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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Schwiegersohn -- wird Frankreich an den schwachen Wurzeln der Julidynastie
rütteln? Macht die Thüre zu, es ist draußen Feuer. Und Euch vor Allen,
ihr Republikaner, mit den kriegerischen Gedanken, mit den rheinlustigen
Ideen, Euch vor Allen sollte dieser Ruf zu Herzen gehen. Bewacht die Frei¬
heit Frankreichs im Innern Eures Vaterlandes, umringt seinen heiligen Heerd
als eine kräftige Schaar und die Völker Europa's werden es Euch Dank wis¬
sen; aber reißt nicht mit übermüthigen Händen die Thüren Frankreichs auf;
denn es ist draußen Feuer."

Ich habe mir vorgenommen, so wenig als möglich die Politik in meinen
Briefen an Sie zu berühren; allein "wessen das Herz voll ist, dessen geht der
Mund über," sagt ein deutsches Sprichwort. Mögen Andere Ihnen über die
neuen Stücke für die Boulevardtheater, über die langweilig-klassischen Reden
in der Akademie, über Eugöne Sue's neueste Romane berichten; ich meiner¬
seits gehöre nicht zu den großen Geistern, welche ruhig die Mährchen der tau¬
send und einen Nacht lesen, während der Brand die Stadt verheert; ich besitze
nicht den Geist des Archimedes, der, während der Feind in der Nähe mit
Feuer und Schwert wüthet, sich ruhig seinen Cirkeln überläßt. Das Resultat
der französischen Wahlen ist doch etwas wichtiger für die Ereignisse der Zu¬
kunft, als das Resultat der Badischen Kammerwahlen. Mit aller Hochachtung
vor Itzstein: der silberne Ehrenbecher, den man ihm überreicht hat, wird kein
so bitteres Getränke für die Regierung enthalten, als die Urne, aus welcher
der Stimmzettel gezogen wurde, der die Herren Marie und Earnot, zwei ent¬
schiedene Republikaner, zu Repräsentanten von Frankreich macht. Man täusche sich
nicht: die zwölf Oppositionsmitglieder, welche die Stadt Paris wählte, sind eine
furchtbare Besatzung für die Festungemauern, welche Louis Philipp bauen läßt:
und wenn einst die Mauern von Jericho vor dem Tone der Hörner, welche die
zwölf Stämme von außen ertönen ließen, niederstürzten, so könnte hier leicht
der Fall eintreten, daß zwölf Stimmen, die von innen ertönen, noch größere
Risse hervorbringen. Das Geschäft eines politischen Propheten ist sehr undank¬
bar und ich überlasse es jedem Andern, das Gewitter zu prophezeihen, welches
die Sonne Guizot's, trotz ihrer goldenen Strahlen, in deren Versendung sie
nicht allzusparsam war, nicht zerstreuen konnte. Ich will dem getauften Jere-
mias, dem Herrn Baron von Eckstein, nicht ins Handwerk greifen und, aus
den Trümmern von Paris sitzend, Klagelieder in "die Allgemeine Zeitung wei¬
nen. Seitdem fast jede Stadt ihre eigene Börse besitzt, braucht man ja nur
die Bewegung der Frösche daselbst zu beobachten und man erspart jeden an¬
dern politischen Barometer. Der Pariser Froschteich gegenüber dem Vaude-


Schwiegersohn — wird Frankreich an den schwachen Wurzeln der Julidynastie
rütteln? Macht die Thüre zu, es ist draußen Feuer. Und Euch vor Allen,
ihr Republikaner, mit den kriegerischen Gedanken, mit den rheinlustigen
Ideen, Euch vor Allen sollte dieser Ruf zu Herzen gehen. Bewacht die Frei¬
heit Frankreichs im Innern Eures Vaterlandes, umringt seinen heiligen Heerd
als eine kräftige Schaar und die Völker Europa's werden es Euch Dank wis¬
sen; aber reißt nicht mit übermüthigen Händen die Thüren Frankreichs auf;
denn es ist draußen Feuer."

Ich habe mir vorgenommen, so wenig als möglich die Politik in meinen
Briefen an Sie zu berühren; allein „wessen das Herz voll ist, dessen geht der
Mund über," sagt ein deutsches Sprichwort. Mögen Andere Ihnen über die
neuen Stücke für die Boulevardtheater, über die langweilig-klassischen Reden
in der Akademie, über Eugöne Sue's neueste Romane berichten; ich meiner¬
seits gehöre nicht zu den großen Geistern, welche ruhig die Mährchen der tau¬
send und einen Nacht lesen, während der Brand die Stadt verheert; ich besitze
nicht den Geist des Archimedes, der, während der Feind in der Nähe mit
Feuer und Schwert wüthet, sich ruhig seinen Cirkeln überläßt. Das Resultat
der französischen Wahlen ist doch etwas wichtiger für die Ereignisse der Zu¬
kunft, als das Resultat der Badischen Kammerwahlen. Mit aller Hochachtung
vor Itzstein: der silberne Ehrenbecher, den man ihm überreicht hat, wird kein
so bitteres Getränke für die Regierung enthalten, als die Urne, aus welcher
der Stimmzettel gezogen wurde, der die Herren Marie und Earnot, zwei ent¬
schiedene Republikaner, zu Repräsentanten von Frankreich macht. Man täusche sich
nicht: die zwölf Oppositionsmitglieder, welche die Stadt Paris wählte, sind eine
furchtbare Besatzung für die Festungemauern, welche Louis Philipp bauen läßt:
und wenn einst die Mauern von Jericho vor dem Tone der Hörner, welche die
zwölf Stämme von außen ertönen ließen, niederstürzten, so könnte hier leicht
der Fall eintreten, daß zwölf Stimmen, die von innen ertönen, noch größere
Risse hervorbringen. Das Geschäft eines politischen Propheten ist sehr undank¬
bar und ich überlasse es jedem Andern, das Gewitter zu prophezeihen, welches
die Sonne Guizot's, trotz ihrer goldenen Strahlen, in deren Versendung sie
nicht allzusparsam war, nicht zerstreuen konnte. Ich will dem getauften Jere-
mias, dem Herrn Baron von Eckstein, nicht ins Handwerk greifen und, aus
den Trümmern von Paris sitzend, Klagelieder in "die Allgemeine Zeitung wei¬
nen. Seitdem fast jede Stadt ihre eigene Börse besitzt, braucht man ja nur
die Bewegung der Frösche daselbst zu beobachten und man erspart jeden an¬
dern politischen Barometer. Der Pariser Froschteich gegenüber dem Vaude-


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[0154] Schwiegersohn — wird Frankreich an den schwachen Wurzeln der Julidynastie rütteln? Macht die Thüre zu, es ist draußen Feuer. Und Euch vor Allen, ihr Republikaner, mit den kriegerischen Gedanken, mit den rheinlustigen Ideen, Euch vor Allen sollte dieser Ruf zu Herzen gehen. Bewacht die Frei¬ heit Frankreichs im Innern Eures Vaterlandes, umringt seinen heiligen Heerd als eine kräftige Schaar und die Völker Europa's werden es Euch Dank wis¬ sen; aber reißt nicht mit übermüthigen Händen die Thüren Frankreichs auf; denn es ist draußen Feuer." Ich habe mir vorgenommen, so wenig als möglich die Politik in meinen Briefen an Sie zu berühren; allein „wessen das Herz voll ist, dessen geht der Mund über," sagt ein deutsches Sprichwort. Mögen Andere Ihnen über die neuen Stücke für die Boulevardtheater, über die langweilig-klassischen Reden in der Akademie, über Eugöne Sue's neueste Romane berichten; ich meiner¬ seits gehöre nicht zu den großen Geistern, welche ruhig die Mährchen der tau¬ send und einen Nacht lesen, während der Brand die Stadt verheert; ich besitze nicht den Geist des Archimedes, der, während der Feind in der Nähe mit Feuer und Schwert wüthet, sich ruhig seinen Cirkeln überläßt. Das Resultat der französischen Wahlen ist doch etwas wichtiger für die Ereignisse der Zu¬ kunft, als das Resultat der Badischen Kammerwahlen. Mit aller Hochachtung vor Itzstein: der silberne Ehrenbecher, den man ihm überreicht hat, wird kein so bitteres Getränke für die Regierung enthalten, als die Urne, aus welcher der Stimmzettel gezogen wurde, der die Herren Marie und Earnot, zwei ent¬ schiedene Republikaner, zu Repräsentanten von Frankreich macht. Man täusche sich nicht: die zwölf Oppositionsmitglieder, welche die Stadt Paris wählte, sind eine furchtbare Besatzung für die Festungemauern, welche Louis Philipp bauen läßt: und wenn einst die Mauern von Jericho vor dem Tone der Hörner, welche die zwölf Stämme von außen ertönen ließen, niederstürzten, so könnte hier leicht der Fall eintreten, daß zwölf Stimmen, die von innen ertönen, noch größere Risse hervorbringen. Das Geschäft eines politischen Propheten ist sehr undank¬ bar und ich überlasse es jedem Andern, das Gewitter zu prophezeihen, welches die Sonne Guizot's, trotz ihrer goldenen Strahlen, in deren Versendung sie nicht allzusparsam war, nicht zerstreuen konnte. Ich will dem getauften Jere- mias, dem Herrn Baron von Eckstein, nicht ins Handwerk greifen und, aus den Trümmern von Paris sitzend, Klagelieder in "die Allgemeine Zeitung wei¬ nen. Seitdem fast jede Stadt ihre eigene Börse besitzt, braucht man ja nur die Bewegung der Frösche daselbst zu beobachten und man erspart jeden an¬ dern politischen Barometer. Der Pariser Froschteich gegenüber dem Vaude-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/154>, abgerufen am 29.06.2024.