Paris gerichtet. Wenn Ihr aus dem Mittelmeer blos Begeisterung schöpfen wollt, um damit die Steinplatten an der Porte St. Martin zu begießen, wenn Ihr auf der Spitze des Oelbergs und am Rande des Kraters des Vesuvs nur an Euch zu denken wagt, dann wäre es vernünftiger Ihr bliebt zu Hause.
Ich, der ich vorgerückt bin an Jahren und doch noch die Mensch¬ heit liebe und achte, bin erstaunt über diese jungen Poeten, Romanzen¬ sänger und Philosophen, die in ihrem dreißigsten Jahre schon den Winter im Herzen haben und sich einwickeln in ihren Menschenhaß wie in einen Pelz. Nein, diese drei Arrondissements von Paris, die Ihr für die Welt haltet, sind nicht Paris, Paris ist nicht Frankreich und Frankreich nicht die Welt. Ich, nicht gefesselt an die Scholle dieses oder jenes Quar¬ tiers, der ich der Vasall keiner von Euren Revüen und keines Feuilletons bin, ich weiß, daß es unter den Menschen noch Tugend und Sitte, Uneigennützigkeit, Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit, Treu und Glauben, Ueberzeugungsfestigkeit, Freundschaft und Glückseligkeit giebt. Auch ich zweifle oft, aber ich betrachte den Zweifel nicht wie einen widrigen Bodensatz den die Ueberzeugung in den Herzen zu¬ rückläßt; ich betrachte ihn als eine Wolke, die zuweilen den Glanz des Tages verdun¬ kelt, dann aber als Regen niederfällt um den Boden der Wahrheit zu befeuchten und zu befruchten. Ihr verzweifelt in unsern ruhigen Zeiten, wie werdet Ihr Euch verhalten, wenn der Sturm einmal losbricht? Wenn Ihr das Glück nicht ertragen könnt, wie wollt Ihr das Unglück bestehen? Das gesellschaft¬ liche Leben vergiftet Euer häusliches Glück; was aber ist gesellschaftliches Leben? Was ist der Staat? Die Familienväter bilden die Gemeinde, die Häuser die Straßen, und Ihr sagt es ja selbst:
Il est plus difficile et c'est d'un plus grand poids De relever les moeurs que d'abattre les rois.
Wenn Ihr mit dem Erbtheil nicht zufrieden seid, daß Eure Väter Euch hinterlassen haben, so seid Ihr sehr undankbar. Dieses Erbgut, das Euch im Schlaf überkommen ist, ist reich genug. Reicht es Euch nicht hin, so arbeitet, wie Eure Väter gethan haben, und weigert Euch der Himmel den Lohn, dann und blos dann habt Ihr das Recht mit ihm zu grollen.
Wenn Ihr, mit Euren Gedanken allein, Euch fragt, warum ist uns nichts geglückt? Warum waren so große Anstrengungen ohne Erfolg? Wa¬ rum so viele getäuschte Hoffnungen? dann wird die Stimme des Gewissens, die das Gewühl der Welt lange übertäuben und zum Stillschweigen nöthi¬ gen kann, die aber, wenn sie ertönt, immer Wahrheit verkündet, Euch ant¬ worten. Ihr beklagt Euch mit Unrecht. Nein, alle Versprechungen sind erfüllt, keine Eurer Hoffnungen ist betrogen worden. Ihr habt das Ziel erreicht, das Ihr Euch bei der Abreise vorgesteckt hattet. Aber Ihr habt
15
Paris gerichtet. Wenn Ihr aus dem Mittelmeer blos Begeisterung schöpfen wollt, um damit die Steinplatten an der Porte St. Martin zu begießen, wenn Ihr auf der Spitze des Oelbergs und am Rande des Kraters des Vesuvs nur an Euch zu denken wagt, dann wäre es vernünftiger Ihr bliebt zu Hause.
Ich, der ich vorgerückt bin an Jahren und doch noch die Mensch¬ heit liebe und achte, bin erstaunt über diese jungen Poeten, Romanzen¬ sänger und Philosophen, die in ihrem dreißigsten Jahre schon den Winter im Herzen haben und sich einwickeln in ihren Menschenhaß wie in einen Pelz. Nein, diese drei Arrondissements von Paris, die Ihr für die Welt haltet, sind nicht Paris, Paris ist nicht Frankreich und Frankreich nicht die Welt. Ich, nicht gefesselt an die Scholle dieses oder jenes Quar¬ tiers, der ich der Vasall keiner von Euren Revüen und keines Feuilletons bin, ich weiß, daß es unter den Menschen noch Tugend und Sitte, Uneigennützigkeit, Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit, Treu und Glauben, Ueberzeugungsfestigkeit, Freundschaft und Glückseligkeit giebt. Auch ich zweifle oft, aber ich betrachte den Zweifel nicht wie einen widrigen Bodensatz den die Ueberzeugung in den Herzen zu¬ rückläßt; ich betrachte ihn als eine Wolke, die zuweilen den Glanz des Tages verdun¬ kelt, dann aber als Regen niederfällt um den Boden der Wahrheit zu befeuchten und zu befruchten. Ihr verzweifelt in unsern ruhigen Zeiten, wie werdet Ihr Euch verhalten, wenn der Sturm einmal losbricht? Wenn Ihr das Glück nicht ertragen könnt, wie wollt Ihr das Unglück bestehen? Das gesellschaft¬ liche Leben vergiftet Euer häusliches Glück; was aber ist gesellschaftliches Leben? Was ist der Staat? Die Familienväter bilden die Gemeinde, die Häuser die Straßen, und Ihr sagt es ja selbst:
Il est plus difficile et c'est d'un plus grand poids De relever les mœurs que d'abattre les rois.
Wenn Ihr mit dem Erbtheil nicht zufrieden seid, daß Eure Väter Euch hinterlassen haben, so seid Ihr sehr undankbar. Dieses Erbgut, das Euch im Schlaf überkommen ist, ist reich genug. Reicht es Euch nicht hin, so arbeitet, wie Eure Väter gethan haben, und weigert Euch der Himmel den Lohn, dann und blos dann habt Ihr das Recht mit ihm zu grollen.
Wenn Ihr, mit Euren Gedanken allein, Euch fragt, warum ist uns nichts geglückt? Warum waren so große Anstrengungen ohne Erfolg? Wa¬ rum so viele getäuschte Hoffnungen? dann wird die Stimme des Gewissens, die das Gewühl der Welt lange übertäuben und zum Stillschweigen nöthi¬ gen kann, die aber, wenn sie ertönt, immer Wahrheit verkündet, Euch ant¬ worten. Ihr beklagt Euch mit Unrecht. Nein, alle Versprechungen sind erfüllt, keine Eurer Hoffnungen ist betrogen worden. Ihr habt das Ziel erreicht, das Ihr Euch bei der Abreise vorgesteckt hattet. Aber Ihr habt
15
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbcorresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179500"facs="#f0117"n="109"/>
Paris gerichtet. Wenn Ihr aus dem Mittelmeer blos Begeisterung schöpfen<lb/>
wollt, um damit die Steinplatten an der Porte St. Martin zu begießen,<lb/>
wenn Ihr auf der Spitze des Oelbergs und am Rande des Kraters des<lb/>
Vesuvs nur an Euch zu denken wagt, dann wäre es vernünftiger Ihr<lb/>
bliebt zu Hause.</p><lb/><p>Ich, der ich vorgerückt bin an Jahren und doch noch die Mensch¬<lb/>
heit liebe und achte, bin erstaunt über diese jungen Poeten, Romanzen¬<lb/>
sänger und Philosophen, die in ihrem dreißigsten Jahre schon den<lb/>
Winter im Herzen haben und sich einwickeln in ihren Menschenhaß wie in<lb/>
einen Pelz. Nein, diese drei Arrondissements von Paris, die Ihr für die<lb/>
Welt haltet, sind nicht Paris, Paris ist nicht Frankreich und Frankreich<lb/>
nicht die Welt. Ich, nicht gefesselt an die Scholle dieses oder jenes Quar¬<lb/>
tiers, der ich der Vasall keiner von Euren Revüen und keines Feuilletons bin,<lb/>
ich weiß, daß es unter den Menschen noch Tugend und Sitte, Uneigennützigkeit,<lb/>
Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit, Treu und Glauben, Ueberzeugungsfestigkeit,<lb/>
Freundschaft und Glückseligkeit giebt. Auch ich zweifle oft, aber ich betrachte den<lb/>
Zweifel nicht wie einen widrigen Bodensatz den die Ueberzeugung in den Herzen zu¬<lb/>
rückläßt; ich betrachte ihn als eine Wolke, die zuweilen den Glanz des Tages verdun¬<lb/>
kelt, dann aber als Regen niederfällt um den Boden der Wahrheit zu <choice><sic>befeuchteu</sic><corr>befeuchten</corr></choice> und<lb/>
zu befruchten. Ihr verzweifelt in unsern ruhigen Zeiten, wie werdet Ihr<lb/>
Euch verhalten, wenn der Sturm einmal losbricht? Wenn Ihr das Glück<lb/>
nicht ertragen könnt, wie wollt Ihr das Unglück bestehen? Das gesellschaft¬<lb/>
liche Leben vergiftet Euer häusliches Glück; was aber ist gesellschaftliches<lb/>
Leben? Was ist der Staat? Die Familienväter bilden die Gemeinde, die<lb/>
Häuser die Straßen, und Ihr sagt es ja selbst:</p><lb/><lgtype="poem"><lrendition="#aq">Il est plus difficile et c'est d'un plus grand poids</l><lb/><lrendition="#aq">De relever les mœurs que d'abattre les rois.</l></lg><lb/><p>Wenn Ihr mit dem Erbtheil nicht zufrieden seid, daß Eure Väter Euch<lb/>
hinterlassen haben, so seid Ihr sehr undankbar. Dieses Erbgut, das Euch<lb/>
im Schlaf überkommen ist, ist reich genug. Reicht es Euch nicht hin, so<lb/>
arbeitet, wie Eure Väter gethan haben, und weigert Euch der Himmel den<lb/>
Lohn, dann und blos dann habt Ihr das Recht mit ihm zu grollen.</p><lb/><p>Wenn Ihr, mit Euren Gedanken allein, Euch fragt, warum ist uns<lb/>
nichts geglückt? Warum waren so große Anstrengungen ohne Erfolg? Wa¬<lb/>
rum so viele getäuschte Hoffnungen? dann wird die Stimme des Gewissens,<lb/>
die das Gewühl der Welt lange übertäuben und zum Stillschweigen nöthi¬<lb/>
gen kann, die aber, wenn sie ertönt, immer Wahrheit verkündet, Euch ant¬<lb/>
worten. Ihr beklagt Euch mit Unrecht. Nein, alle Versprechungen sind<lb/>
erfüllt, keine Eurer Hoffnungen ist betrogen worden. Ihr habt das Ziel<lb/>
erreicht, das Ihr Euch bei der Abreise vorgesteckt hattet. Aber Ihr habt<lb/><fwplace="bottom"type="sig">15</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[109/0117]
Paris gerichtet. Wenn Ihr aus dem Mittelmeer blos Begeisterung schöpfen
wollt, um damit die Steinplatten an der Porte St. Martin zu begießen,
wenn Ihr auf der Spitze des Oelbergs und am Rande des Kraters des
Vesuvs nur an Euch zu denken wagt, dann wäre es vernünftiger Ihr
bliebt zu Hause.
Ich, der ich vorgerückt bin an Jahren und doch noch die Mensch¬
heit liebe und achte, bin erstaunt über diese jungen Poeten, Romanzen¬
sänger und Philosophen, die in ihrem dreißigsten Jahre schon den
Winter im Herzen haben und sich einwickeln in ihren Menschenhaß wie in
einen Pelz. Nein, diese drei Arrondissements von Paris, die Ihr für die
Welt haltet, sind nicht Paris, Paris ist nicht Frankreich und Frankreich
nicht die Welt. Ich, nicht gefesselt an die Scholle dieses oder jenes Quar¬
tiers, der ich der Vasall keiner von Euren Revüen und keines Feuilletons bin,
ich weiß, daß es unter den Menschen noch Tugend und Sitte, Uneigennützigkeit,
Aufrichtigkeit, Rechtlichkeit, Treu und Glauben, Ueberzeugungsfestigkeit,
Freundschaft und Glückseligkeit giebt. Auch ich zweifle oft, aber ich betrachte den
Zweifel nicht wie einen widrigen Bodensatz den die Ueberzeugung in den Herzen zu¬
rückläßt; ich betrachte ihn als eine Wolke, die zuweilen den Glanz des Tages verdun¬
kelt, dann aber als Regen niederfällt um den Boden der Wahrheit zu befeuchten und
zu befruchten. Ihr verzweifelt in unsern ruhigen Zeiten, wie werdet Ihr
Euch verhalten, wenn der Sturm einmal losbricht? Wenn Ihr das Glück
nicht ertragen könnt, wie wollt Ihr das Unglück bestehen? Das gesellschaft¬
liche Leben vergiftet Euer häusliches Glück; was aber ist gesellschaftliches
Leben? Was ist der Staat? Die Familienväter bilden die Gemeinde, die
Häuser die Straßen, und Ihr sagt es ja selbst:
Il est plus difficile et c'est d'un plus grand poids
De relever les mœurs que d'abattre les rois.
Wenn Ihr mit dem Erbtheil nicht zufrieden seid, daß Eure Väter Euch
hinterlassen haben, so seid Ihr sehr undankbar. Dieses Erbgut, das Euch
im Schlaf überkommen ist, ist reich genug. Reicht es Euch nicht hin, so
arbeitet, wie Eure Väter gethan haben, und weigert Euch der Himmel den
Lohn, dann und blos dann habt Ihr das Recht mit ihm zu grollen.
Wenn Ihr, mit Euren Gedanken allein, Euch fragt, warum ist uns
nichts geglückt? Warum waren so große Anstrengungen ohne Erfolg? Wa¬
rum so viele getäuschte Hoffnungen? dann wird die Stimme des Gewissens,
die das Gewühl der Welt lange übertäuben und zum Stillschweigen nöthi¬
gen kann, die aber, wenn sie ertönt, immer Wahrheit verkündet, Euch ant¬
worten. Ihr beklagt Euch mit Unrecht. Nein, alle Versprechungen sind
erfüllt, keine Eurer Hoffnungen ist betrogen worden. Ihr habt das Ziel
erreicht, das Ihr Euch bei der Abreise vorgesteckt hattet. Aber Ihr habt
15
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
(2013-11-19T17:23:38Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1).
(2013-11-19T17:23:38Z)
Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/117>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.