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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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hoffen, daß einer oder der andere derselben vielleicht einen praktischen
Nutzen ans meinem Geplauder ziehen wird.

Ich komme also auf meine obige Frage zurück: Darf man den
Diebstahl ermuthigen? Moral und Religion antworten rasch: Nein;
Dame Praris aber thut uns dar, daß es freilich sehr leichr ist, dieses
Nein zu sagen, aber sehr schwer, ja oft fast unmöglich ist, darnach
zu handeln. Einige Beispiele werden dies leicht beweisen.

Seit einigen Monaten habe ich einen Neffen bet mir, der hier
seinen Gymnasial-Kursus durchmacht; das Essen aus den Speise-
häusern will mir ohnedies nie recht behagen: ich habe mich also
entschlossen, eigenes Haus zu fuhren und habe zu dem Behufe eine
Haushälterin angenommen, welche zugleich auch Köchin ist. Nun
wird man mir hier vielleicht von vorn herein einwerfen, eine Haus¬
hälterin sei ein personisicirtes Unglück; zugegeben, aber ich habe sicher¬
lich nicht wenig Unglücksgenossen, bin also in keinem ausnahms-
weisen Zustand. Da ich nicht täglich und stündlich mit Geldforde-,
ringen belästigt sein wollte, so hatte ich Bäcker, Fleischer, Specerei-
waarenhändler:c. autorisüt, meiner Haushälterin, an deren Ehrlich¬
keit zu zweifeln ich keinen Grund hatte, sämmtlichen Bedarf aus
monatlichen Credit zu liefern. Nun denke man sich mein Erstaunen,
als mir am Ende des ersten Monats Rechnungen für nichts, als
Eßwaaren eingeliefert wurden, deren Betrag sich auf nicht weniger,
als einige sechzig Thaler belief! Ich erschrack. Acht und sechzig
Thaler für drei Personen -- die Haushälterin mit inbegriffen, --
die täglich nur drei Mahlzeiten in anständig bürgerlicher Art zu sich
nahmen! DaS ging über meine Begriffe. Ich glaubte an eine über¬
triebene Beutelschnciderei Seitens der Liefernden, aber einige Blicke
auf die Rechnungen einer und aus die polizeilich veröffentlichten
Brod- und Fleischtaren andrer Seits überzeugten mich, daß die
Preise nicht höher, als billig, daß aber die Massen des Verzehrten
enorm waren. Nun erschrack ich noch mehr; denn ich fing an zu
befürchten, mein Neffe oder ich litten, uns selbst unbewußt, an der
Auszehrung und äßen daher ungemein stark. Aber auch von dieser
Angst ward ich bald befreit, indem ich durch einen Zufall der Quelle
meiner enormen Rechnung auf die Spur kam; eS war diese Quelle
oder vielmehr dieser für mich unausfüllbare Abgrund die Mitesser-
fchaft der drei Kinder meiner Haushälterin, die sich für unverhei-


hoffen, daß einer oder der andere derselben vielleicht einen praktischen
Nutzen ans meinem Geplauder ziehen wird.

Ich komme also auf meine obige Frage zurück: Darf man den
Diebstahl ermuthigen? Moral und Religion antworten rasch: Nein;
Dame Praris aber thut uns dar, daß es freilich sehr leichr ist, dieses
Nein zu sagen, aber sehr schwer, ja oft fast unmöglich ist, darnach
zu handeln. Einige Beispiele werden dies leicht beweisen.

Seit einigen Monaten habe ich einen Neffen bet mir, der hier
seinen Gymnasial-Kursus durchmacht; das Essen aus den Speise-
häusern will mir ohnedies nie recht behagen: ich habe mich also
entschlossen, eigenes Haus zu fuhren und habe zu dem Behufe eine
Haushälterin angenommen, welche zugleich auch Köchin ist. Nun
wird man mir hier vielleicht von vorn herein einwerfen, eine Haus¬
hälterin sei ein personisicirtes Unglück; zugegeben, aber ich habe sicher¬
lich nicht wenig Unglücksgenossen, bin also in keinem ausnahms-
weisen Zustand. Da ich nicht täglich und stündlich mit Geldforde-,
ringen belästigt sein wollte, so hatte ich Bäcker, Fleischer, Specerei-
waarenhändler:c. autorisüt, meiner Haushälterin, an deren Ehrlich¬
keit zu zweifeln ich keinen Grund hatte, sämmtlichen Bedarf aus
monatlichen Credit zu liefern. Nun denke man sich mein Erstaunen,
als mir am Ende des ersten Monats Rechnungen für nichts, als
Eßwaaren eingeliefert wurden, deren Betrag sich auf nicht weniger,
als einige sechzig Thaler belief! Ich erschrack. Acht und sechzig
Thaler für drei Personen — die Haushälterin mit inbegriffen, —
die täglich nur drei Mahlzeiten in anständig bürgerlicher Art zu sich
nahmen! DaS ging über meine Begriffe. Ich glaubte an eine über¬
triebene Beutelschnciderei Seitens der Liefernden, aber einige Blicke
auf die Rechnungen einer und aus die polizeilich veröffentlichten
Brod- und Fleischtaren andrer Seits überzeugten mich, daß die
Preise nicht höher, als billig, daß aber die Massen des Verzehrten
enorm waren. Nun erschrack ich noch mehr; denn ich fing an zu
befürchten, mein Neffe oder ich litten, uns selbst unbewußt, an der
Auszehrung und äßen daher ungemein stark. Aber auch von dieser
Angst ward ich bald befreit, indem ich durch einen Zufall der Quelle
meiner enormen Rechnung auf die Spur kam; eS war diese Quelle
oder vielmehr dieser für mich unausfüllbare Abgrund die Mitesser-
fchaft der drei Kinder meiner Haushälterin, die sich für unverhei-


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[0162] hoffen, daß einer oder der andere derselben vielleicht einen praktischen Nutzen ans meinem Geplauder ziehen wird. Ich komme also auf meine obige Frage zurück: Darf man den Diebstahl ermuthigen? Moral und Religion antworten rasch: Nein; Dame Praris aber thut uns dar, daß es freilich sehr leichr ist, dieses Nein zu sagen, aber sehr schwer, ja oft fast unmöglich ist, darnach zu handeln. Einige Beispiele werden dies leicht beweisen. Seit einigen Monaten habe ich einen Neffen bet mir, der hier seinen Gymnasial-Kursus durchmacht; das Essen aus den Speise- häusern will mir ohnedies nie recht behagen: ich habe mich also entschlossen, eigenes Haus zu fuhren und habe zu dem Behufe eine Haushälterin angenommen, welche zugleich auch Köchin ist. Nun wird man mir hier vielleicht von vorn herein einwerfen, eine Haus¬ hälterin sei ein personisicirtes Unglück; zugegeben, aber ich habe sicher¬ lich nicht wenig Unglücksgenossen, bin also in keinem ausnahms- weisen Zustand. Da ich nicht täglich und stündlich mit Geldforde-, ringen belästigt sein wollte, so hatte ich Bäcker, Fleischer, Specerei- waarenhändler:c. autorisüt, meiner Haushälterin, an deren Ehrlich¬ keit zu zweifeln ich keinen Grund hatte, sämmtlichen Bedarf aus monatlichen Credit zu liefern. Nun denke man sich mein Erstaunen, als mir am Ende des ersten Monats Rechnungen für nichts, als Eßwaaren eingeliefert wurden, deren Betrag sich auf nicht weniger, als einige sechzig Thaler belief! Ich erschrack. Acht und sechzig Thaler für drei Personen — die Haushälterin mit inbegriffen, — die täglich nur drei Mahlzeiten in anständig bürgerlicher Art zu sich nahmen! DaS ging über meine Begriffe. Ich glaubte an eine über¬ triebene Beutelschnciderei Seitens der Liefernden, aber einige Blicke auf die Rechnungen einer und aus die polizeilich veröffentlichten Brod- und Fleischtaren andrer Seits überzeugten mich, daß die Preise nicht höher, als billig, daß aber die Massen des Verzehrten enorm waren. Nun erschrack ich noch mehr; denn ich fing an zu befürchten, mein Neffe oder ich litten, uns selbst unbewußt, an der Auszehrung und äßen daher ungemein stark. Aber auch von dieser Angst ward ich bald befreit, indem ich durch einen Zufall der Quelle meiner enormen Rechnung auf die Spur kam; eS war diese Quelle oder vielmehr dieser für mich unausfüllbare Abgrund die Mitesser- fchaft der drei Kinder meiner Haushälterin, die sich für unverhei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/162>, abgerufen am 01.07.2024.