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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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überlebende Cunosität, ein Rebell, dem die neue, glatte, alles Her¬
vorstechende übertünchende Bildung den Garaus machen müßte. Nein,
trotz Allem, was man über den Verfall des Studentenstaates sagt,
und über die nothwendige, schon begonnene Einschmiegung diese?
Armtniussohnes in unsere polirten Salons: ich glaube, daß der
Student mehr als eine flüchtige Gegenwart vor sich hat ; und wenn
ich es unbedenklich zugebe, daß ihm eine Metamorphose bevorsteht,
so hüte ich mich doch zu glauben, daß Er, der die reine, lebens¬
lustige, im Hochgefühl ihrer Unabhä! ugkeit aufstrebende Jugend'vor¬
stellt, zum Verschwinde" in einer Alles ehrenden Gesellschaftsform
verdammt sei. Denn das ist die eigenste Natur des Burschen, sich
nicht "unterdrücken" zu lassen; sein Muth ist so elastisch, das senden^
lische Princip hat eine solche Reproductionskraft, daß immerhin
der Pflug einer amberartigen Kultur darüber hinwegfurchen kann,
ohne ihn zu zermalmen; nach ein Paar Triennien wird er lachend,
gerüstet, unsterblichkeitsfroh wieder aus dein Schutt jener Kultur
auftauchen.

Ich habe einen Studiengefährten gehabt, der lange mein Haus-
bursche war, welchen Uebelwollende fälschlich für ein crcmplarisches
"Kameel" ausgaben. Der Mann machte durchaus kein Aufsehen,
aber er gehörte nichts desto weniger unter die fidelsten Studiosen,
und wirkte für sein Seelenheil eben so gut wie die Helden des Fecht¬
bodens und der Commerße. In der Stille genoß er d.e geselligen
und Herzensfreuden des akademischen Nomantismus. Er war
kein Schwärmer, kein Eiferer und junghegelscher Revolutionär, son¬
dern ein loyaler, gewissenhafter Charakter, ein festgläubiger, conser-
"ativer Bruder Studio, ein deutsches stilles Wasser, wie nur je eins
den Meerschaum angeraucht und den Wechsel, über den letzten Heller
hinaus, an den Mann gebracht hat. Er studirte die Gottesgelehrt¬
heit, und man mußte zugeben, daß er seinem Gott treuergeben war.
Er haßte alles Excentrische, nie hat man ihn in die Todtenkammer
geschleppt; er war ein Weiser, und alle Welt weiß und kann es
alltäglich Probiren, daß der rechte Weise nicht der schlechteste Zecher
ist. Er war ein höchst honoriges Haus, ein tiefes, besonnenes,
verträgliches Gemüth, das sich nur einmal in seinem Leben geschla¬
gen , aber dann auch seinem Widerpart das Steuerruder schrägweg
aus dem Angesicht gehauen. Er bewahrheitete den Satz, zu dem


überlebende Cunosität, ein Rebell, dem die neue, glatte, alles Her¬
vorstechende übertünchende Bildung den Garaus machen müßte. Nein,
trotz Allem, was man über den Verfall des Studentenstaates sagt,
und über die nothwendige, schon begonnene Einschmiegung diese?
Armtniussohnes in unsere polirten Salons: ich glaube, daß der
Student mehr als eine flüchtige Gegenwart vor sich hat ; und wenn
ich es unbedenklich zugebe, daß ihm eine Metamorphose bevorsteht,
so hüte ich mich doch zu glauben, daß Er, der die reine, lebens¬
lustige, im Hochgefühl ihrer Unabhä! ugkeit aufstrebende Jugend'vor¬
stellt, zum Verschwinde» in einer Alles ehrenden Gesellschaftsform
verdammt sei. Denn das ist die eigenste Natur des Burschen, sich
nicht „unterdrücken" zu lassen; sein Muth ist so elastisch, das senden^
lische Princip hat eine solche Reproductionskraft, daß immerhin
der Pflug einer amberartigen Kultur darüber hinwegfurchen kann,
ohne ihn zu zermalmen; nach ein Paar Triennien wird er lachend,
gerüstet, unsterblichkeitsfroh wieder aus dein Schutt jener Kultur
auftauchen.

Ich habe einen Studiengefährten gehabt, der lange mein Haus-
bursche war, welchen Uebelwollende fälschlich für ein crcmplarisches
„Kameel" ausgaben. Der Mann machte durchaus kein Aufsehen,
aber er gehörte nichts desto weniger unter die fidelsten Studiosen,
und wirkte für sein Seelenheil eben so gut wie die Helden des Fecht¬
bodens und der Commerße. In der Stille genoß er d.e geselligen
und Herzensfreuden des akademischen Nomantismus. Er war
kein Schwärmer, kein Eiferer und junghegelscher Revolutionär, son¬
dern ein loyaler, gewissenhafter Charakter, ein festgläubiger, conser-
»ativer Bruder Studio, ein deutsches stilles Wasser, wie nur je eins
den Meerschaum angeraucht und den Wechsel, über den letzten Heller
hinaus, an den Mann gebracht hat. Er studirte die Gottesgelehrt¬
heit, und man mußte zugeben, daß er seinem Gott treuergeben war.
Er haßte alles Excentrische, nie hat man ihn in die Todtenkammer
geschleppt; er war ein Weiser, und alle Welt weiß und kann es
alltäglich Probiren, daß der rechte Weise nicht der schlechteste Zecher
ist. Er war ein höchst honoriges Haus, ein tiefes, besonnenes,
verträgliches Gemüth, das sich nur einmal in seinem Leben geschla¬
gen , aber dann auch seinem Widerpart das Steuerruder schrägweg
aus dem Angesicht gehauen. Er bewahrheitete den Satz, zu dem


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[0210] überlebende Cunosität, ein Rebell, dem die neue, glatte, alles Her¬ vorstechende übertünchende Bildung den Garaus machen müßte. Nein, trotz Allem, was man über den Verfall des Studentenstaates sagt, und über die nothwendige, schon begonnene Einschmiegung diese? Armtniussohnes in unsere polirten Salons: ich glaube, daß der Student mehr als eine flüchtige Gegenwart vor sich hat ; und wenn ich es unbedenklich zugebe, daß ihm eine Metamorphose bevorsteht, so hüte ich mich doch zu glauben, daß Er, der die reine, lebens¬ lustige, im Hochgefühl ihrer Unabhä! ugkeit aufstrebende Jugend'vor¬ stellt, zum Verschwinde» in einer Alles ehrenden Gesellschaftsform verdammt sei. Denn das ist die eigenste Natur des Burschen, sich nicht „unterdrücken" zu lassen; sein Muth ist so elastisch, das senden^ lische Princip hat eine solche Reproductionskraft, daß immerhin der Pflug einer amberartigen Kultur darüber hinwegfurchen kann, ohne ihn zu zermalmen; nach ein Paar Triennien wird er lachend, gerüstet, unsterblichkeitsfroh wieder aus dein Schutt jener Kultur auftauchen. Ich habe einen Studiengefährten gehabt, der lange mein Haus- bursche war, welchen Uebelwollende fälschlich für ein crcmplarisches „Kameel" ausgaben. Der Mann machte durchaus kein Aufsehen, aber er gehörte nichts desto weniger unter die fidelsten Studiosen, und wirkte für sein Seelenheil eben so gut wie die Helden des Fecht¬ bodens und der Commerße. In der Stille genoß er d.e geselligen und Herzensfreuden des akademischen Nomantismus. Er war kein Schwärmer, kein Eiferer und junghegelscher Revolutionär, son¬ dern ein loyaler, gewissenhafter Charakter, ein festgläubiger, conser- »ativer Bruder Studio, ein deutsches stilles Wasser, wie nur je eins den Meerschaum angeraucht und den Wechsel, über den letzten Heller hinaus, an den Mann gebracht hat. Er studirte die Gottesgelehrt¬ heit, und man mußte zugeben, daß er seinem Gott treuergeben war. Er haßte alles Excentrische, nie hat man ihn in die Todtenkammer geschleppt; er war ein Weiser, und alle Welt weiß und kann es alltäglich Probiren, daß der rechte Weise nicht der schlechteste Zecher ist. Er war ein höchst honoriges Haus, ein tiefes, besonnenes, verträgliches Gemüth, das sich nur einmal in seinem Leben geschla¬ gen , aber dann auch seinem Widerpart das Steuerruder schrägweg aus dem Angesicht gehauen. Er bewahrheitete den Satz, zu dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/210>, abgerufen am 23.07.2024.