Getöse der Menge, die unermüdlich Thurmspitzen aufbaut, um wolkenhoch das Kreuz aufzupflanzen, sich verliert und verstummt. Sanct Peter in Rom allein wird vollendet, trotz der Reformation. Ich kann es mir erklären; St. Peter ist ein Werk des Ueberganges. Es ist der Katholicismus in Unterhandlung mit der heidnischen Kunst, aber doch noch mächtig genug über dieselbe, um ihr seine Größe zu verleihen, während er ihre Formen entlehnt; es ist ein dem Geiste der Kritik gemachtes Zugeständniß; Bramante ist der Luther der christlichen Kunst. Allein die wahre gothische Kirche wird immer da bleiben, wo sie der letzte Gläubige stehen gelassen hat. Der Cölner Dom ist die sterbende Orthodoxie. Vergeblich streckt der allein beendigte Chor die klaffenden Seiten nach dem entfernten Portale hin, dazwischen liegt ein tie¬ fer, unausfüllbarer Abgrund; denn die Ideenfluth des sechzehnten Jahrhun¬ derts ist durch diese Kluft gezogen, die von ferne so groß aussieht, daß es scheint, als baue man noch an zwei Tempeln. Wenn es wahr ist, was ein großer Dichter sagt, daß die Baukunst eine Sprache, und jede Kirche ein Buch ist, o, so betrachtet diese entzwei geschnittene Cathedrale, da haben wir das katholische Babel! Die Werkleute haben den riesigen Thurm ste¬ hen lassen, als sie sich nicht mehr verstehen konnten, und wir Modernen haben die zwei köstlichen Stücke durch eine Art Gemäuer, durch einen elen¬ den Steinaufwurf, an einander gehängt, wir haben, so zu sagen, Anfang und Ende des Satzes, durch eine barbarische Construction, aus den Fugen gerissen, etwa so, wie die Gelehrten mit dem Texte des Pindar und des Homer umgegangen sind, und, zehnmal reicher, als unsere Voreltern, bekla¬ gen wir uns, nachdem wir ihre Steine gehörig ausgebeutet, noch über den Aufwand, den uns das Werk kostet! Von welcher Seite man auch Cöln betrachtet, so fällt diese Zerrissenheit des Chors und des Portals in die Au¬ gen, und gibt dem Beschauer Stoff zum Nachdenken. Es finden sich bei Coleridge Verse, worin zwei auf immer getrennte Freunde einem Felsen ver¬ glichen werden, den ein Blitzstrahl zerschmettert hat, und dessen Risse noch ganz geschwärzt sind. So ist dieses Chor, so dieses Portal; noch könnet ihr an einem schönen Sommertage den Blitz der Reformation, die Sonne der Renaissance darüber glänzen sehen; und jener Hebebaum, den der Baumei¬ ster dort hat stehen lassen, und der, gleich dem Arme eines zerschmetterten Titanen, nur auf den Pelion zu warten scheint, um ihn auf den Ossa zu stürzen, hat auch seine Bedeutung: es ist der Hebel des Archimedes, es ist diese mächtige Triebfeder des Glaubens, die den Weltkreis in Bewegung setzt!
Lasset diese düstern Wahrzeichen uns zur Lehre dienen, eilen wir uns, als Riesen eines andern Zeitalters, weil wir an die Industrie glauben, auch großartige Werke aufzurichten, es könnte uns ja sonst einer jener zerstören¬ den Windstöße ereilen, die den Aufschwung eines ganzen Jahrhunderts läh-
Getöse der Menge, die unermüdlich Thurmspitzen aufbaut, um wolkenhoch das Kreuz aufzupflanzen, sich verliert und verstummt. Sanct Peter in Rom allein wird vollendet, trotz der Reformation. Ich kann es mir erklären; St. Peter ist ein Werk des Ueberganges. Es ist der Katholicismus in Unterhandlung mit der heidnischen Kunst, aber doch noch mächtig genug über dieselbe, um ihr seine Größe zu verleihen, während er ihre Formen entlehnt; es ist ein dem Geiste der Kritik gemachtes Zugeständniß; Bramante ist der Luther der christlichen Kunst. Allein die wahre gothische Kirche wird immer da bleiben, wo sie der letzte Gläubige stehen gelassen hat. Der Cölner Dom ist die sterbende Orthodoxie. Vergeblich streckt der allein beendigte Chor die klaffenden Seiten nach dem entfernten Portale hin, dazwischen liegt ein tie¬ fer, unausfüllbarer Abgrund; denn die Ideenfluth des sechzehnten Jahrhun¬ derts ist durch diese Kluft gezogen, die von ferne so groß aussieht, daß es scheint, als baue man noch an zwei Tempeln. Wenn es wahr ist, was ein großer Dichter sagt, daß die Baukunst eine Sprache, und jede Kirche ein Buch ist, o, so betrachtet diese entzwei geschnittene Cathedrale, da haben wir das katholische Babel! Die Werkleute haben den riesigen Thurm ste¬ hen lassen, als sie sich nicht mehr verstehen konnten, und wir Modernen haben die zwei köstlichen Stücke durch eine Art Gemäuer, durch einen elen¬ den Steinaufwurf, an einander gehängt, wir haben, so zu sagen, Anfang und Ende des Satzes, durch eine barbarische Construction, aus den Fugen gerissen, etwa so, wie die Gelehrten mit dem Texte des Pindar und des Homer umgegangen sind, und, zehnmal reicher, als unsere Voreltern, bekla¬ gen wir uns, nachdem wir ihre Steine gehörig ausgebeutet, noch über den Aufwand, den uns das Werk kostet! Von welcher Seite man auch Cöln betrachtet, so fällt diese Zerrissenheit des Chors und des Portals in die Au¬ gen, und gibt dem Beschauer Stoff zum Nachdenken. Es finden sich bei Coleridge Verse, worin zwei auf immer getrennte Freunde einem Felsen ver¬ glichen werden, den ein Blitzstrahl zerschmettert hat, und dessen Risse noch ganz geschwärzt sind. So ist dieses Chor, so dieses Portal; noch könnet ihr an einem schönen Sommertage den Blitz der Reformation, die Sonne der Renaissance darüber glänzen sehen; und jener Hebebaum, den der Baumei¬ ster dort hat stehen lassen, und der, gleich dem Arme eines zerschmetterten Titanen, nur auf den Pelion zu warten scheint, um ihn auf den Ossa zu stürzen, hat auch seine Bedeutung: es ist der Hebel des Archimedes, es ist diese mächtige Triebfeder des Glaubens, die den Weltkreis in Bewegung setzt!
Lasset diese düstern Wahrzeichen uns zur Lehre dienen, eilen wir uns, als Riesen eines andern Zeitalters, weil wir an die Industrie glauben, auch großartige Werke aufzurichten, es könnte uns ja sonst einer jener zerstören¬ den Windstöße ereilen, die den Aufschwung eines ganzen Jahrhunderts läh-
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Getöse der Menge, die unermüdlich Thurmspitzen aufbaut, um wolkenhoch
das Kreuz aufzupflanzen, sich verliert und verstummt. Sanct Peter in Rom
allein wird vollendet, trotz der Reformation. Ich kann es mir erklären;
St. Peter ist ein Werk des Ueberganges. Es ist der Katholicismus in
Unterhandlung mit der heidnischen Kunst, aber doch noch mächtig genug über
dieselbe, um ihr seine Größe zu verleihen, während er ihre Formen entlehnt;
es ist ein dem Geiste der Kritik gemachtes Zugeständniß; Bramante ist der
Luther der christlichen Kunst. Allein die wahre gothische Kirche wird immer
da bleiben, wo sie der letzte Gläubige stehen gelassen hat. Der Cölner Dom
ist die sterbende Orthodoxie. Vergeblich streckt der allein beendigte Chor die
klaffenden Seiten nach dem entfernten Portale hin, dazwischen liegt ein tie¬
fer, unausfüllbarer Abgrund; denn die Ideenfluth des sechzehnten Jahrhun¬
derts ist durch diese Kluft gezogen, die von ferne so groß aussieht, daß es
scheint, als baue man noch an zwei Tempeln. Wenn es wahr ist, was
ein großer Dichter sagt, daß die Baukunst eine Sprache, und jede Kirche
ein Buch ist, o, so betrachtet diese entzwei geschnittene Cathedrale, da haben
wir das katholische Babel! Die Werkleute haben den riesigen Thurm ste¬
hen lassen, als sie sich nicht mehr verstehen konnten, und wir Modernen
haben die zwei köstlichen Stücke durch eine Art Gemäuer, durch einen elen¬
den Steinaufwurf, an einander gehängt, wir haben, so zu sagen, Anfang
und Ende des Satzes, durch eine barbarische Construction, aus den Fugen
gerissen, etwa so, wie die Gelehrten mit dem Texte des Pindar und des
Homer umgegangen sind, und, zehnmal reicher, als unsere Voreltern, bekla¬
gen wir uns, nachdem wir ihre Steine gehörig ausgebeutet, noch über den
Aufwand, den uns das Werk kostet! Von welcher Seite man auch Cöln
betrachtet, so fällt diese Zerrissenheit des Chors und des Portals in die Au¬
gen, und gibt dem Beschauer Stoff zum Nachdenken. Es finden sich bei
Coleridge Verse, worin zwei auf immer getrennte Freunde einem Felsen ver¬
glichen werden, den ein Blitzstrahl zerschmettert hat, und dessen Risse noch
ganz geschwärzt sind. So ist dieses Chor, so dieses Portal; noch könnet ihr
an einem schönen Sommertage den Blitz der Reformation, die Sonne der
Renaissance darüber glänzen sehen; und jener Hebebaum, den der Baumei¬
ster dort hat stehen lassen, und der, gleich dem Arme eines zerschmetterten
Titanen, nur auf den Pelion zu warten scheint, um ihn auf den Ossa zu
stürzen, hat auch seine Bedeutung: es ist der Hebel des Archimedes, es ist
diese mächtige Triebfeder des Glaubens, die den Weltkreis in Bewegung setzt!
Lasset diese düstern Wahrzeichen uns zur Lehre dienen, eilen wir uns,
als Riesen eines andern Zeitalters, weil wir an die Industrie glauben, auch
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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/82>, abgerufen am 22.11.2024.
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