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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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aus Virgil's Georgiken zu sehen, zwar genau nach der Natur ge¬
zeichnet, aber doch noch jenen Anhauch deö Ideals an sich tragend,
den ihnen des Dichters künstlerischer Griffel verliehen, Teniers'
Bauern erscheinen uns immer nur von irgend einer Seite ihres
moralischen Seins. In ihren Spielen, in ihren ländlichen Vereini¬
gungen, belebt von den Tönen der Schalmei, zeigt er sie uns: er
hebt zwar eine Ecke von dem Schleier auf/ der ihre ungeschlachten
Sitten verbirgt, aber nur, um uns davon die komische, groteske Seite zu
zeigen. Wenn aber aus dem Feste eine Orgie geworden, wenn die
Dämonen, die auf dem Grunde deö Bierkruges Hausen, alle die
thierisch-wilden Instinkte deö Menschen entfesselt, all seine blutdürsti-
gen Regungen geweckt haben, wenn die Messer aus der Scheide her¬
vorgeholt werden, wenn die Krüge an den Köpfen zerschellen, wenn
die Schemel sich einen blutigen Weg in die dichtesten Haufen bah¬
nen, wenn die Frauen angstvoll nach den Thüren zustürzen: -- da
tritt Teniers erschreckt zurück vor diesen wilden Gelagen, die Adrian
Brauer allein zu begreisen und darzustellen vermag. ,

Eine belgische und eine holländische Stadt, Audenaerde und
Harlem, streiten mit einander um die Ehre, die Geburtsstätte
dessen gewesen zu sein, der ohne Rubens' Bemühungen nicht einmal!
eine Grabstätte gefunden hätte. Brauer theilt hierin das gemein¬
same Loos all jener stürmischen und poetischen Geschöpfe, welche die
Nationen für die Zierden ihrer Geschichte halten, und denen sie später
Bildsäulen errichten, damit ihnen das Verbrechen verziehen werbe,
daß sie ihnen, da sie lebten, ein Stück Brod verweigert haben.

Alle seine Biographen sind über den Punkt einstimmig, daß
Adrian Brauer's Kindheit in Elend und Verlassenheit dahin geflos.
sen sei. Im Jahre 1008 von armen Handwerkern geboren, erhielt
er nicht jene befruchtende Erziehung, wodurch die Bahn eines Ge¬
nies vorbereitet wird, und konnte also auch nicht jene moralische
Würde besitzen, welche ihre Frucht ist.

Ein wahrer Zigeuner in der Kunst, verbrachte er eine sorglose,
fröhliche und ungebundene Jugend. Wie bei allen vollständigen Na¬
turen, so verrieth sich auch bei ihm seine Künstlerbestimmung in sei¬
nen Spielen, seinen Streitigkeiten, seinen Träumereien. Die Blu¬
men und Vögel waren seine ersten Modelle, und ohne irgend einen
Führer, ohne einen andern Rathgeber, ohne eine andere Inspiration


aus Virgil's Georgiken zu sehen, zwar genau nach der Natur ge¬
zeichnet, aber doch noch jenen Anhauch deö Ideals an sich tragend,
den ihnen des Dichters künstlerischer Griffel verliehen, Teniers'
Bauern erscheinen uns immer nur von irgend einer Seite ihres
moralischen Seins. In ihren Spielen, in ihren ländlichen Vereini¬
gungen, belebt von den Tönen der Schalmei, zeigt er sie uns: er
hebt zwar eine Ecke von dem Schleier auf/ der ihre ungeschlachten
Sitten verbirgt, aber nur, um uns davon die komische, groteske Seite zu
zeigen. Wenn aber aus dem Feste eine Orgie geworden, wenn die
Dämonen, die auf dem Grunde deö Bierkruges Hausen, alle die
thierisch-wilden Instinkte deö Menschen entfesselt, all seine blutdürsti-
gen Regungen geweckt haben, wenn die Messer aus der Scheide her¬
vorgeholt werden, wenn die Krüge an den Köpfen zerschellen, wenn
die Schemel sich einen blutigen Weg in die dichtesten Haufen bah¬
nen, wenn die Frauen angstvoll nach den Thüren zustürzen: — da
tritt Teniers erschreckt zurück vor diesen wilden Gelagen, die Adrian
Brauer allein zu begreisen und darzustellen vermag. ,

Eine belgische und eine holländische Stadt, Audenaerde und
Harlem, streiten mit einander um die Ehre, die Geburtsstätte
dessen gewesen zu sein, der ohne Rubens' Bemühungen nicht einmal!
eine Grabstätte gefunden hätte. Brauer theilt hierin das gemein¬
same Loos all jener stürmischen und poetischen Geschöpfe, welche die
Nationen für die Zierden ihrer Geschichte halten, und denen sie später
Bildsäulen errichten, damit ihnen das Verbrechen verziehen werbe,
daß sie ihnen, da sie lebten, ein Stück Brod verweigert haben.

Alle seine Biographen sind über den Punkt einstimmig, daß
Adrian Brauer's Kindheit in Elend und Verlassenheit dahin geflos.
sen sei. Im Jahre 1008 von armen Handwerkern geboren, erhielt
er nicht jene befruchtende Erziehung, wodurch die Bahn eines Ge¬
nies vorbereitet wird, und konnte also auch nicht jene moralische
Würde besitzen, welche ihre Frucht ist.

Ein wahrer Zigeuner in der Kunst, verbrachte er eine sorglose,
fröhliche und ungebundene Jugend. Wie bei allen vollständigen Na¬
turen, so verrieth sich auch bei ihm seine Künstlerbestimmung in sei¬
nen Spielen, seinen Streitigkeiten, seinen Träumereien. Die Blu¬
men und Vögel waren seine ersten Modelle, und ohne irgend einen
Führer, ohne einen andern Rathgeber, ohne eine andere Inspiration


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[0109] aus Virgil's Georgiken zu sehen, zwar genau nach der Natur ge¬ zeichnet, aber doch noch jenen Anhauch deö Ideals an sich tragend, den ihnen des Dichters künstlerischer Griffel verliehen, Teniers' Bauern erscheinen uns immer nur von irgend einer Seite ihres moralischen Seins. In ihren Spielen, in ihren ländlichen Vereini¬ gungen, belebt von den Tönen der Schalmei, zeigt er sie uns: er hebt zwar eine Ecke von dem Schleier auf/ der ihre ungeschlachten Sitten verbirgt, aber nur, um uns davon die komische, groteske Seite zu zeigen. Wenn aber aus dem Feste eine Orgie geworden, wenn die Dämonen, die auf dem Grunde deö Bierkruges Hausen, alle die thierisch-wilden Instinkte deö Menschen entfesselt, all seine blutdürsti- gen Regungen geweckt haben, wenn die Messer aus der Scheide her¬ vorgeholt werden, wenn die Krüge an den Köpfen zerschellen, wenn die Schemel sich einen blutigen Weg in die dichtesten Haufen bah¬ nen, wenn die Frauen angstvoll nach den Thüren zustürzen: — da tritt Teniers erschreckt zurück vor diesen wilden Gelagen, die Adrian Brauer allein zu begreisen und darzustellen vermag. , Eine belgische und eine holländische Stadt, Audenaerde und Harlem, streiten mit einander um die Ehre, die Geburtsstätte dessen gewesen zu sein, der ohne Rubens' Bemühungen nicht einmal! eine Grabstätte gefunden hätte. Brauer theilt hierin das gemein¬ same Loos all jener stürmischen und poetischen Geschöpfe, welche die Nationen für die Zierden ihrer Geschichte halten, und denen sie später Bildsäulen errichten, damit ihnen das Verbrechen verziehen werbe, daß sie ihnen, da sie lebten, ein Stück Brod verweigert haben. Alle seine Biographen sind über den Punkt einstimmig, daß Adrian Brauer's Kindheit in Elend und Verlassenheit dahin geflos. sen sei. Im Jahre 1008 von armen Handwerkern geboren, erhielt er nicht jene befruchtende Erziehung, wodurch die Bahn eines Ge¬ nies vorbereitet wird, und konnte also auch nicht jene moralische Würde besitzen, welche ihre Frucht ist. Ein wahrer Zigeuner in der Kunst, verbrachte er eine sorglose, fröhliche und ungebundene Jugend. Wie bei allen vollständigen Na¬ turen, so verrieth sich auch bei ihm seine Künstlerbestimmung in sei¬ nen Spielen, seinen Streitigkeiten, seinen Träumereien. Die Blu¬ men und Vögel waren seine ersten Modelle, und ohne irgend einen Führer, ohne einen andern Rathgeber, ohne eine andere Inspiration

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/109>, abgerufen am 23.07.2024.