Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.daS nicht ein widriges, sondern ein günstiges Lebensgeschick nennen Ich meinerseits glaube zwar, daß Feuerbach trotz seinem Bruck- Und solche Bedeutung möchte ich allerdings unserem Helden zu¬ daS nicht ein widriges, sondern ein günstiges Lebensgeschick nennen Ich meinerseits glaube zwar, daß Feuerbach trotz seinem Bruck- Und solche Bedeutung möchte ich allerdings unserem Helden zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0016" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266633"/> <p xml:id="ID_21" prev="#ID_20"> daS nicht ein widriges, sondern ein günstiges Lebensgeschick nennen<lb/> lassen und seinem Genius eS danken, daß er ihn auf diesen Boden<lb/> versetzt hat.</p><lb/> <p xml:id="ID_22"> Ich meinerseits glaube zwar, daß Feuerbach trotz seinem Bruck-<lb/> berg nicht in die Reihe jener Reformatoren zu stellen sein wird.<lb/> In seiner Einsamkeit ist er gar zu vielen „Illusionen der Menschheit<lb/> auf die Spur gekommen" und so tief er durch den Wust der Ge¬<lb/> schichte und Alltäglichkeit in das lebendige Herz hinuntergegrabcn,<lb/> so hat er doch nicht die Stelle gefunden, wo der Quell eines neuen<lb/> Lebens selber hervorspringen muß; so sehr er gefunden und gezeigt,<lb/> wie das gesunde und lebendige Her; im Busen schlägt, so hat er<lb/> doch nicht gesehen und geoffenbart, was der Inhalt ist, der in die¬<lb/> sem Herzen weben soll, wenn eS nicht der pure, natürliche, ich sage<lb/> nicht thierische, wie brutaler Mißverstand Feuerbach's Naturalismus<lb/> deutet, aber doch blos physiologische Herzschlag sein und bleiben soll.<lb/> Einsam, mit Weib und Kind, mit dem theilnehmenden Freunde, mit<lb/> der Bibliothek und dem Klavier, mit gutem Bier und gesunder Luft,<lb/> im freundlichen Garten von schöner Natur umgeben, braucht Einer<lb/> freilich dieß und Jenes und manches Andre nicht, ohne das die<lb/> Gesellschaft nicht bestehen kann, am allermeisten kann er Staat und<lb/> Kirche entbehren, und Religion, Kunst, Wissenschaft mag in einem<lb/> lediglich subjektiven Cultus des Geistes und des Herzens aufgehen.<lb/> Allein die Menschheit, die Gesellschaft muß zu ihrer Einigung und<lb/> Erhaltung einen objectiven Inhalt haben, an dem sie Norm und<lb/> Halt des Bestehens finde. Wer keinen solchen Inhalt zu bieten<lb/> weiß, mag auf ihn hinweisen, ihn bedeuten selbst, aber Reformator<lb/> selber ist er nicht.</p><lb/> <p xml:id="ID_23" next="#ID_24"> Und solche Bedeutung möchte ich allerdings unserem Helden zu¬<lb/> erkennen. In der auf'S Häßlichste gesteigerten Unnatur und Ver¬<lb/> zwicktheit aller unserer öffentlichen und privaten Verhältnisse, in der<lb/> Künstlichkeit aller Bildung, in dem allgemeinen Marasmus, der<lb/> sich unserer Tage bemächtigt, in der Dürre der Theorie, die man<lb/> durch Anschauen des Baumes des materiellen Lebens sich verquicken<lb/> will, dessen goldne Aepfel doch in sich voll Würmer sind, in der<lb/> Trostlosigkeit des Systemes, in der trostlosen Aussicht auf den in¬<lb/> dustriellen Materialismus, der Nachbarländer auf die sah windliche<lb/> Höhe geschnellt, von der herab sie nur fallen können — in diesem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0016]
daS nicht ein widriges, sondern ein günstiges Lebensgeschick nennen
lassen und seinem Genius eS danken, daß er ihn auf diesen Boden
versetzt hat.
Ich meinerseits glaube zwar, daß Feuerbach trotz seinem Bruck-
berg nicht in die Reihe jener Reformatoren zu stellen sein wird.
In seiner Einsamkeit ist er gar zu vielen „Illusionen der Menschheit
auf die Spur gekommen" und so tief er durch den Wust der Ge¬
schichte und Alltäglichkeit in das lebendige Herz hinuntergegrabcn,
so hat er doch nicht die Stelle gefunden, wo der Quell eines neuen
Lebens selber hervorspringen muß; so sehr er gefunden und gezeigt,
wie das gesunde und lebendige Her; im Busen schlägt, so hat er
doch nicht gesehen und geoffenbart, was der Inhalt ist, der in die¬
sem Herzen weben soll, wenn eS nicht der pure, natürliche, ich sage
nicht thierische, wie brutaler Mißverstand Feuerbach's Naturalismus
deutet, aber doch blos physiologische Herzschlag sein und bleiben soll.
Einsam, mit Weib und Kind, mit dem theilnehmenden Freunde, mit
der Bibliothek und dem Klavier, mit gutem Bier und gesunder Luft,
im freundlichen Garten von schöner Natur umgeben, braucht Einer
freilich dieß und Jenes und manches Andre nicht, ohne das die
Gesellschaft nicht bestehen kann, am allermeisten kann er Staat und
Kirche entbehren, und Religion, Kunst, Wissenschaft mag in einem
lediglich subjektiven Cultus des Geistes und des Herzens aufgehen.
Allein die Menschheit, die Gesellschaft muß zu ihrer Einigung und
Erhaltung einen objectiven Inhalt haben, an dem sie Norm und
Halt des Bestehens finde. Wer keinen solchen Inhalt zu bieten
weiß, mag auf ihn hinweisen, ihn bedeuten selbst, aber Reformator
selber ist er nicht.
Und solche Bedeutung möchte ich allerdings unserem Helden zu¬
erkennen. In der auf'S Häßlichste gesteigerten Unnatur und Ver¬
zwicktheit aller unserer öffentlichen und privaten Verhältnisse, in der
Künstlichkeit aller Bildung, in dem allgemeinen Marasmus, der
sich unserer Tage bemächtigt, in der Dürre der Theorie, die man
durch Anschauen des Baumes des materiellen Lebens sich verquicken
will, dessen goldne Aepfel doch in sich voll Würmer sind, in der
Trostlosigkeit des Systemes, in der trostlosen Aussicht auf den in¬
dustriellen Materialismus, der Nachbarländer auf die sah windliche
Höhe geschnellt, von der herab sie nur fallen können — in diesem
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