Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

bringen." -- ""Und doch," meinte die Dame, "sehen wir so Vieles was
selbst die größten Geister gewollt haben, mißlingen."" -- "Dann waren
es äußere Kräfte, die es zerstörten, aber in ihnen lag die Kraft des Voll¬
bringens, glaubt mir das, schöne Gräfin." -- ""Euch, Maestro muß
man Alles glauben, vorzüglich wenn ihr es aus Eurer Seele durch die
Geige tönen lasset."" -- Ich drückte nun mein tiefes Bedauern aus, den
Maestro nie gehört zu haben, der wie sein unsterblicher Landsmann "eine
neue Welt" -- im Gebiete der Töne entdeckt hat. Der Maestro verzog
sein seltsames Gesicht zu jenem süßlichen Lächeln, das ihn unheimlich machte.

"Warum habt ihr mich nicht gehört? Ich spielte so oft in Wien!
Buona gente, buona gente!" -- ""Ich lebte damals noch nicht in Wien.""

-- "Seid ihr kein Wiener?" -- ""Ich bin ein Böhme."" -- "In Prag
gefiel es mir nicht so gut, wahrscheinlich weil ich den Prägern nicht sehr
gefiel. Una gente di Nord! Ich gefalle gern, und freue mich wenn sie ju¬
beln. Habt Ihr in Böhmen keinen großen Violinspieler?" -- ""Wir
hatten einen, er ist todt und hieß Slawik, was in Böhmischen Nachtigall
bedeutet, und man glaubte Nachtigallen zu hören, wenn er die Saiten mit
dem Bogen berührte. Man nannte ihn Euren glücklichsten Nachahmer.
Dann lebte in altergrauer Zeit ein Ritter im Böhmen, der in einer Fehde
seinen Freund erschlug und dafür in einen Thurm gesperrt wurde. Er
kaufte, erzählt die Chronik, für seine letzten Silber-Pfennige eine Geige und
spielte immerfort, um seine Einsamkeit zu verbannen, und dann lauschten
sie seinen wunderbaren Klängen und noch heute sagen sie in Böhmen: Er
spielt die Geige schön wie Dalibor. Und der Thurm in Prag heißt heut
zu Tage nach ihm Daliborka"" -- "Den haben sie mir nicht gezeigt.
Ihr habt mich also nicht gehört?" nahm er das vorige Gespräch wieder
auf! und als ich ihm lebhaft meinen Schmerz darüber ausdrückte, sagte er:
"Ihr habt unseren Unsterblichen besungen; Ihr sollt mich hören!" -- Ich
konnte meine unaussprechliche Freude ihm nicht ausdrücken, er war schnell
fort und sandte, es waren drei Stunden nach Mitternacht, um seine Geige.

-- Er spielte -- Die Lichter des Saals wurden unterdessen verlöscht und
durch die offenen Fenster am Horizonte der weiten See, erwachte ein weißer
Streif. Der Morgen war nahe, der Maestro zu Ende. Die Gesellschaft
forderte den Marchese auf zu improvisiren. Paganini -- die Sonne, --
Colombo -- waren das Thema. -- Die Worte des Improvisators sprühten
begeistert wie Strahlen auf, es wurde immer Heller, -- die Sonne lag
brennend auf den Wegen des mittelländischen Meeres.



bringen.“ — „„Und doch,“ meinte die Dame, „sehen wir so Vieles was
selbst die größten Geister gewollt haben, mißlingen.““ — „Dann waren
es äußere Kräfte, die es zerstörten, aber in ihnen lag die Kraft des Voll¬
bringens, glaubt mir das, schöne Gräfin.“ — „„Euch, Maestro muß
man Alles glauben, vorzüglich wenn ihr es aus Eurer Seele durch die
Geige tönen lasset.““ — Ich drückte nun mein tiefes Bedauern aus, den
Maestro nie gehört zu haben, der wie sein unsterblicher Landsmann „eine
neue Welt“ — im Gebiete der Töne entdeckt hat. Der Maestro verzog
sein seltsames Gesicht zu jenem süßlichen Lächeln, das ihn unheimlich machte.

„Warum habt ihr mich nicht gehört? Ich spielte so oft in Wien!
Buona gente, buona gente!“ — „„Ich lebte damals noch nicht in Wien.““

— „Seid ihr kein Wiener?“ — „„Ich bin ein Böhme.““ — „In Prag
gefiel es mir nicht so gut, wahrscheinlich weil ich den Prägern nicht sehr
gefiel. Una gente di Nord! Ich gefalle gern, und freue mich wenn sie ju¬
beln. Habt Ihr in Böhmen keinen großen Violinspieler?“ — „„Wir
hatten einen, er ist todt und hieß Slawik, was in Böhmischen Nachtigall
bedeutet, und man glaubte Nachtigallen zu hören, wenn er die Saiten mit
dem Bogen berührte. Man nannte ihn Euren glücklichsten Nachahmer.
Dann lebte in altergrauer Zeit ein Ritter im Böhmen, der in einer Fehde
seinen Freund erschlug und dafür in einen Thurm gesperrt wurde. Er
kaufte, erzählt die Chronik, für seine letzten Silber-Pfennige eine Geige und
spielte immerfort, um seine Einsamkeit zu verbannen, und dann lauschten
sie seinen wunderbaren Klängen und noch heute sagen sie in Böhmen: Er
spielt die Geige schön wie Dalibor. Und der Thurm in Prag heißt heut
zu Tage nach ihm Daliborka““ — „Den haben sie mir nicht gezeigt.
Ihr habt mich also nicht gehört?“ nahm er das vorige Gespräch wieder
auf! und als ich ihm lebhaft meinen Schmerz darüber ausdrückte, sagte er:
„Ihr habt unseren Unsterblichen besungen; Ihr sollt mich hören!“ — Ich
konnte meine unaussprechliche Freude ihm nicht ausdrücken, er war schnell
fort und sandte, es waren drei Stunden nach Mitternacht, um seine Geige.

— Er spielte — Die Lichter des Saals wurden unterdessen verlöscht und
durch die offenen Fenster am Horizonte der weiten See, erwachte ein weißer
Streif. Der Morgen war nahe, der Maestro zu Ende. Die Gesellschaft
forderte den Marchese auf zu improvisiren. Paganini — die Sonne, —
Colombo — waren das Thema. — Die Worte des Improvisators sprühten
begeistert wie Strahlen auf, es wurde immer Heller, — die Sonne lag
brennend auf den Wegen des mittelländischen Meeres.



<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179487" facs="#f0104" n="96"/>
bringen.&#x201C; &#x2014; &#x201E;&#x201E;Und doch,&#x201C; meinte die Dame, &#x201E;sehen wir so Vieles was<lb/>
selbst die größten Geister gewollt haben, mißlingen.&#x201C;&#x201C; &#x2014; &#x201E;Dann waren<lb/>
es äußere Kräfte, die es zerstörten, aber in ihnen lag die Kraft des Voll¬<lb/>
bringens, glaubt mir das, schöne Gräfin.&#x201C; &#x2014; &#x201E;&#x201E;Euch, Maestro muß<lb/>
man Alles glauben, vorzüglich wenn ihr es aus Eurer Seele durch die<lb/>
Geige tönen lasset.&#x201C;&#x201C; &#x2014; Ich drückte nun mein tiefes Bedauern aus, den<lb/>
Maestro nie gehört zu haben, der wie sein unsterblicher Landsmann &#x201E;eine<lb/>
neue Welt&#x201C; &#x2014; im Gebiete der Töne entdeckt hat. Der Maestro verzog<lb/>
sein seltsames Gesicht zu jenem süßlichen Lächeln, das ihn unheimlich machte.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum habt ihr mich nicht gehört? Ich spielte so oft in Wien!<lb/>
Buona gente, buona gente!&#x201C; &#x2014; &#x201E;&#x201E;Ich lebte damals noch nicht in Wien.&#x201C;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x2014; &#x201E;Seid ihr kein Wiener?&#x201C; &#x2014; &#x201E;&#x201E;Ich bin ein Böhme.&#x201C;&#x201C; &#x2014; &#x201E;In Prag<lb/>
gefiel es mir nicht so gut, wahrscheinlich weil ich den Prägern nicht sehr<lb/>
gefiel. Una gente di Nord! Ich gefalle gern, und freue mich wenn sie ju¬<lb/>
beln. Habt Ihr in Böhmen keinen großen Violinspieler?&#x201C; &#x2014; &#x201E;&#x201E;Wir<lb/>
hatten einen, er ist todt und hieß Slawik, was in Böhmischen Nachtigall<lb/>
bedeutet, und man glaubte Nachtigallen zu hören, wenn er die Saiten mit<lb/>
dem Bogen berührte. Man nannte ihn Euren glücklichsten Nachahmer.<lb/>
Dann lebte in altergrauer Zeit ein Ritter im Böhmen, der in einer Fehde<lb/>
seinen Freund erschlug und dafür in einen Thurm gesperrt wurde. Er<lb/>
kaufte, erzählt die Chronik, für seine letzten Silber-Pfennige eine Geige und<lb/>
spielte immerfort, um seine Einsamkeit zu verbannen, und dann lauschten<lb/>
sie seinen wunderbaren Klängen und noch heute sagen sie in Böhmen: Er<lb/>
spielt die Geige schön wie Dalibor. Und der Thurm in Prag heißt heut<lb/>
zu Tage nach ihm Daliborka&#x201C;&#x201C; &#x2014; &#x201E;Den haben sie mir nicht gezeigt.<lb/>
Ihr habt mich also nicht gehört?&#x201C; nahm er das vorige Gespräch wieder<lb/>
auf! und als ich ihm lebhaft meinen Schmerz darüber ausdrückte, sagte er:<lb/>
&#x201E;Ihr habt unseren Unsterblichen besungen; Ihr sollt mich hören!&#x201C; &#x2014; Ich<lb/>
konnte meine unaussprechliche Freude ihm nicht ausdrücken, er war schnell<lb/>
fort und sandte, es waren drei Stunden nach Mitternacht, um seine Geige.</p><lb/>
        <p>&#x2014; Er spielte &#x2014; Die Lichter des Saals wurden unterdessen verlöscht und<lb/>
durch die offenen Fenster am Horizonte der weiten See, erwachte ein weißer<lb/>
Streif. Der Morgen war nahe, der Maestro zu Ende. Die Gesellschaft<lb/>
forderte den Marchese auf zu improvisiren. Paganini &#x2014; die Sonne, &#x2014;<lb/>
Colombo &#x2014; waren das Thema. &#x2014; Die Worte des Improvisators sprühten<lb/>
begeistert wie Strahlen auf, es wurde immer Heller, &#x2014; die Sonne lag<lb/>
brennend auf den Wegen des mittelländischen Meeres.</p>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[96/0104] bringen.“ — „„Und doch,“ meinte die Dame, „sehen wir so Vieles was selbst die größten Geister gewollt haben, mißlingen.““ — „Dann waren es äußere Kräfte, die es zerstörten, aber in ihnen lag die Kraft des Voll¬ bringens, glaubt mir das, schöne Gräfin.“ — „„Euch, Maestro muß man Alles glauben, vorzüglich wenn ihr es aus Eurer Seele durch die Geige tönen lasset.““ — Ich drückte nun mein tiefes Bedauern aus, den Maestro nie gehört zu haben, der wie sein unsterblicher Landsmann „eine neue Welt“ — im Gebiete der Töne entdeckt hat. Der Maestro verzog sein seltsames Gesicht zu jenem süßlichen Lächeln, das ihn unheimlich machte. „Warum habt ihr mich nicht gehört? Ich spielte so oft in Wien! Buona gente, buona gente!“ — „„Ich lebte damals noch nicht in Wien.““ — „Seid ihr kein Wiener?“ — „„Ich bin ein Böhme.““ — „In Prag gefiel es mir nicht so gut, wahrscheinlich weil ich den Prägern nicht sehr gefiel. Una gente di Nord! Ich gefalle gern, und freue mich wenn sie ju¬ beln. Habt Ihr in Böhmen keinen großen Violinspieler?“ — „„Wir hatten einen, er ist todt und hieß Slawik, was in Böhmischen Nachtigall bedeutet, und man glaubte Nachtigallen zu hören, wenn er die Saiten mit dem Bogen berührte. Man nannte ihn Euren glücklichsten Nachahmer. Dann lebte in altergrauer Zeit ein Ritter im Böhmen, der in einer Fehde seinen Freund erschlug und dafür in einen Thurm gesperrt wurde. Er kaufte, erzählt die Chronik, für seine letzten Silber-Pfennige eine Geige und spielte immerfort, um seine Einsamkeit zu verbannen, und dann lauschten sie seinen wunderbaren Klängen und noch heute sagen sie in Böhmen: Er spielt die Geige schön wie Dalibor. Und der Thurm in Prag heißt heut zu Tage nach ihm Daliborka““ — „Den haben sie mir nicht gezeigt. Ihr habt mich also nicht gehört?“ nahm er das vorige Gespräch wieder auf! und als ich ihm lebhaft meinen Schmerz darüber ausdrückte, sagte er: „Ihr habt unseren Unsterblichen besungen; Ihr sollt mich hören!“ — Ich konnte meine unaussprechliche Freude ihm nicht ausdrücken, er war schnell fort und sandte, es waren drei Stunden nach Mitternacht, um seine Geige. — Er spielte — Die Lichter des Saals wurden unterdessen verlöscht und durch die offenen Fenster am Horizonte der weiten See, erwachte ein weißer Streif. Der Morgen war nahe, der Maestro zu Ende. Die Gesellschaft forderte den Marchese auf zu improvisiren. Paganini — die Sonne, — Colombo — waren das Thema. — Die Worte des Improvisators sprühten begeistert wie Strahlen auf, es wurde immer Heller, — die Sonne lag brennend auf den Wegen des mittelländischen Meeres.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/104
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 96. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/104>, abgerufen am 23.11.2024.