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Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844.

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Einleitung.
Differenzial- und Integral-Rechnung, diese die Grundlage der
Ausdehnungslehre.

Da von diesen beiden Zweigen der erstere der Zahlenlehre
als höherer Zweig untergeordnet zu werden pflegt, der letztere
aber noch als ein bisher unbekannter Zweig erscheint, so ist es
nothwendig, diese ohnehin durch den Begriff des stetigen Fliessens
schwierige Betrachtung näher zu erläutern. Wie in der Zahl die
Einigung hervortritt, in der Kombination die Sonderung des Zu-
sammengedachten, so auch in der intensiven Grösse die Einigung
der Elemente, welche ihrem Begriff nach zwar noch gesondert
sind, aber nur in ihrem wesentlichen sich gleich sein die inten-
sive Grösse bilden, hingegen in der extensiven Grösse die Sonde-
rung der Elemente, welche zwar, sofern sie Eine Grösse bilden,
vereinigt sind, aber welche eben nur in ihrer Trennung von einan-
der die Grösse konstituiren. Es ist also die intensive Grösse
gleichsam die flüssig gewordene Zahl, die extensive Grösse die
flüssig gewordene Kombination. Der lezteren ist wesentlich ein
Auseinandertreten der Elemente und ein Festhalten derselben als
aus einander seiender; das erzeugende Element erscheint bei ihr
als ein sich änderndes, d. h. durch eine Verschiedenheit der Zu-
stände hindurchgehendes, und die Gesammtheit dieser verschiedenen
Zustände bildet eben das Gebiet der Ausdehnungsgrösse. Bei der
intensiven Grösse hingegen liefert die Erzeugung derselben eine stetige
Reihe sich selbst gleicher Zustände, deren Quantität eben die inten-
sive Grösse ist. Als Beispiel für die extensive Grösse können wir
am besten die begränzte Linie (Strecke) wählen, deren Elemente
wesentlich aus einander treten und dadurch eben die Linie als
Ausdehnung konstituiren; hingegen als Beispiel der intensiven
Grösse etwa einen mit bestimmter Kraft begabten Punkt, indem
hier die Elemente nicht sich entäussern, sondern nur in der Stei-
gerung sich darstellen, also eine bestimmte Stufe der Steigerung
bilden.

Auch hier zeigt sich die aufgestellte Differenz auf eine schöne
Weise in der Bezeichnung; nämlich bei der intensiven Grösse,
welche den Gegenstand der Funktionenlehre ausmacht, unterschei-
det man nicht die Elemente durch besondere Zeichen, sondern wo

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Differenzial- und Integral-Rechnung, diese die Grundlage der
Ausdehnungslehre.

Da von diesen beiden Zweigen der erstere der Zahlenlehre
als höherer Zweig untergeordnet zu werden pflegt, der letztere
aber noch als ein bisher unbekannter Zweig erscheint, so ist es
nothwendig, diese ohnehin durch den Begriff des stetigen Fliessens
schwierige Betrachtung näher zu erläutern. Wie in der Zahl die
Einigung hervortritt, in der Kombination die Sonderung des Zu-
sammengedachten, so auch in der intensiven Grösse die Einigung
der Elemente, welche ihrem Begriff nach zwar noch gesondert
sind, aber nur in ihrem wesentlichen sich gleich sein die inten-
sive Grösse bilden, hingegen in der extensiven Grösse die Sonde-
rung der Elemente, welche zwar, sofern sie Eine Grösse bilden,
vereinigt sind, aber welche eben nur in ihrer Trennung von einan-
der die Grösse konstituiren. Es ist also die intensive Grösse
gleichsam die flüssig gewordene Zahl, die extensive Grösse die
flüssig gewordene Kombination. Der lezteren ist wesentlich ein
Auseinandertreten der Elemente und ein Festhalten derselben als
aus einander seiender; das erzeugende Element erscheint bei ihr
als ein sich änderndes, d. h. durch eine Verschiedenheit der Zu-
stände hindurchgehendes, und die Gesammtheit dieser verschiedenen
Zustände bildet eben das Gebiet der Ausdehnungsgrösse. Bei der
intensiven Grösse hingegen liefert die Erzeugung derselben eine stetige
Reihe sich selbst gleicher Zustände, deren Quantität eben die inten-
sive Grösse ist. Als Beispiel für die extensive Grösse können wir
am besten die begränzte Linie (Strecke) wählen, deren Elemente
wesentlich aus einander treten und dadurch eben die Linie als
Ausdehnung konstituiren; hingegen als Beispiel der intensiven
Grösse etwa einen mit bestimmter Kraft begabten Punkt, indem
hier die Elemente nicht sich entäussern, sondern nur in der Stei-
gerung sich darstellen, also eine bestimmte Stufe der Steigerung
bilden.

Auch hier zeigt sich die aufgestellte Differenz auf eine schöne
Weise in der Bezeichnung; nämlich bei der intensiven Grösse,
welche den Gegenstand der Funktionenlehre ausmacht, unterschei-
det man nicht die Elemente durch besondere Zeichen, sondern wo

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[XXV/0029] Einleitung. Differenzial- und Integral-Rechnung, diese die Grundlage der Ausdehnungslehre. Da von diesen beiden Zweigen der erstere der Zahlenlehre als höherer Zweig untergeordnet zu werden pflegt, der letztere aber noch als ein bisher unbekannter Zweig erscheint, so ist es nothwendig, diese ohnehin durch den Begriff des stetigen Fliessens schwierige Betrachtung näher zu erläutern. Wie in der Zahl die Einigung hervortritt, in der Kombination die Sonderung des Zu- sammengedachten, so auch in der intensiven Grösse die Einigung der Elemente, welche ihrem Begriff nach zwar noch gesondert sind, aber nur in ihrem wesentlichen sich gleich sein die inten- sive Grösse bilden, hingegen in der extensiven Grösse die Sonde- rung der Elemente, welche zwar, sofern sie Eine Grösse bilden, vereinigt sind, aber welche eben nur in ihrer Trennung von einan- der die Grösse konstituiren. Es ist also die intensive Grösse gleichsam die flüssig gewordene Zahl, die extensive Grösse die flüssig gewordene Kombination. Der lezteren ist wesentlich ein Auseinandertreten der Elemente und ein Festhalten derselben als aus einander seiender; das erzeugende Element erscheint bei ihr als ein sich änderndes, d. h. durch eine Verschiedenheit der Zu- stände hindurchgehendes, und die Gesammtheit dieser verschiedenen Zustände bildet eben das Gebiet der Ausdehnungsgrösse. Bei der intensiven Grösse hingegen liefert die Erzeugung derselben eine stetige Reihe sich selbst gleicher Zustände, deren Quantität eben die inten- sive Grösse ist. Als Beispiel für die extensive Grösse können wir am besten die begränzte Linie (Strecke) wählen, deren Elemente wesentlich aus einander treten und dadurch eben die Linie als Ausdehnung konstituiren; hingegen als Beispiel der intensiven Grösse etwa einen mit bestimmter Kraft begabten Punkt, indem hier die Elemente nicht sich entäussern, sondern nur in der Stei- gerung sich darstellen, also eine bestimmte Stufe der Steigerung bilden. Auch hier zeigt sich die aufgestellte Differenz auf eine schöne Weise in der Bezeichnung; nämlich bei der intensiven Grösse, welche den Gegenstand der Funktionenlehre ausmacht, unterschei- det man nicht die Elemente durch besondere Zeichen, sondern wo

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Zitationshilfe: Graßmann, Hermann: Die Wissenschaft der extensiven Grösse oder die Ausdehnungslehre, eine neue mathematische Disciplin. Bd. 1. Leipzig, 1844, S. XXV. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grassmann_ausdehnungslehre_1844/29>, abgerufen am 29.03.2024.