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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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sein, mit den Empfindungen, die sie ausdrücken will, im Einklang
stehen.

Auch in neuerer Zeit haben die Chinesen, im Betreff der Vor¬
züge ihrer Musik vor der europäischen, dieselbe Meinung an den
Tag gelegt, wie diese Chinesen des siebzehnten Jahrhunderts. Lord
Macartney, einer der letzten Diplomaten, die England nach China
gesandt -- unseren deutschen Lesern aus Van der Velde hinlänglich
bekannt -- hatte zur Vermehrung des Glanzes seiner Gesandtschaft
ein Gefolge von europäischer Militairmusik mitgenommen und ließ
dasselbe häufig vor den höheren Beamten, mit Venen er in Berüh¬
rung kam, Stücke erecutircn. Er erhielt jedoch eben keinen bessern
Erfolg als Pater Amyot.

Die englischen Offiziere ihrerseits, welche zur Ambassade gehört
hatten, bezeugten bei ihrer Rückkehr nach England einen großen
Abscheu gegen die chinesischen Melodien und Instrumente. Sie
hatten das Theater besucht, um einer zu ihren Ehren gegebenen
Vorstellung beizuwohnen; aber kaum hatte das Orchester die ersten
Accorde gespielt, so suchte einer nach dem andern einen Vorwand,
um sich möglichst bald zu empfehlen. Als sie wieder in Europa
waren, sagten sie, tausend Petarden und schlecht geblasene Trompe¬
ten, die man zugleich hörte, das wäre am Besten im Stande, eine
richtige Idee von chinesischer Musik zu geben. Die militairischen,
wie die Theaterorchester dieses Volkes waren nach ihrer Schilderung
abscheulich. In diesem Urtheil aber haben die Herren Engländer,
obgleich sie sich einbilden, die äußersten Grenzen der Bildung erreicht
zu haben, doch "veniger gesunden Menschenverstand an den Tag ge¬
legt, als die Chinesen, diese Halb-Barbaren, nach englischer Benen¬
nung. Wie eS diese hundert Jahre früher zum Pater Amyot ge¬
sagt hatten, in der Musik hängt Alles von den verschiedenen Ge¬
wohnheiten des Ohres ab.

So stabil auch China im Ganzen ist und besonders nach au¬
ßen hin erscheint, so hat doch hier, wie anderwärts, die Musik ihre
Revolutionen durchgemacht. Da jedes Kaiserhaus die Leistungen der
vorigen Dynastie überbieten wollte, so wurden dadurch sowohl in
der Feststellung der Tonleiter, als in der Form der Instrumente
mehrere Veränderungen eingeführt; aber diese UmgestaltltNgen fanden
vor dem Richterstuhl des Volksgeschmacks, dem die älteren Gebräuche


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sein, mit den Empfindungen, die sie ausdrücken will, im Einklang
stehen.

Auch in neuerer Zeit haben die Chinesen, im Betreff der Vor¬
züge ihrer Musik vor der europäischen, dieselbe Meinung an den
Tag gelegt, wie diese Chinesen des siebzehnten Jahrhunderts. Lord
Macartney, einer der letzten Diplomaten, die England nach China
gesandt — unseren deutschen Lesern aus Van der Velde hinlänglich
bekannt — hatte zur Vermehrung des Glanzes seiner Gesandtschaft
ein Gefolge von europäischer Militairmusik mitgenommen und ließ
dasselbe häufig vor den höheren Beamten, mit Venen er in Berüh¬
rung kam, Stücke erecutircn. Er erhielt jedoch eben keinen bessern
Erfolg als Pater Amyot.

Die englischen Offiziere ihrerseits, welche zur Ambassade gehört
hatten, bezeugten bei ihrer Rückkehr nach England einen großen
Abscheu gegen die chinesischen Melodien und Instrumente. Sie
hatten das Theater besucht, um einer zu ihren Ehren gegebenen
Vorstellung beizuwohnen; aber kaum hatte das Orchester die ersten
Accorde gespielt, so suchte einer nach dem andern einen Vorwand,
um sich möglichst bald zu empfehlen. Als sie wieder in Europa
waren, sagten sie, tausend Petarden und schlecht geblasene Trompe¬
ten, die man zugleich hörte, das wäre am Besten im Stande, eine
richtige Idee von chinesischer Musik zu geben. Die militairischen,
wie die Theaterorchester dieses Volkes waren nach ihrer Schilderung
abscheulich. In diesem Urtheil aber haben die Herren Engländer,
obgleich sie sich einbilden, die äußersten Grenzen der Bildung erreicht
zu haben, doch »veniger gesunden Menschenverstand an den Tag ge¬
legt, als die Chinesen, diese Halb-Barbaren, nach englischer Benen¬
nung. Wie eS diese hundert Jahre früher zum Pater Amyot ge¬
sagt hatten, in der Musik hängt Alles von den verschiedenen Ge¬
wohnheiten des Ohres ab.

So stabil auch China im Ganzen ist und besonders nach au¬
ßen hin erscheint, so hat doch hier, wie anderwärts, die Musik ihre
Revolutionen durchgemacht. Da jedes Kaiserhaus die Leistungen der
vorigen Dynastie überbieten wollte, so wurden dadurch sowohl in
der Feststellung der Tonleiter, als in der Form der Instrumente
mehrere Veränderungen eingeführt; aber diese UmgestaltltNgen fanden
vor dem Richterstuhl des Volksgeschmacks, dem die älteren Gebräuche


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[0193] sein, mit den Empfindungen, die sie ausdrücken will, im Einklang stehen. Auch in neuerer Zeit haben die Chinesen, im Betreff der Vor¬ züge ihrer Musik vor der europäischen, dieselbe Meinung an den Tag gelegt, wie diese Chinesen des siebzehnten Jahrhunderts. Lord Macartney, einer der letzten Diplomaten, die England nach China gesandt — unseren deutschen Lesern aus Van der Velde hinlänglich bekannt — hatte zur Vermehrung des Glanzes seiner Gesandtschaft ein Gefolge von europäischer Militairmusik mitgenommen und ließ dasselbe häufig vor den höheren Beamten, mit Venen er in Berüh¬ rung kam, Stücke erecutircn. Er erhielt jedoch eben keinen bessern Erfolg als Pater Amyot. Die englischen Offiziere ihrerseits, welche zur Ambassade gehört hatten, bezeugten bei ihrer Rückkehr nach England einen großen Abscheu gegen die chinesischen Melodien und Instrumente. Sie hatten das Theater besucht, um einer zu ihren Ehren gegebenen Vorstellung beizuwohnen; aber kaum hatte das Orchester die ersten Accorde gespielt, so suchte einer nach dem andern einen Vorwand, um sich möglichst bald zu empfehlen. Als sie wieder in Europa waren, sagten sie, tausend Petarden und schlecht geblasene Trompe¬ ten, die man zugleich hörte, das wäre am Besten im Stande, eine richtige Idee von chinesischer Musik zu geben. Die militairischen, wie die Theaterorchester dieses Volkes waren nach ihrer Schilderung abscheulich. In diesem Urtheil aber haben die Herren Engländer, obgleich sie sich einbilden, die äußersten Grenzen der Bildung erreicht zu haben, doch »veniger gesunden Menschenverstand an den Tag ge¬ legt, als die Chinesen, diese Halb-Barbaren, nach englischer Benen¬ nung. Wie eS diese hundert Jahre früher zum Pater Amyot ge¬ sagt hatten, in der Musik hängt Alles von den verschiedenen Ge¬ wohnheiten des Ohres ab. So stabil auch China im Ganzen ist und besonders nach au¬ ßen hin erscheint, so hat doch hier, wie anderwärts, die Musik ihre Revolutionen durchgemacht. Da jedes Kaiserhaus die Leistungen der vorigen Dynastie überbieten wollte, so wurden dadurch sowohl in der Feststellung der Tonleiter, als in der Form der Instrumente mehrere Veränderungen eingeführt; aber diese UmgestaltltNgen fanden vor dem Richterstuhl des Volksgeschmacks, dem die älteren Gebräuche 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/193>, abgerufen am 23.07.2024.