Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

Bild:
<< vorherige Seite

Des II Theils XI Capitel
nicht mischen. Die Zaubereyen offt anzubringen ist auch
nichts schönes; weil es nicht mehr wahrscheinlich ist. Die
Kleidungen der Personen müssen nach ihrem Character und
Stande eingerichtet seyn: nur der Harlequin hat hier, ich
weiß nicht warum eine Ausnahme. Er soll zuweilen einen
Herren-Diener bedeuten; allein welcher Herr würde sich
nicht schämen, seinem Kerle eine so buntscheckigte Lieberey zu
geben? Der Scapin hat eine Spanische Tracht; und das
kan man in einem Spanischen Stücke schon gelten lassen;
allein bey uns schickte sichs nicht. Die Nahmen der Perso-
nen dörfen in einer Comödie nicht aus der Historie genommen
werden: Aber allezeit mit einem Pandolfo, Anselmo etc. ei-
ner Jsabella und Colombine aufgezogen zu kommen; ist auch
nicht angenehm. So bald die Personen neue Charactere
haben, müssen sie auch neue Nahmen bekommen: um die
Verwirrung zu vermeiden, die sonst bey dem Zuschauer vieler
Comödien entstehen könnte. Die Verzierungen der Schau-
bühne stellen den Ort vor, wo die gantze Fabel gespielet wird;
gemeiniglich ein Bürgerhaus, oder eine Gasse der Stadt, da
man an beyden Seiten verschiedene Häuser sieht. Die Mu-
sic anlangend, so wissen wir, daß in der neuen Comödie und
bey den Römern keine Chöre gebraucht worden. Jndessen
steht doch auf den Terentzischen Comödien: Modos fecit
Flaccus Claudii F. Tibiis paribus dextris & sinistris.
Was
das zu bedeuten habe, mögen die Liebhaber der Alterthümer
untersuchen. Vermuthlich hat man zwischen den Handlun-
gen an statt der vormahligen Oden, damit eine kleine Music
gemacht: Denn daß die gantze Comödie abgesungen und mit
einer Jnstrumental-Music wäre begleitet worden; davon
findet man nicht die geringsten Spuren.

Wir Deutschen müssen uns so lange mit Uebersetzungen
aus dem französischen behelfen, bis wir werden Poeten be-
kommen, die selbst was regelmäßiges machen können. Es
kommt nur darauf an, daß unsre große Herren sich endlich ei-
nen Geschmack von deutschen Schauspielen beybringen las-
sen: Denn so lange sie nur in ausländische Sachen verliebt
sind, ist nicht viel zu hoffen. Unsre Dreßdenische Hof-Co-

mödian-

Des II Theils XI Capitel
nicht miſchen. Die Zaubereyen offt anzubringen iſt auch
nichts ſchoͤnes; weil es nicht mehr wahrſcheinlich iſt. Die
Kleidungen der Perſonen muͤſſen nach ihrem Character und
Stande eingerichtet ſeyn: nur der Harlequin hat hier, ich
weiß nicht warum eine Ausnahme. Er ſoll zuweilen einen
Herren-Diener bedeuten; allein welcher Herr wuͤrde ſich
nicht ſchaͤmen, ſeinem Kerle eine ſo buntſcheckigte Lieberey zu
geben? Der Scapin hat eine Spaniſche Tracht; und das
kan man in einem Spaniſchen Stuͤcke ſchon gelten laſſen;
allein bey uns ſchickte ſichs nicht. Die Nahmen der Perſo-
nen doͤrfen in einer Comoͤdie nicht aus der Hiſtorie genommen
werden: Aber allezeit mit einem Pandolfo, Anſelmo ꝛc. ei-
ner Jſabella und Colombine aufgezogen zu kommen; iſt auch
nicht angenehm. So bald die Perſonen neue Charactere
haben, muͤſſen ſie auch neue Nahmen bekommen: um die
Verwirrung zu vermeiden, die ſonſt bey dem Zuſchauer vieler
Comoͤdien entſtehen koͤnnte. Die Verzierungen der Schau-
buͤhne ſtellen den Ort vor, wo die gantze Fabel geſpielet wird;
gemeiniglich ein Buͤrgerhaus, oder eine Gaſſe der Stadt, da
man an beyden Seiten verſchiedene Haͤuſer ſieht. Die Mu-
ſic anlangend, ſo wiſſen wir, daß in der neuen Comoͤdie und
bey den Roͤmern keine Choͤre gebraucht worden. Jndeſſen
ſteht doch auf den Terentziſchen Comoͤdien: Modos fecit
Flaccus Claudii F. Tibiis paribus dextris & ſiniſtris.
Was
das zu bedeuten habe, moͤgen die Liebhaber der Alterthuͤmer
unterſuchen. Vermuthlich hat man zwiſchen den Handlun-
gen an ſtatt der vormahligen Oden, damit eine kleine Muſic
gemacht: Denn daß die gantze Comoͤdie abgeſungen und mit
einer Jnſtrumental-Muſic waͤre begleitet worden; davon
findet man nicht die geringſten Spuren.

Wir Deutſchen muͤſſen uns ſo lange mit Ueberſetzungen
aus dem franzoͤſiſchen behelfen, bis wir werden Poeten be-
kommen, die ſelbſt was regelmaͤßiges machen koͤnnen. Es
kommt nur darauf an, daß unſre große Herren ſich endlich ei-
nen Geſchmack von deutſchen Schauſpielen beybringen laſ-
ſen: Denn ſo lange ſie nur in auslaͤndiſche Sachen verliebt
ſind, iſt nicht viel zu hoffen. Unſre Dreßdeniſche Hof-Co-

moͤdian-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0630" n="602"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Des <hi rendition="#aq">II</hi> Theils <hi rendition="#aq">XI</hi> Capitel</hi></fw><lb/>
nicht mi&#x017F;chen. Die Zaubereyen offt anzubringen i&#x017F;t auch<lb/>
nichts &#x017F;cho&#x0364;nes; weil es nicht mehr wahr&#x017F;cheinlich i&#x017F;t. Die<lb/>
Kleidungen der Per&#x017F;onen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en nach ihrem Character und<lb/>
Stande eingerichtet &#x017F;eyn: nur der Harlequin hat hier, ich<lb/>
weiß nicht warum eine Ausnahme. Er &#x017F;oll zuweilen einen<lb/>
Herren-Diener bedeuten; allein welcher Herr wu&#x0364;rde &#x017F;ich<lb/>
nicht &#x017F;cha&#x0364;men, &#x017F;einem Kerle eine &#x017F;o bunt&#x017F;checkigte Lieberey zu<lb/>
geben? Der Scapin hat eine Spani&#x017F;che Tracht; und das<lb/>
kan man in einem Spani&#x017F;chen Stu&#x0364;cke &#x017F;chon gelten la&#x017F;&#x017F;en;<lb/>
allein bey uns &#x017F;chickte &#x017F;ichs nicht. Die Nahmen der Per&#x017F;o-<lb/>
nen do&#x0364;rfen in einer Como&#x0364;die nicht aus der Hi&#x017F;torie genommen<lb/>
werden: Aber allezeit mit einem Pandolfo, An&#x017F;elmo &#xA75B;c. ei-<lb/>
ner J&#x017F;abella und Colombine aufgezogen zu kommen; i&#x017F;t auch<lb/>
nicht angenehm. So bald die Per&#x017F;onen neue Charactere<lb/>
haben, mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie auch neue Nahmen bekommen: um die<lb/>
Verwirrung zu vermeiden, die &#x017F;on&#x017F;t bey dem Zu&#x017F;chauer vieler<lb/>
Como&#x0364;dien ent&#x017F;tehen ko&#x0364;nnte. Die Verzierungen der Schau-<lb/>
bu&#x0364;hne &#x017F;tellen den Ort vor, wo die gantze Fabel ge&#x017F;pielet wird;<lb/>
gemeiniglich ein Bu&#x0364;rgerhaus, oder eine Ga&#x017F;&#x017F;e der Stadt, da<lb/>
man an beyden Seiten ver&#x017F;chiedene Ha&#x0364;u&#x017F;er &#x017F;ieht. Die Mu-<lb/>
&#x017F;ic anlangend, &#x017F;o wi&#x017F;&#x017F;en wir, daß in der neuen Como&#x0364;die und<lb/>
bey den Ro&#x0364;mern keine Cho&#x0364;re gebraucht worden. Jnde&#x017F;&#x017F;en<lb/>
&#x017F;teht doch auf den Terentzi&#x017F;chen Como&#x0364;dien: <hi rendition="#aq">Modos fecit<lb/>
Flaccus Claudii F. Tibiis paribus dextris &amp; &#x017F;ini&#x017F;tris.</hi> Was<lb/>
das zu bedeuten habe, mo&#x0364;gen die Liebhaber der Alterthu&#x0364;mer<lb/>
unter&#x017F;uchen. Vermuthlich hat man zwi&#x017F;chen den Handlun-<lb/>
gen an &#x017F;tatt der vormahligen Oden, damit eine kleine Mu&#x017F;ic<lb/>
gemacht: Denn daß die gantze Como&#x0364;die abge&#x017F;ungen und mit<lb/>
einer Jn&#x017F;trumental-Mu&#x017F;ic wa&#x0364;re begleitet worden; davon<lb/>
findet man nicht die gering&#x017F;ten Spuren.</p><lb/>
          <p>Wir Deut&#x017F;chen mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en uns &#x017F;o lange mit Ueber&#x017F;etzungen<lb/>
aus dem franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen behelfen, bis wir werden Poeten be-<lb/>
kommen, die &#x017F;elb&#x017F;t was regelma&#x0364;ßiges machen ko&#x0364;nnen. Es<lb/>
kommt nur darauf an, daß un&#x017F;re große Herren &#x017F;ich endlich ei-<lb/>
nen Ge&#x017F;chmack von deut&#x017F;chen Schau&#x017F;pielen beybringen la&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en: Denn &#x017F;o lange &#x017F;ie nur in ausla&#x0364;ndi&#x017F;che Sachen verliebt<lb/>
&#x017F;ind, i&#x017F;t nicht viel zu hoffen. Un&#x017F;re Dreßdeni&#x017F;che Hof-Co-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mo&#x0364;dian-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[602/0630] Des II Theils XI Capitel nicht miſchen. Die Zaubereyen offt anzubringen iſt auch nichts ſchoͤnes; weil es nicht mehr wahrſcheinlich iſt. Die Kleidungen der Perſonen muͤſſen nach ihrem Character und Stande eingerichtet ſeyn: nur der Harlequin hat hier, ich weiß nicht warum eine Ausnahme. Er ſoll zuweilen einen Herren-Diener bedeuten; allein welcher Herr wuͤrde ſich nicht ſchaͤmen, ſeinem Kerle eine ſo buntſcheckigte Lieberey zu geben? Der Scapin hat eine Spaniſche Tracht; und das kan man in einem Spaniſchen Stuͤcke ſchon gelten laſſen; allein bey uns ſchickte ſichs nicht. Die Nahmen der Perſo- nen doͤrfen in einer Comoͤdie nicht aus der Hiſtorie genommen werden: Aber allezeit mit einem Pandolfo, Anſelmo ꝛc. ei- ner Jſabella und Colombine aufgezogen zu kommen; iſt auch nicht angenehm. So bald die Perſonen neue Charactere haben, muͤſſen ſie auch neue Nahmen bekommen: um die Verwirrung zu vermeiden, die ſonſt bey dem Zuſchauer vieler Comoͤdien entſtehen koͤnnte. Die Verzierungen der Schau- buͤhne ſtellen den Ort vor, wo die gantze Fabel geſpielet wird; gemeiniglich ein Buͤrgerhaus, oder eine Gaſſe der Stadt, da man an beyden Seiten verſchiedene Haͤuſer ſieht. Die Mu- ſic anlangend, ſo wiſſen wir, daß in der neuen Comoͤdie und bey den Roͤmern keine Choͤre gebraucht worden. Jndeſſen ſteht doch auf den Terentziſchen Comoͤdien: Modos fecit Flaccus Claudii F. Tibiis paribus dextris & ſiniſtris. Was das zu bedeuten habe, moͤgen die Liebhaber der Alterthuͤmer unterſuchen. Vermuthlich hat man zwiſchen den Handlun- gen an ſtatt der vormahligen Oden, damit eine kleine Muſic gemacht: Denn daß die gantze Comoͤdie abgeſungen und mit einer Jnſtrumental-Muſic waͤre begleitet worden; davon findet man nicht die geringſten Spuren. Wir Deutſchen muͤſſen uns ſo lange mit Ueberſetzungen aus dem franzoͤſiſchen behelfen, bis wir werden Poeten be- kommen, die ſelbſt was regelmaͤßiges machen koͤnnen. Es kommt nur darauf an, daß unſre große Herren ſich endlich ei- nen Geſchmack von deutſchen Schauſpielen beybringen laſ- ſen: Denn ſo lange ſie nur in auslaͤndiſche Sachen verliebt ſind, iſt nicht viel zu hoffen. Unſre Dreßdeniſche Hof-Co- moͤdian-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/630
Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 602. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/630>, abgerufen am 24.11.2024.