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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Wohin willst Du Dich versetzen, Du, der diese Gallerien durchschreitet?
Laß Deine Blicke schweifen, Deine Seele schwebt auf einem Zauber¬
mantel; vor Dir goldene Morgenröthe, grüne Saaten, blühende
Menschengesichter, der Mensch in seiner Größe und Herrlichkeit, ein
Ebenbild Gottes -- wende Dich rasch um, hinter Dir ist Nacht,
Zerstörung, Skelettentanz, der Mensch, ein entartetes Thier, zur Hölle
reif und ihr auch verfallen.

Wenn man diesen Zauber bedenkt, so begreift man leicht, wie
eS Menschen geben kann, die ein halbes Leben in Mitte dieser
todten leinwandenen Welt zubringen können, denen der Besuch einer
Gallerie der höchste aller Genüsse und eine Gemäldeausstellung ein
wichtiges Ereigniß ist. Denn man vergesse nicht, daß hinter dieser
sichtbaren und gemalten Welt, deren Scenen vor dem Blicke sich
ausbreiten, noch eine zweite unsichtbare in der Phantasie des Be¬
schauers sich erhebt. Es ist dies die Welt des Künstlers, der diese
Werke geschaffen, das Leben dieses Raphael, Rubens, Coreggio,
Murillo und wie sie alle heißen, jene wunderbaren Meister, deren
eigene Geschichte die Einbildungskraft nicht minder reizt und spornt
als die Werke, die sie hinterlassen; wie ihr Geist sich entwickelt, wie
ihre Umgebung und ihre Zeit auf sie eingewirkt. Dies zu beobach¬
ten, ist eine süße Lust und eine nicht minder fruchtreiche Beschäfti¬
gung als die Beobachtung der physischen Natur mit ihren sichtbaren
Erscheinungen.

Ich meinerseits gestehe es unverholen, daß es meine liebste Be¬
schäftigung ist, die Säle einer reichen Gallerie zu durchwandern
und die Meister in ihren Bildern zu belauschen und aus diesem oder
jenem Zuge auf das Gesetz zu schließen, welches ihre Seele leitete,
so wie der Schmetterlings- und Käfersammler an den verschiedenen
Farben der Flügel die Gattung erkennt, zu welcher seine Lieblingsge¬
schöpfe gehören. Nicht ohne Absicht wähle ich diesen Vergleich. ES
giebt Menschen, die das Kleine lieben und zu diesem sich mehr hinge¬
zogen fühlen, als zudem Gewaltigen, für das ihre Seele zu schüchtern
ist. Der Käfersammler unterscheidet sich von dem Astronomen darin,
daß er nicht wie jener die großen Himmelskörper zum Gegenstande
seiner Beobachtung macht, sondern dem kleinsten, unscheinbarsten
Theil der Schöpfung seine Neigung zuwendet. Sein Geist ist mehr
mikroskopischer, als teleskopischer Natur. Ebenso giebt es in der


Wohin willst Du Dich versetzen, Du, der diese Gallerien durchschreitet?
Laß Deine Blicke schweifen, Deine Seele schwebt auf einem Zauber¬
mantel; vor Dir goldene Morgenröthe, grüne Saaten, blühende
Menschengesichter, der Mensch in seiner Größe und Herrlichkeit, ein
Ebenbild Gottes — wende Dich rasch um, hinter Dir ist Nacht,
Zerstörung, Skelettentanz, der Mensch, ein entartetes Thier, zur Hölle
reif und ihr auch verfallen.

Wenn man diesen Zauber bedenkt, so begreift man leicht, wie
eS Menschen geben kann, die ein halbes Leben in Mitte dieser
todten leinwandenen Welt zubringen können, denen der Besuch einer
Gallerie der höchste aller Genüsse und eine Gemäldeausstellung ein
wichtiges Ereigniß ist. Denn man vergesse nicht, daß hinter dieser
sichtbaren und gemalten Welt, deren Scenen vor dem Blicke sich
ausbreiten, noch eine zweite unsichtbare in der Phantasie des Be¬
schauers sich erhebt. Es ist dies die Welt des Künstlers, der diese
Werke geschaffen, das Leben dieses Raphael, Rubens, Coreggio,
Murillo und wie sie alle heißen, jene wunderbaren Meister, deren
eigene Geschichte die Einbildungskraft nicht minder reizt und spornt
als die Werke, die sie hinterlassen; wie ihr Geist sich entwickelt, wie
ihre Umgebung und ihre Zeit auf sie eingewirkt. Dies zu beobach¬
ten, ist eine süße Lust und eine nicht minder fruchtreiche Beschäfti¬
gung als die Beobachtung der physischen Natur mit ihren sichtbaren
Erscheinungen.

Ich meinerseits gestehe es unverholen, daß es meine liebste Be¬
schäftigung ist, die Säle einer reichen Gallerie zu durchwandern
und die Meister in ihren Bildern zu belauschen und aus diesem oder
jenem Zuge auf das Gesetz zu schließen, welches ihre Seele leitete,
so wie der Schmetterlings- und Käfersammler an den verschiedenen
Farben der Flügel die Gattung erkennt, zu welcher seine Lieblingsge¬
schöpfe gehören. Nicht ohne Absicht wähle ich diesen Vergleich. ES
giebt Menschen, die das Kleine lieben und zu diesem sich mehr hinge¬
zogen fühlen, als zudem Gewaltigen, für das ihre Seele zu schüchtern
ist. Der Käfersammler unterscheidet sich von dem Astronomen darin,
daß er nicht wie jener die großen Himmelskörper zum Gegenstande
seiner Beobachtung macht, sondern dem kleinsten, unscheinbarsten
Theil der Schöpfung seine Neigung zuwendet. Sein Geist ist mehr
mikroskopischer, als teleskopischer Natur. Ebenso giebt es in der


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[0106] Wohin willst Du Dich versetzen, Du, der diese Gallerien durchschreitet? Laß Deine Blicke schweifen, Deine Seele schwebt auf einem Zauber¬ mantel; vor Dir goldene Morgenröthe, grüne Saaten, blühende Menschengesichter, der Mensch in seiner Größe und Herrlichkeit, ein Ebenbild Gottes — wende Dich rasch um, hinter Dir ist Nacht, Zerstörung, Skelettentanz, der Mensch, ein entartetes Thier, zur Hölle reif und ihr auch verfallen. Wenn man diesen Zauber bedenkt, so begreift man leicht, wie eS Menschen geben kann, die ein halbes Leben in Mitte dieser todten leinwandenen Welt zubringen können, denen der Besuch einer Gallerie der höchste aller Genüsse und eine Gemäldeausstellung ein wichtiges Ereigniß ist. Denn man vergesse nicht, daß hinter dieser sichtbaren und gemalten Welt, deren Scenen vor dem Blicke sich ausbreiten, noch eine zweite unsichtbare in der Phantasie des Be¬ schauers sich erhebt. Es ist dies die Welt des Künstlers, der diese Werke geschaffen, das Leben dieses Raphael, Rubens, Coreggio, Murillo und wie sie alle heißen, jene wunderbaren Meister, deren eigene Geschichte die Einbildungskraft nicht minder reizt und spornt als die Werke, die sie hinterlassen; wie ihr Geist sich entwickelt, wie ihre Umgebung und ihre Zeit auf sie eingewirkt. Dies zu beobach¬ ten, ist eine süße Lust und eine nicht minder fruchtreiche Beschäfti¬ gung als die Beobachtung der physischen Natur mit ihren sichtbaren Erscheinungen. Ich meinerseits gestehe es unverholen, daß es meine liebste Be¬ schäftigung ist, die Säle einer reichen Gallerie zu durchwandern und die Meister in ihren Bildern zu belauschen und aus diesem oder jenem Zuge auf das Gesetz zu schließen, welches ihre Seele leitete, so wie der Schmetterlings- und Käfersammler an den verschiedenen Farben der Flügel die Gattung erkennt, zu welcher seine Lieblingsge¬ schöpfe gehören. Nicht ohne Absicht wähle ich diesen Vergleich. ES giebt Menschen, die das Kleine lieben und zu diesem sich mehr hinge¬ zogen fühlen, als zudem Gewaltigen, für das ihre Seele zu schüchtern ist. Der Käfersammler unterscheidet sich von dem Astronomen darin, daß er nicht wie jener die großen Himmelskörper zum Gegenstande seiner Beobachtung macht, sondern dem kleinsten, unscheinbarsten Theil der Schöpfung seine Neigung zuwendet. Sein Geist ist mehr mikroskopischer, als teleskopischer Natur. Ebenso giebt es in der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/106>, abgerufen am 29.06.2024.