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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Berlin wohnenden Freund zu machen, nahm also, um zurückfahren zu
können, einen Fiaker auf eine Stunde. Gut, aber nicht für mich,
sondern für meinen Kutscher; denn dieser richtet sich seine Fahrt
darnach ein, d. h. er fährt wo möglich noch langsamer als ein
Charlottenburger Landwagen. Seinen Weg nimmt er nicht gerade¬
aus oder in der kürzesten Linie, nein, er schlägt vielmehr eine Rich¬
tung ein, in welcher er sicher ist, entweder ein großes Gedränge zu
finden, so daß er zu noch langsamerem Fahren genöthigt ist, oder
auf Straßen zu stoßen, in denen man pflastert, so daß er umkeh¬
ren muß. Endlich kann er nicht mehr ausweichen, er muß gerade
er die Straße einbiegen, an deren Ende ich zu thun habe; daß ich
überaus prcssirr bin lind meinen Freund verfehlt zu haben befürchte,
kann er mir vom Gesichte ablesen, folglich fährt er wo möglich noch
langsamer als zuvor. Ich steige aus, und siehe da, mein Freund
ist eben ausgegangen. Wüthend, ihn durch die Schuld des Kut¬
schers verfehl! zu haben, steige ich wieder in den Wagen, indem ich
meinem Automcdon seine Langsamkeit heftig vorwerfe und ihm schnelle
Rückkehr anempfehle. Er aber, der wohl voraussieht, daß er nun
kein Trinkgeld bekommen wird, sucht sich zu entschävigen; d. h. er
nimmt sich zum Rückweg wo möglich noch mehr Zeit, als zum
Hinweg, so daß, als ich endlich nach Hause komme und ihm die
Taxe für eine Stunde bezahlen will, er mir unwiderleglich darthut,
daß ich ihm i .r zwei Stunden zu bezahlen habe, und dabei ist er
noch gütig genug; denn er berechnet mir nicht, daß seine Uhr um
mehr, als eine Viertelstunde zurückgeht. Was sollte ich nun thun?
Ich konnte den Kutscher zwingen, mit mir zum Polizei-Commissair
des Viertels zu gehen, werden Sie mir einwenden, geehrter Leser.
Aber bedenken Sie nur ein wenig folgende Dinge: erstens fuhr der
Kutscher hin, denn er darf nach Polizeireglement seinen Wagen
nicht allein lassen, während ich im Regen zu Fuße gehen mußte,
da ich ihm für diese Fahrt nicht bezahlte; sodann ist es, die Höflich¬
keit der Herrn Polizei-Commissaire in allen Ehren gehalten, immer
noch kein Vergnügen, mit ihnen zu thun haben; noch weniger an¬
genehm ist eS, sich in lange Streitigkeiten mit einem groben Kut-
cher selbst in Gegenwart der Polizei einzulassen und endlich vor-
sauSgesetzt, ich hätte alle diese Rücksichten so wie meinen Zeitverlust
unbeachtet gelassen, so war des ja noch gar nicht sicher, daß ich


Berlin wohnenden Freund zu machen, nahm also, um zurückfahren zu
können, einen Fiaker auf eine Stunde. Gut, aber nicht für mich,
sondern für meinen Kutscher; denn dieser richtet sich seine Fahrt
darnach ein, d. h. er fährt wo möglich noch langsamer als ein
Charlottenburger Landwagen. Seinen Weg nimmt er nicht gerade¬
aus oder in der kürzesten Linie, nein, er schlägt vielmehr eine Rich¬
tung ein, in welcher er sicher ist, entweder ein großes Gedränge zu
finden, so daß er zu noch langsamerem Fahren genöthigt ist, oder
auf Straßen zu stoßen, in denen man pflastert, so daß er umkeh¬
ren muß. Endlich kann er nicht mehr ausweichen, er muß gerade
er die Straße einbiegen, an deren Ende ich zu thun habe; daß ich
überaus prcssirr bin lind meinen Freund verfehlt zu haben befürchte,
kann er mir vom Gesichte ablesen, folglich fährt er wo möglich noch
langsamer als zuvor. Ich steige aus, und siehe da, mein Freund
ist eben ausgegangen. Wüthend, ihn durch die Schuld des Kut¬
schers verfehl! zu haben, steige ich wieder in den Wagen, indem ich
meinem Automcdon seine Langsamkeit heftig vorwerfe und ihm schnelle
Rückkehr anempfehle. Er aber, der wohl voraussieht, daß er nun
kein Trinkgeld bekommen wird, sucht sich zu entschävigen; d. h. er
nimmt sich zum Rückweg wo möglich noch mehr Zeit, als zum
Hinweg, so daß, als ich endlich nach Hause komme und ihm die
Taxe für eine Stunde bezahlen will, er mir unwiderleglich darthut,
daß ich ihm i .r zwei Stunden zu bezahlen habe, und dabei ist er
noch gütig genug; denn er berechnet mir nicht, daß seine Uhr um
mehr, als eine Viertelstunde zurückgeht. Was sollte ich nun thun?
Ich konnte den Kutscher zwingen, mit mir zum Polizei-Commissair
des Viertels zu gehen, werden Sie mir einwenden, geehrter Leser.
Aber bedenken Sie nur ein wenig folgende Dinge: erstens fuhr der
Kutscher hin, denn er darf nach Polizeireglement seinen Wagen
nicht allein lassen, während ich im Regen zu Fuße gehen mußte,
da ich ihm für diese Fahrt nicht bezahlte; sodann ist es, die Höflich¬
keit der Herrn Polizei-Commissaire in allen Ehren gehalten, immer
noch kein Vergnügen, mit ihnen zu thun haben; noch weniger an¬
genehm ist eS, sich in lange Streitigkeiten mit einem groben Kut-
cher selbst in Gegenwart der Polizei einzulassen und endlich vor-
sauSgesetzt, ich hätte alle diese Rücksichten so wie meinen Zeitverlust
unbeachtet gelassen, so war des ja noch gar nicht sicher, daß ich


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[0164] Berlin wohnenden Freund zu machen, nahm also, um zurückfahren zu können, einen Fiaker auf eine Stunde. Gut, aber nicht für mich, sondern für meinen Kutscher; denn dieser richtet sich seine Fahrt darnach ein, d. h. er fährt wo möglich noch langsamer als ein Charlottenburger Landwagen. Seinen Weg nimmt er nicht gerade¬ aus oder in der kürzesten Linie, nein, er schlägt vielmehr eine Rich¬ tung ein, in welcher er sicher ist, entweder ein großes Gedränge zu finden, so daß er zu noch langsamerem Fahren genöthigt ist, oder auf Straßen zu stoßen, in denen man pflastert, so daß er umkeh¬ ren muß. Endlich kann er nicht mehr ausweichen, er muß gerade er die Straße einbiegen, an deren Ende ich zu thun habe; daß ich überaus prcssirr bin lind meinen Freund verfehlt zu haben befürchte, kann er mir vom Gesichte ablesen, folglich fährt er wo möglich noch langsamer als zuvor. Ich steige aus, und siehe da, mein Freund ist eben ausgegangen. Wüthend, ihn durch die Schuld des Kut¬ schers verfehl! zu haben, steige ich wieder in den Wagen, indem ich meinem Automcdon seine Langsamkeit heftig vorwerfe und ihm schnelle Rückkehr anempfehle. Er aber, der wohl voraussieht, daß er nun kein Trinkgeld bekommen wird, sucht sich zu entschävigen; d. h. er nimmt sich zum Rückweg wo möglich noch mehr Zeit, als zum Hinweg, so daß, als ich endlich nach Hause komme und ihm die Taxe für eine Stunde bezahlen will, er mir unwiderleglich darthut, daß ich ihm i .r zwei Stunden zu bezahlen habe, und dabei ist er noch gütig genug; denn er berechnet mir nicht, daß seine Uhr um mehr, als eine Viertelstunde zurückgeht. Was sollte ich nun thun? Ich konnte den Kutscher zwingen, mit mir zum Polizei-Commissair des Viertels zu gehen, werden Sie mir einwenden, geehrter Leser. Aber bedenken Sie nur ein wenig folgende Dinge: erstens fuhr der Kutscher hin, denn er darf nach Polizeireglement seinen Wagen nicht allein lassen, während ich im Regen zu Fuße gehen mußte, da ich ihm für diese Fahrt nicht bezahlte; sodann ist es, die Höflich¬ keit der Herrn Polizei-Commissaire in allen Ehren gehalten, immer noch kein Vergnügen, mit ihnen zu thun haben; noch weniger an¬ genehm ist eS, sich in lange Streitigkeiten mit einem groben Kut- cher selbst in Gegenwart der Polizei einzulassen und endlich vor- sauSgesetzt, ich hätte alle diese Rücksichten so wie meinen Zeitverlust unbeachtet gelassen, so war des ja noch gar nicht sicher, daß ich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/164>, abgerufen am 23.07.2024.