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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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ankleben, ohne die Verbesserung derselben minder warm und aufrichtig zu wün¬
schen, dieselbe auf anderem Wege zu erlangen sucht, indem sie statt an die
Form, an den Geist sich anschmiegt, ihn selbst vorerst zu kräftigen sucht,
überzeugt, daß in jeder selbstständigen Kraft ein schaffendes, gestaltendes
Element liege. Sorgfältig sucht sie daher nach allen Seiten des Gegebenen,
in denen der Keim freier Gestaltung liegt, und stellt diese Seiten in den Vor¬
dergrund. Und wahrlich, Deutschland ist reich genug an i[n]neren Bildungs¬
keimen, um fähig zu sein, aus sich selbst es selbst zu werden. Selbstbe¬
wußtsein ist eine Nationentugend, deren es so gut wie die Länder, die im
Vortrab politischer Entwickelung gehen, wie England und Frankreich,
fähig ist.

Ein bekannter belgischer Staatsmann hat u[n]s unlängst das offene,
etwas naive Geständniß gemacht, daß ihm die [n]eue Richtung, welche in
Deutschland sich kund gibt, unbegreiflich sei, daß, wenn er nicht einige Füh¬
rer derselben kenne, und von ihrem reinen Charakter und ihrer edlen Absicht
die festeste Ueberzeugung hätte, er sich ganz dem Gedanken überließe,
diese Partheiführer suchten aus materiellen Rücksichten das Volk vom
Wege der Freiheit abzuleiten. Hierauf sollen folgende Zeilen eine kurze
Auseinandersetzung über einige Bestrebungen geben, die zwar in Deutschland
Jedermann bekannt sind, die aber, da diese Blätter zum Theil auch für
das Ausland bestimmt sind, eine summarische Wiederholung nicht über¬
flüssig machen.

Die neuere nationale Parthei, die seit den letzten politischen Con¬
flicten in den Vordergrund getreten ist, unterscheidet sich von der sogenannten
liberalen Parthei von 1330, die ihren Mittelpunkt in der badischen Kammer,
ihr Organ in den Rottek-Welcker'schen Schriften und ihren Vorkämpfer in
Börne hatte, daß sie durch die Stärkung der Volksthümlichkeit, durch das
Zusammenschmelzen der einzelnen Nationaltheile zu einem kräftigen organi¬
schen Ganzen, dasjenige zu erringen sucht, was jene durch staatsbürgerliche
Garantieen erstrebt. Beide haben dieselben Strebeziele, suchen sie jedoch
auf verschiedenem Wege zu erreichen, diese durch directen Kampf mit beste¬
henden äußern Instituten, jene durch Ausstreuung fruchtbaren Samens,
woraus sich die Pflanze einheitlichen Volksbewußtseins entwickeln soll.

Häufig genug, und nicht nur im Auslande, hat man behauptet, diese
Meinungsnüance werde von der Partei des Rückschrittes ausgebeutet und
lasse sich zur Förderung ihrer illiberalen Richtungen auf tölpelhafte Weise
mißbrauchen. Dem ist nicht so. Wenn sie vor Kurzem, als von Westen
her ein Ungewitter drohte, das ihrige beigetragen hat, um den allgemeinen
Nationalunwillen gegen die Großsprechereien der französischen Presse rege zu
erhalten, wenn sie sich hütete, Wasser in das Feuer der Begeisterung zu

ankleben, ohne die Verbesserung derselben minder warm und aufrichtig zu wün¬
schen, dieselbe auf anderem Wege zu erlangen sucht, indem sie statt an die
Form, an den Geist sich anschmiegt, ihn selbst vorerst zu kräftigen sucht,
überzeugt, daß in jeder selbstständigen Kraft ein schaffendes, gestaltendes
Element liege. Sorgfältig sucht sie daher nach allen Seiten des Gegebenen,
in denen der Keim freier Gestaltung liegt, und stellt diese Seiten in den Vor¬
dergrund. Und wahrlich, Deutschland ist reich genug an i[n]neren Bildungs¬
keimen, um fähig zu sein, aus sich selbst es selbst zu werden. Selbstbe¬
wußtsein ist eine Nationentugend, deren es so gut wie die Länder, die im
Vortrab politischer Entwickelung gehen, wie England und Frankreich,
fähig ist.

Ein bekannter belgischer Staatsmann hat u[n]s unlängst das offene,
etwas naive Geständniß gemacht, daß ihm die [n]eue Richtung, welche in
Deutschland sich kund gibt, unbegreiflich sei, daß, wenn er nicht einige Füh¬
rer derselben kenne, und von ihrem reinen Charakter und ihrer edlen Absicht
die festeste Ueberzeugung hätte, er sich ganz dem Gedanken überließe,
diese Partheiführer suchten aus materiellen Rücksichten das Volk vom
Wege der Freiheit abzuleiten. Hierauf sollen folgende Zeilen eine kurze
Auseinandersetzung über einige Bestrebungen geben, die zwar in Deutschland
Jedermann bekannt sind, die aber, da diese Blätter zum Theil auch für
das Ausland bestimmt sind, eine summarische Wiederholung nicht über¬
flüssig machen.

Die neuere nationale Parthei, die seit den letzten politischen Con¬
flicten in den Vordergrund getreten ist, unterscheidet sich von der sogenannten
liberalen Parthei von 1330, die ihren Mittelpunkt in der badischen Kammer,
ihr Organ in den Rottek-Welcker'schen Schriften und ihren Vorkämpfer in
Börne hatte, daß sie durch die Stärkung der Volksthümlichkeit, durch das
Zusammenschmelzen der einzelnen Nationaltheile zu einem kräftigen organi¬
schen Ganzen, dasjenige zu erringen sucht, was jene durch staatsbürgerliche
Garantieen erstrebt. Beide haben dieselben Strebeziele, suchen sie jedoch
auf verschiedenem Wege zu erreichen, diese durch directen Kampf mit beste¬
henden äußern Instituten, jene durch Ausstreuung fruchtbaren Samens,
woraus sich die Pflanze einheitlichen Volksbewußtseins entwickeln soll.

Häufig genug, und nicht nur im Auslande, hat man behauptet, diese
Meinungsnüance werde von der Partei des Rückschrittes ausgebeutet und
lasse sich zur Förderung ihrer illiberalen Richtungen auf tölpelhafte Weise
mißbrauchen. Dem ist nicht so. Wenn sie vor Kurzem, als von Westen
her ein Ungewitter drohte, das ihrige beigetragen hat, um den allgemeinen
Nationalunwillen gegen die Großsprechereien der französischen Presse rege zu
erhalten, wenn sie sich hütete, Wasser in das Feuer der Begeisterung zu

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[114/0122] ankleben, ohne die Verbesserung derselben minder warm und aufrichtig zu wün¬ schen, dieselbe auf anderem Wege zu erlangen sucht, indem sie statt an die Form, an den Geist sich anschmiegt, ihn selbst vorerst zu kräftigen sucht, überzeugt, daß in jeder selbstständigen Kraft ein schaffendes, gestaltendes Element liege. Sorgfältig sucht sie daher nach allen Seiten des Gegebenen, in denen der Keim freier Gestaltung liegt, und stellt diese Seiten in den Vor¬ dergrund. Und wahrlich, Deutschland ist reich genug an inneren Bildungs¬ keimen, um fähig zu sein, aus sich selbst es selbst zu werden. Selbstbe¬ wußtsein ist eine Nationentugend, deren es so gut wie die Länder, die im Vortrab politischer Entwickelung gehen, wie England und Frankreich, fähig ist. Ein bekannter belgischer Staatsmann hat uns unlängst das offene, etwas naive Geständniß gemacht, daß ihm die neue Richtung, welche in Deutschland sich kund gibt, unbegreiflich sei, daß, wenn er nicht einige Füh¬ rer derselben kenne, und von ihrem reinen Charakter und ihrer edlen Absicht die festeste Ueberzeugung hätte, er sich ganz dem Gedanken überließe, diese Partheiführer suchten aus materiellen Rücksichten das Volk vom Wege der Freiheit abzuleiten. Hierauf sollen folgende Zeilen eine kurze Auseinandersetzung über einige Bestrebungen geben, die zwar in Deutschland Jedermann bekannt sind, die aber, da diese Blätter zum Theil auch für das Ausland bestimmt sind, eine summarische Wiederholung nicht über¬ flüssig machen. Die neuere nationale Parthei, die seit den letzten politischen Con¬ flicten in den Vordergrund getreten ist, unterscheidet sich von der sogenannten liberalen Parthei von 1330, die ihren Mittelpunkt in der badischen Kammer, ihr Organ in den Rottek-Welcker'schen Schriften und ihren Vorkämpfer in Börne hatte, daß sie durch die Stärkung der Volksthümlichkeit, durch das Zusammenschmelzen der einzelnen Nationaltheile zu einem kräftigen organi¬ schen Ganzen, dasjenige zu erringen sucht, was jene durch staatsbürgerliche Garantieen erstrebt. Beide haben dieselben Strebeziele, suchen sie jedoch auf verschiedenem Wege zu erreichen, diese durch directen Kampf mit beste¬ henden äußern Instituten, jene durch Ausstreuung fruchtbaren Samens, woraus sich die Pflanze einheitlichen Volksbewußtseins entwickeln soll. Häufig genug, und nicht nur im Auslande, hat man behauptet, diese Meinungsnüance werde von der Partei des Rückschrittes ausgebeutet und lasse sich zur Förderung ihrer illiberalen Richtungen auf tölpelhafte Weise mißbrauchen. Dem ist nicht so. Wenn sie vor Kurzem, als von Westen her ein Ungewitter drohte, das ihrige beigetragen hat, um den allgemeinen Nationalunwillen gegen die Großsprechereien der französischen Presse rege zu erhalten, wenn sie sich hütete, Wasser in das Feuer der Begeisterung zu

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Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/122>, abgerufen am 17.05.2024.