlichen Bühne zurück. Es geschah dies bei weitem weniger aus Anhänglichkeit für das oranische Haus, als aus Furcht vor pöbelhafter Uebergriffen und der 16»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/243
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/243>, abgerufen am 23.07.2024.