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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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setz nichts Anderes ist, als die Uebereinstimmung der Mehrzahl, so kann
die Mehrzahl die Minderzahl unterdrücken."

"Dieß ist der unglückselige Cirkel, worin sich alle Staatsmänner bewe¬
gen, die kein anderes Gesetz kennen, als den menschlichen Willen, keine an¬
dere Wahl, als die Wahl der Menschen. Die Mehrzahl, des Rechtes der
Wahl beraubt, verlangt unaufhörlich die Wahlreform etc. Die Minder¬
zahl, die in das Gesetz nicht eingewilligt hat, verlangt legislative Refor¬
men; beide sagen, sie seien unterdrückt, beide unterwerfen sich der Gewalt,
und darin liegt der passive Gehorsam, d. h. die unfreiwillige Unterwer¬
fung unter einen Zustand der Dinge, den die Vernunft nicht billigt. Der
Gehorsam ist nur dann ein activer, freiwilliger und ruhmvoller, wenn er
auf einem Nachgeben und Ueberzeugtsein des freien Willens und der Intel¬
ligenz beruht, und dies kann nur bei einem Regimente der Fall sein, wo
Wahl und Gesetz weder die Majorität noch die Minorität in Fesseln legen.
Und dieß ist bei den religiösen Verbrüderungen, so wie sie einmal constituirt
sind, der Fall."

"Alle Ordensgeistliche wählen direct ihren unmittelbaren, und indirect
ihren mittelbaren Oberen und überdies betrachten sie die Wahl nicht als
das Resultat ihres Willens, sondern als Eingebung des heiligen Geistes,
der ihre Herzen geleitet hat. Und so herrscht denn der Gewählte über die
Wähler, weil Gott und sie es zu gleicher Zeit gewollt haben......."

"Wenn man von dem passiven Gehorsam der Klostergeistlichen spricht,
so weiß man offenbar sich darüber nicht Rechenschaft zu geben. Will man
damit sagen, sie gehorchten allen willkührlichen Launen ihres Oberen, so ist
dieß ein lächerlicher factischer Irrthum. Sie versprechen nur dem Oberen
ihrer Wahl in allem dem zu gehorchen, was dem göttlichen Gesetze und
den Statuten ihres Ordens gemäß ist. Will man damit sagen, sie ge¬
horchten mit vollständiger Selbstentäußerung ihres Verstandes und ihres
freien Willens, so ist es gerade dies, was ihre Unterwerfung von jedem
Charakter der Passivität frei macht. In keiner Gesellschaft giebt es so feste
Schranken gegen den Mißbrauch der Gewalt und so große Garantien zu
Gunsten der Bürger."

"Auch was das Element des Handelns betrifft, so sind die religiösen
Verbrüderungen dem gemeinen Rechte unterworfen, wie jede andere Gesell¬
schaft, und selbst noch mehr als diese, wenn es möglich sein sollte. So¬
wie der Mann des Klosters dessen Schwelle überschritten hat, um in der
Welt zu handeln, so begegnet er sogleich Gesetzen, wodurch die Handlungen,
die Rechte und Pflichten Aller bestimmt sind."

"Wer ohne Leidenschaft über diese drei Grundcharaktere der Mönchsor¬
den nachdenkt, der wird einsehen, warum sie trotz so vieler äußeren Hin-

setz nichts Anderes ist, als die Uebereinstimmung der Mehrzahl, so kann
die Mehrzahl die Minderzahl unterdrücken.“

„Dieß ist der unglückselige Cirkel, worin sich alle Staatsmänner bewe¬
gen, die kein anderes Gesetz kennen, als den menschlichen Willen, keine an¬
dere Wahl, als die Wahl der Menschen. Die Mehrzahl, des Rechtes der
Wahl beraubt, verlangt unaufhörlich die Wahlreform ꝛc. Die Minder¬
zahl, die in das Gesetz nicht eingewilligt hat, verlangt legislative Refor¬
men; beide sagen, sie seien unterdrückt, beide unterwerfen sich der Gewalt,
und darin liegt der passive Gehorsam, d. h. die unfreiwillige Unterwer¬
fung unter einen Zustand der Dinge, den die Vernunft nicht billigt. Der
Gehorsam ist nur dann ein activer, freiwilliger und ruhmvoller, wenn er
auf einem Nachgeben und Ueberzeugtsein des freien Willens und der Intel¬
ligenz beruht, und dies kann nur bei einem Regimente der Fall sein, wo
Wahl und Gesetz weder die Majorität noch die Minorität in Fesseln legen.
Und dieß ist bei den religiösen Verbrüderungen, so wie sie einmal constituirt
sind, der Fall.“

„Alle Ordensgeistliche wählen direct ihren unmittelbaren, und indirect
ihren mittelbaren Oberen und überdies betrachten sie die Wahl nicht als
das Resultat ihres Willens, sondern als Eingebung des heiligen Geistes,
der ihre Herzen geleitet hat. Und so herrscht denn der Gewählte über die
Wähler, weil Gott und sie es zu gleicher Zeit gewollt haben.......“

„Wenn man von dem passiven Gehorsam der Klostergeistlichen spricht,
so weiß man offenbar sich darüber nicht Rechenschaft zu geben. Will man
damit sagen, sie gehorchten allen willkührlichen Launen ihres Oberen, so ist
dieß ein lächerlicher factischer Irrthum. Sie versprechen nur dem Oberen
ihrer Wahl in allem dem zu gehorchen, was dem göttlichen Gesetze und
den Statuten ihres Ordens gemäß ist. Will man damit sagen, sie ge¬
horchten mit vollständiger Selbstentäußerung ihres Verstandes und ihres
freien Willens, so ist es gerade dies, was ihre Unterwerfung von jedem
Charakter der Passivität frei macht. In keiner Gesellschaft giebt es so feste
Schranken gegen den Mißbrauch der Gewalt und so große Garantien zu
Gunsten der Bürger.“

„Auch was das Element des Handelns betrifft, so sind die religiösen
Verbrüderungen dem gemeinen Rechte unterworfen, wie jede andere Gesell¬
schaft, und selbst noch mehr als diese, wenn es möglich sein sollte. So¬
wie der Mann des Klosters dessen Schwelle überschritten hat, um in der
Welt zu handeln, so begegnet er sogleich Gesetzen, wodurch die Handlungen,
die Rechte und Pflichten Aller bestimmt sind.“

„Wer ohne Leidenschaft über diese drei Grundcharaktere der Mönchsor¬
den nachdenkt, der wird einsehen, warum sie trotz so vieler äußeren Hin-

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[148/0156] setz nichts Anderes ist, als die Uebereinstimmung der Mehrzahl, so kann die Mehrzahl die Minderzahl unterdrücken.“ „Dieß ist der unglückselige Cirkel, worin sich alle Staatsmänner bewe¬ gen, die kein anderes Gesetz kennen, als den menschlichen Willen, keine an¬ dere Wahl, als die Wahl der Menschen. Die Mehrzahl, des Rechtes der Wahl beraubt, verlangt unaufhörlich die Wahlreform ꝛc. Die Minder¬ zahl, die in das Gesetz nicht eingewilligt hat, verlangt legislative Refor¬ men; beide sagen, sie seien unterdrückt, beide unterwerfen sich der Gewalt, und darin liegt der passive Gehorsam, d. h. die unfreiwillige Unterwer¬ fung unter einen Zustand der Dinge, den die Vernunft nicht billigt. Der Gehorsam ist nur dann ein activer, freiwilliger und ruhmvoller, wenn er auf einem Nachgeben und Ueberzeugtsein des freien Willens und der Intel¬ ligenz beruht, und dies kann nur bei einem Regimente der Fall sein, wo Wahl und Gesetz weder die Majorität noch die Minorität in Fesseln legen. Und dieß ist bei den religiösen Verbrüderungen, so wie sie einmal constituirt sind, der Fall.“ „Alle Ordensgeistliche wählen direct ihren unmittelbaren, und indirect ihren mittelbaren Oberen und überdies betrachten sie die Wahl nicht als das Resultat ihres Willens, sondern als Eingebung des heiligen Geistes, der ihre Herzen geleitet hat. Und so herrscht denn der Gewählte über die Wähler, weil Gott und sie es zu gleicher Zeit gewollt haben.......“ „Wenn man von dem passiven Gehorsam der Klostergeistlichen spricht, so weiß man offenbar sich darüber nicht Rechenschaft zu geben. Will man damit sagen, sie gehorchten allen willkührlichen Launen ihres Oberen, so ist dieß ein lächerlicher factischer Irrthum. Sie versprechen nur dem Oberen ihrer Wahl in allem dem zu gehorchen, was dem göttlichen Gesetze und den Statuten ihres Ordens gemäß ist. Will man damit sagen, sie ge¬ horchten mit vollständiger Selbstentäußerung ihres Verstandes und ihres freien Willens, so ist es gerade dies, was ihre Unterwerfung von jedem Charakter der Passivität frei macht. In keiner Gesellschaft giebt es so feste Schranken gegen den Mißbrauch der Gewalt und so große Garantien zu Gunsten der Bürger.“ „Auch was das Element des Handelns betrifft, so sind die religiösen Verbrüderungen dem gemeinen Rechte unterworfen, wie jede andere Gesell¬ schaft, und selbst noch mehr als diese, wenn es möglich sein sollte. So¬ wie der Mann des Klosters dessen Schwelle überschritten hat, um in der Welt zu handeln, so begegnet er sogleich Gesetzen, wodurch die Handlungen, die Rechte und Pflichten Aller bestimmt sind.“ „Wer ohne Leidenschaft über diese drei Grundcharaktere der Mönchsor¬ den nachdenkt, der wird einsehen, warum sie trotz so vieler äußeren Hin-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 148. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/156>, abgerufen am 17.05.2024.