Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

gegen die Günstlinge, um sie von der Höhe ihrer Macht herabzu--
schleudern in Sibiriens Eissteppen: man that ihnen, wie sie ihren
Vorgängern gethan; und oft begegnete ein nach Sibirien geschickter
Günstling auf halbem Wege dahin seinem, von ihm in die Knecht¬
schaft gesandten, in Folge seines Sturzes fröhlich zurückkehrenden
Feinde. Sibirien war gewissermaßen eine Zeit lang eine Glacii;re,
worin die gefallenen Minister frisch bewahrt wurden, bis der Au¬
genblick ihrer Brauchbarkeit wieder erschien: eine Art Pairskammer.
So war es, da Weiber regierten. Jede unter der Kaiserherrschaft
sind die Complote fürchterlicher; denn hier handelt es sich nicht mehr
blos darum, sie vom Thron zu stürzen und nach Sibirien zu schicken:
die Verschwörer zielen auf ihr Leben. So war eS unter Peter und
unter Paul; so unter Alerander amb so ist es noch unter Nikolaus:
und so wird es bleiben, so lange eS Aristokratie und Sklaverei in
Rußland geben wird. Denn das Volk, der Mittelstand, hat keinen
Theil an diesen Verbrechen: die russische Aristokratie wird dieses
schmachvolle Brandmal tragen, das die strenge Richterin, Geschichte,
ihrer Stirn ausbrennen wird: ein Brandmal, das um so unauslöschlicher
ist, als diese Verbrechen nicht in politischen oder religiösen Leidenschaften
ihren Beweggrund und mildernde Umstände gefunden. Der kälteste,
grausamste Egoismus war es stets und wird es stets bei den russischen
Aristokraten sein, der Verschwörungen gegen die Fürsten veranlaßt,
wenn sie ihrem Volke Gutes gethan haben oder thun wollen. Pe¬
ter III. war sür Friedrich den Großen enthusiasmirt; er wollte in
der russischen Regierungsweise und Politik die freisinnigen Grundsätze
und Ideen dieses glorreichen deutschen Fürsten einführen, und zum
Lohne dafür ward er ermordet. Paul hatte die französischen Ideen
und Napoleon, ihren unsterblichen Repräsentanten, liebgewonnen und
siehe da -- Paul ward erstickt. Alerander, der den größeren Theil
seiner Regierungszeit außerhalb seines Reichs in der Mitte der eu¬
ropäischen Civilisation lebte, empfand natürlich den wohlthätige"
Einfluß europäischer Sitten und Gesetze. Er war während dergrv-
ßen Kriegsjahre Zeuge gewesen der Opfer, welche die Nationen ge-
bracht, um ihre nationale Unabhängigkeit und eine gesellschaftliche
Umgestaltung zu erkämpfen, und so ward er, der von Charakter
großmüthigen Herzens war, liberal gesinnt und beschloß seine Leib¬
eigenen zu emancipiren, seinem Volke Unterricht und Belehrung an-


gegen die Günstlinge, um sie von der Höhe ihrer Macht herabzu--
schleudern in Sibiriens Eissteppen: man that ihnen, wie sie ihren
Vorgängern gethan; und oft begegnete ein nach Sibirien geschickter
Günstling auf halbem Wege dahin seinem, von ihm in die Knecht¬
schaft gesandten, in Folge seines Sturzes fröhlich zurückkehrenden
Feinde. Sibirien war gewissermaßen eine Zeit lang eine Glacii;re,
worin die gefallenen Minister frisch bewahrt wurden, bis der Au¬
genblick ihrer Brauchbarkeit wieder erschien: eine Art Pairskammer.
So war es, da Weiber regierten. Jede unter der Kaiserherrschaft
sind die Complote fürchterlicher; denn hier handelt es sich nicht mehr
blos darum, sie vom Thron zu stürzen und nach Sibirien zu schicken:
die Verschwörer zielen auf ihr Leben. So war eS unter Peter und
unter Paul; so unter Alerander amb so ist es noch unter Nikolaus:
und so wird es bleiben, so lange eS Aristokratie und Sklaverei in
Rußland geben wird. Denn das Volk, der Mittelstand, hat keinen
Theil an diesen Verbrechen: die russische Aristokratie wird dieses
schmachvolle Brandmal tragen, das die strenge Richterin, Geschichte,
ihrer Stirn ausbrennen wird: ein Brandmal, das um so unauslöschlicher
ist, als diese Verbrechen nicht in politischen oder religiösen Leidenschaften
ihren Beweggrund und mildernde Umstände gefunden. Der kälteste,
grausamste Egoismus war es stets und wird es stets bei den russischen
Aristokraten sein, der Verschwörungen gegen die Fürsten veranlaßt,
wenn sie ihrem Volke Gutes gethan haben oder thun wollen. Pe¬
ter III. war sür Friedrich den Großen enthusiasmirt; er wollte in
der russischen Regierungsweise und Politik die freisinnigen Grundsätze
und Ideen dieses glorreichen deutschen Fürsten einführen, und zum
Lohne dafür ward er ermordet. Paul hatte die französischen Ideen
und Napoleon, ihren unsterblichen Repräsentanten, liebgewonnen und
siehe da — Paul ward erstickt. Alerander, der den größeren Theil
seiner Regierungszeit außerhalb seines Reichs in der Mitte der eu¬
ropäischen Civilisation lebte, empfand natürlich den wohlthätige»
Einfluß europäischer Sitten und Gesetze. Er war während dergrv-
ßen Kriegsjahre Zeuge gewesen der Opfer, welche die Nationen ge-
bracht, um ihre nationale Unabhängigkeit und eine gesellschaftliche
Umgestaltung zu erkämpfen, und so ward er, der von Charakter
großmüthigen Herzens war, liberal gesinnt und beschloß seine Leib¬
eigenen zu emancipiren, seinem Volke Unterricht und Belehrung an-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0127" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/266744"/>
          <p xml:id="ID_322" prev="#ID_321" next="#ID_323"> gegen die Günstlinge, um sie von der Höhe ihrer Macht herabzu--<lb/>
schleudern in Sibiriens Eissteppen: man that ihnen, wie sie ihren<lb/>
Vorgängern gethan; und oft begegnete ein nach Sibirien geschickter<lb/>
Günstling auf halbem Wege dahin seinem, von ihm in die Knecht¬<lb/>
schaft gesandten, in Folge seines Sturzes fröhlich zurückkehrenden<lb/>
Feinde. Sibirien war gewissermaßen eine Zeit lang eine Glacii;re,<lb/>
worin die gefallenen Minister frisch bewahrt wurden, bis der Au¬<lb/>
genblick ihrer Brauchbarkeit wieder erschien: eine Art Pairskammer.<lb/>
So war es, da Weiber regierten.  Jede unter der Kaiserherrschaft<lb/>
sind die Complote fürchterlicher; denn hier handelt es sich nicht mehr<lb/>
blos darum, sie vom Thron zu stürzen und nach Sibirien zu schicken:<lb/>
die Verschwörer zielen auf ihr Leben. So war eS unter Peter und<lb/>
unter Paul; so unter Alerander amb so ist es noch unter Nikolaus:<lb/>
und so wird es bleiben, so lange eS Aristokratie und Sklaverei in<lb/>
Rußland geben wird. Denn das Volk, der Mittelstand, hat keinen<lb/>
Theil an diesen Verbrechen: die russische Aristokratie wird dieses<lb/>
schmachvolle Brandmal tragen, das die strenge Richterin, Geschichte,<lb/>
ihrer Stirn ausbrennen wird: ein Brandmal, das um so unauslöschlicher<lb/>
ist, als diese Verbrechen nicht in politischen oder religiösen Leidenschaften<lb/>
ihren Beweggrund und mildernde Umstände gefunden.  Der kälteste,<lb/>
grausamste Egoismus war es stets und wird es stets bei den russischen<lb/>
Aristokraten sein, der Verschwörungen gegen die Fürsten veranlaßt,<lb/>
wenn sie ihrem Volke Gutes gethan haben oder thun wollen. Pe¬<lb/>
ter III. war sür Friedrich den Großen enthusiasmirt; er wollte in<lb/>
der russischen Regierungsweise und Politik die freisinnigen Grundsätze<lb/>
und Ideen dieses glorreichen deutschen Fürsten einführen, und zum<lb/>
Lohne dafür ward er ermordet. Paul hatte die französischen Ideen<lb/>
und Napoleon, ihren unsterblichen Repräsentanten, liebgewonnen und<lb/>
siehe da &#x2014; Paul ward erstickt. Alerander, der den größeren Theil<lb/>
seiner Regierungszeit außerhalb seines Reichs in der Mitte der eu¬<lb/>
ropäischen Civilisation lebte, empfand natürlich den wohlthätige»<lb/>
Einfluß europäischer Sitten und Gesetze.  Er war während dergrv-<lb/>
ßen Kriegsjahre Zeuge gewesen der Opfer, welche die Nationen ge-<lb/>
bracht, um ihre nationale Unabhängigkeit und eine gesellschaftliche<lb/>
Umgestaltung zu erkämpfen, und so ward er, der von Charakter<lb/>
großmüthigen Herzens war, liberal gesinnt und beschloß seine Leib¬<lb/>
eigenen zu emancipiren, seinem Volke Unterricht und Belehrung an-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0127] gegen die Günstlinge, um sie von der Höhe ihrer Macht herabzu-- schleudern in Sibiriens Eissteppen: man that ihnen, wie sie ihren Vorgängern gethan; und oft begegnete ein nach Sibirien geschickter Günstling auf halbem Wege dahin seinem, von ihm in die Knecht¬ schaft gesandten, in Folge seines Sturzes fröhlich zurückkehrenden Feinde. Sibirien war gewissermaßen eine Zeit lang eine Glacii;re, worin die gefallenen Minister frisch bewahrt wurden, bis der Au¬ genblick ihrer Brauchbarkeit wieder erschien: eine Art Pairskammer. So war es, da Weiber regierten. Jede unter der Kaiserherrschaft sind die Complote fürchterlicher; denn hier handelt es sich nicht mehr blos darum, sie vom Thron zu stürzen und nach Sibirien zu schicken: die Verschwörer zielen auf ihr Leben. So war eS unter Peter und unter Paul; so unter Alerander amb so ist es noch unter Nikolaus: und so wird es bleiben, so lange eS Aristokratie und Sklaverei in Rußland geben wird. Denn das Volk, der Mittelstand, hat keinen Theil an diesen Verbrechen: die russische Aristokratie wird dieses schmachvolle Brandmal tragen, das die strenge Richterin, Geschichte, ihrer Stirn ausbrennen wird: ein Brandmal, das um so unauslöschlicher ist, als diese Verbrechen nicht in politischen oder religiösen Leidenschaften ihren Beweggrund und mildernde Umstände gefunden. Der kälteste, grausamste Egoismus war es stets und wird es stets bei den russischen Aristokraten sein, der Verschwörungen gegen die Fürsten veranlaßt, wenn sie ihrem Volke Gutes gethan haben oder thun wollen. Pe¬ ter III. war sür Friedrich den Großen enthusiasmirt; er wollte in der russischen Regierungsweise und Politik die freisinnigen Grundsätze und Ideen dieses glorreichen deutschen Fürsten einführen, und zum Lohne dafür ward er ermordet. Paul hatte die französischen Ideen und Napoleon, ihren unsterblichen Repräsentanten, liebgewonnen und siehe da — Paul ward erstickt. Alerander, der den größeren Theil seiner Regierungszeit außerhalb seines Reichs in der Mitte der eu¬ ropäischen Civilisation lebte, empfand natürlich den wohlthätige» Einfluß europäischer Sitten und Gesetze. Er war während dergrv- ßen Kriegsjahre Zeuge gewesen der Opfer, welche die Nationen ge- bracht, um ihre nationale Unabhängigkeit und eine gesellschaftliche Umgestaltung zu erkämpfen, und so ward er, der von Charakter großmüthigen Herzens war, liberal gesinnt und beschloß seine Leib¬ eigenen zu emancipiren, seinem Volke Unterricht und Belehrung an-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/127
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/127>, abgerufen am 23.07.2024.