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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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ihm die Mächte seines geistigen Bestehens weben', je entschiedener
der ganze, volle Mensch in diesem Gehalte steckt, desto mehr ver-
steckt er sich dem Auge, desto befremdlicher ist seine äußere Erschei¬
nung. Wer fand in dem Heros des ehernen Gedankens, in dem
Hegel der Logik den Mann wieder, der an so platten Späßchen,
faden Klatschen, leeren Spielen deö Augenblicks sich so kindlich erfreuen
konnte? Sicher, dem Schwaben sehen Sie es nie und nimmer am
Gesichte ab, was hinter ihm steckt, und der Mensch und der Denker,
der Gesellschafter und der Dichter, der Mann der Feder und der
Zunge sind oft bis zum Räthsel verschieden. -- Nicht so der Franke.
Aeußeres, Inneres, oder wie man den Gegensatz des menschlichen
Wesens sonst bestimmen mag, ist in lebendigeren Verkehr und
Wechsel. Alle Mächte seines Daseins sind in bewegteren Flusse in
und zu einander. Die funkelnden Edelsteine, welche in dem schwä¬
bischen Urgebirge vereinzelt, in sich und in ihren Ort gefestet, der
Hebung, des Schliffes und der Fassung harren, sind hier vom Hause
aus bereits zu leichtem, heiterem Farben- und Gestaltenspiel an den
Faden eines sinnlich und geistig erfüllten, zwischen Aeußeren und
Innerem harmonisch getheilten Lebens aufgereiht. So war Göthe,
der Mann der Ewigkeit, immer ganz und voll der Mann des Au¬
genblicks, sein Wirken und Wesen ging stets in einander auf und
jedes Werk war er selbst, ein Stück, eine Epoche seines immer in
sich gerundeten und so in fertigen Gebilden verlaufenden Lebens.
Sagte Hegel: was der Mensch thut, das ist er, so war bei ihm
die Wahrheit eine philosophische Abstraktion; spricht Strauß es ihm
nach, so ist es auch bei ihm und in Bezug auf ihn mehr Gedanke,
alö eine Thatsache. Wer ahnte in dem Verfasser des Lebens Jesu
den Verfasser der zwei friedlichen Blätter, den Freund Justtnus
Kerner's, des gemüthvollsten Dichters, den Mann der Mystik, der
Poesie, der Fantaste und -- des Gemüthes? Es liegt der uner¬
bittlichen Härte, der kalten, eisernen Strenge des schwäbischen Genius
eine unerschloßne Tiefe der Seele, des Gefühls und Gemüthes zu
Grunde, daß, in ihr gegründet, ein solches Wesen furchtlos und treu
gleich jenem Gottbegnadeten mit allen Himmelsmächten ringt und
sie nicht läßt, sie segnen ihn denn.

So gibt der Schwabe immer, was er kann, und wollte er nur
immer, was er kann; der Franke, waS er ist, er ist aber in jedem


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ihm die Mächte seines geistigen Bestehens weben', je entschiedener
der ganze, volle Mensch in diesem Gehalte steckt, desto mehr ver-
steckt er sich dem Auge, desto befremdlicher ist seine äußere Erschei¬
nung. Wer fand in dem Heros des ehernen Gedankens, in dem
Hegel der Logik den Mann wieder, der an so platten Späßchen,
faden Klatschen, leeren Spielen deö Augenblicks sich so kindlich erfreuen
konnte? Sicher, dem Schwaben sehen Sie es nie und nimmer am
Gesichte ab, was hinter ihm steckt, und der Mensch und der Denker,
der Gesellschafter und der Dichter, der Mann der Feder und der
Zunge sind oft bis zum Räthsel verschieden. — Nicht so der Franke.
Aeußeres, Inneres, oder wie man den Gegensatz des menschlichen
Wesens sonst bestimmen mag, ist in lebendigeren Verkehr und
Wechsel. Alle Mächte seines Daseins sind in bewegteren Flusse in
und zu einander. Die funkelnden Edelsteine, welche in dem schwä¬
bischen Urgebirge vereinzelt, in sich und in ihren Ort gefestet, der
Hebung, des Schliffes und der Fassung harren, sind hier vom Hause
aus bereits zu leichtem, heiterem Farben- und Gestaltenspiel an den
Faden eines sinnlich und geistig erfüllten, zwischen Aeußeren und
Innerem harmonisch getheilten Lebens aufgereiht. So war Göthe,
der Mann der Ewigkeit, immer ganz und voll der Mann des Au¬
genblicks, sein Wirken und Wesen ging stets in einander auf und
jedes Werk war er selbst, ein Stück, eine Epoche seines immer in
sich gerundeten und so in fertigen Gebilden verlaufenden Lebens.
Sagte Hegel: was der Mensch thut, das ist er, so war bei ihm
die Wahrheit eine philosophische Abstraktion; spricht Strauß es ihm
nach, so ist es auch bei ihm und in Bezug auf ihn mehr Gedanke,
alö eine Thatsache. Wer ahnte in dem Verfasser des Lebens Jesu
den Verfasser der zwei friedlichen Blätter, den Freund Justtnus
Kerner's, des gemüthvollsten Dichters, den Mann der Mystik, der
Poesie, der Fantaste und — des Gemüthes? Es liegt der uner¬
bittlichen Härte, der kalten, eisernen Strenge des schwäbischen Genius
eine unerschloßne Tiefe der Seele, des Gefühls und Gemüthes zu
Grunde, daß, in ihr gegründet, ein solches Wesen furchtlos und treu
gleich jenem Gottbegnadeten mit allen Himmelsmächten ringt und
sie nicht läßt, sie segnen ihn denn.

So gibt der Schwabe immer, was er kann, und wollte er nur
immer, was er kann; der Franke, waS er ist, er ist aber in jedem


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[0011] ihm die Mächte seines geistigen Bestehens weben', je entschiedener der ganze, volle Mensch in diesem Gehalte steckt, desto mehr ver- steckt er sich dem Auge, desto befremdlicher ist seine äußere Erschei¬ nung. Wer fand in dem Heros des ehernen Gedankens, in dem Hegel der Logik den Mann wieder, der an so platten Späßchen, faden Klatschen, leeren Spielen deö Augenblicks sich so kindlich erfreuen konnte? Sicher, dem Schwaben sehen Sie es nie und nimmer am Gesichte ab, was hinter ihm steckt, und der Mensch und der Denker, der Gesellschafter und der Dichter, der Mann der Feder und der Zunge sind oft bis zum Räthsel verschieden. — Nicht so der Franke. Aeußeres, Inneres, oder wie man den Gegensatz des menschlichen Wesens sonst bestimmen mag, ist in lebendigeren Verkehr und Wechsel. Alle Mächte seines Daseins sind in bewegteren Flusse in und zu einander. Die funkelnden Edelsteine, welche in dem schwä¬ bischen Urgebirge vereinzelt, in sich und in ihren Ort gefestet, der Hebung, des Schliffes und der Fassung harren, sind hier vom Hause aus bereits zu leichtem, heiterem Farben- und Gestaltenspiel an den Faden eines sinnlich und geistig erfüllten, zwischen Aeußeren und Innerem harmonisch getheilten Lebens aufgereiht. So war Göthe, der Mann der Ewigkeit, immer ganz und voll der Mann des Au¬ genblicks, sein Wirken und Wesen ging stets in einander auf und jedes Werk war er selbst, ein Stück, eine Epoche seines immer in sich gerundeten und so in fertigen Gebilden verlaufenden Lebens. Sagte Hegel: was der Mensch thut, das ist er, so war bei ihm die Wahrheit eine philosophische Abstraktion; spricht Strauß es ihm nach, so ist es auch bei ihm und in Bezug auf ihn mehr Gedanke, alö eine Thatsache. Wer ahnte in dem Verfasser des Lebens Jesu den Verfasser der zwei friedlichen Blätter, den Freund Justtnus Kerner's, des gemüthvollsten Dichters, den Mann der Mystik, der Poesie, der Fantaste und — des Gemüthes? Es liegt der uner¬ bittlichen Härte, der kalten, eisernen Strenge des schwäbischen Genius eine unerschloßne Tiefe der Seele, des Gefühls und Gemüthes zu Grunde, daß, in ihr gegründet, ein solches Wesen furchtlos und treu gleich jenem Gottbegnadeten mit allen Himmelsmächten ringt und sie nicht läßt, sie segnen ihn denn. So gibt der Schwabe immer, was er kann, und wollte er nur immer, was er kann; der Franke, waS er ist, er ist aber in jedem I»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/11>, abgerufen am 01.07.2024.