Von den Characteren in der Comödie ist weiter nichts besondres zu erinnern; als was bey der Tragödie schon vor- gekommen. Man muß die Natur und Art der Menschen zu beobachten wissen, jedem Alter, jedem Stande, jedem Ge- schlechte, jedem Volcke solche Neigungen und Gemüthsarten geben, als wir von ihnen gewohnt sind. Kommt ja einmahl was außerordentliches vor; daß etwa ein Alter nicht geitzig, ein Junger nicht verschwenderisch; ein Weib nicht weich her- zig, ein Mann nicht behertzt ist: So muß der Zuschauer vor- bereitet werden, solche ungewöhnliche Charactere vor wahr- scheinlich zu halten: welches durch Erzehlung der Umstände geschieht, die dazu was beygetragen haben. Man muß aber die lächerlichen Charactere nicht zu hoch treiben. So bald der Zuschauer glauben kan, so gar thöricht würde doch wohl kein Mensch in der Welt seyn: so bald verliert der Character sei- nen Werth. Darinn verstoßen es zuweilen auch die besten Poeten; wie oben von dem Geitzhalse des Moliere bemercket worden. Terentius ist hierinn überaus geschickt gewesen. Alle seine Bilder leben:
Contemplez de quel air un Pere dans Terence, Vient d'un Fils amoureux gourmander l'imprudence. De quel air cet amant ecoute ses Lecons, Et court chez sa maitresse oublier ces chansons. Ce n'est pas un portrait, une image semblable, C'est un amant, un Fils, un Pere veritable.
Von den Affecten ist hier ebenfalls nichts neues zu sagen; als daß man die Tragischen, nehmlich die Furcht, das Schre- cken und Mitleiden zu vermeiden habe. Alle übrige finden in der Comödie auch statt. Ein zorniger Chremes, ein verliebter Pamphilus; Ein stoltzer Thraso, ein lustiger Davus, u. d. m. sind solche Gemüthsbewegungen, die eben kein Schrecken, auch keine Verwunderung erwecken. Der Menedemus im Terentz ist indessen so beschaffen, daß er gleich ein Mitleiden bey uns erwecket: doch da solcher Affect nur gelinde bleibt; so ist es eben kein Fehler. Von der Liebe und Lustigkeit darf man wohl keine Regeln geben: denn darauf verfallen die ge- meinsten Comödienmacher von sich selbst. Sie mögen sich nur in achtnehmen, daß sie in der ersten nicht die Gesetze der
Scham-
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Von Comoͤdien oder Luſtſpielen.
Von den Characteren in der Comoͤdie iſt weiter nichts beſondres zu erinnern; als was bey der Tragoͤdie ſchon vor- gekommen. Man muß die Natur und Art der Menſchen zu beobachten wiſſen, jedem Alter, jedem Stande, jedem Ge- ſchlechte, jedem Volcke ſolche Neigungen und Gemuͤthsarten geben, als wir von ihnen gewohnt ſind. Kommt ja einmahl was außerordentliches vor; daß etwa ein Alter nicht geitzig, ein Junger nicht verſchwenderiſch; ein Weib nicht weich her- zig, ein Mann nicht behertzt iſt: So muß der Zuſchauer vor- bereitet werden, ſolche ungewoͤhnliche Charactere vor wahr- ſcheinlich zu halten: welches durch Erzehlung der Umſtaͤnde geſchieht, die dazu was beygetragen haben. Man muß aber die laͤcherlichen Charactere nicht zu hoch treiben. So bald der Zuſchauer glauben kan, ſo gar thoͤricht wuͤrde doch wohl kein Menſch in der Welt ſeyn: ſo bald verliert der Character ſei- nen Werth. Darinn verſtoßen es zuweilen auch die beſten Poeten; wie oben von dem Geitzhalſe des Moliere bemercket worden. Terentius iſt hierinn uͤberaus geſchickt geweſen. Alle ſeine Bilder leben:
Contemplez de quel air un Pere dans Terence, Vient d’un Fils amoureux gourmander l’imprudence. De quel air cet amant écoute ſes Leçons, Et court chez ſa maitreſſe oublier ces chanſons. Ce n’eſt pas un portrait, une image ſemblable, C’eſt un amant, un Fils, un Pere veritable.
Von den Affecten iſt hier ebenfalls nichts neues zu ſagen; als daß man die Tragiſchen, nehmlich die Furcht, das Schre- cken und Mitleiden zu vermeiden habe. Alle uͤbrige finden in der Comoͤdie auch ſtatt. Ein zorniger Chremes, ein verliebter Pamphilus; Ein ſtoltzer Thraſo, ein luſtiger Davus, u. d. m. ſind ſolche Gemuͤthsbewegungen, die eben kein Schrecken, auch keine Verwunderung erwecken. Der Menedemus im Terentz iſt indeſſen ſo beſchaffen, daß er gleich ein Mitleiden bey uns erwecket: doch da ſolcher Affect nur gelinde bleibt; ſo iſt es eben kein Fehler. Von der Liebe und Luſtigkeit darf man wohl keine Regeln geben: denn darauf verfallen die ge- meinſten Comoͤdienmacher von ſich ſelbſt. Sie moͤgen ſich nur in achtnehmen, daß ſie in der erſten nicht die Geſetze der
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Von Comoͤdien oder Luſtſpielen.
Von den Characteren in der Comoͤdie iſt weiter nichts
beſondres zu erinnern; als was bey der Tragoͤdie ſchon vor-
gekommen. Man muß die Natur und Art der Menſchen zu
beobachten wiſſen, jedem Alter, jedem Stande, jedem Ge-
ſchlechte, jedem Volcke ſolche Neigungen und Gemuͤthsarten
geben, als wir von ihnen gewohnt ſind. Kommt ja einmahl
was außerordentliches vor; daß etwa ein Alter nicht geitzig,
ein Junger nicht verſchwenderiſch; ein Weib nicht weich her-
zig, ein Mann nicht behertzt iſt: So muß der Zuſchauer vor-
bereitet werden, ſolche ungewoͤhnliche Charactere vor wahr-
ſcheinlich zu halten: welches durch Erzehlung der Umſtaͤnde
geſchieht, die dazu was beygetragen haben. Man muß aber
die laͤcherlichen Charactere nicht zu hoch treiben. So bald der
Zuſchauer glauben kan, ſo gar thoͤricht wuͤrde doch wohl kein
Menſch in der Welt ſeyn: ſo bald verliert der Character ſei-
nen Werth. Darinn verſtoßen es zuweilen auch die beſten
Poeten; wie oben von dem Geitzhalſe des Moliere bemercket
worden. Terentius iſt hierinn uͤberaus geſchickt geweſen.
Alle ſeine Bilder leben:
Contemplez de quel air un Pere dans Terence,
Vient d’un Fils amoureux gourmander l’imprudence.
De quel air cet amant écoute ſes Leçons,
Et court chez ſa maitreſſe oublier ces chanſons.
Ce n’eſt pas un portrait, une image ſemblable,
C’eſt un amant, un Fils, un Pere veritable.
Von den Affecten iſt hier ebenfalls nichts neues zu ſagen;
als daß man die Tragiſchen, nehmlich die Furcht, das Schre-
cken und Mitleiden zu vermeiden habe. Alle uͤbrige finden in
der Comoͤdie auch ſtatt. Ein zorniger Chremes, ein verliebter
Pamphilus; Ein ſtoltzer Thraſo, ein luſtiger Davus, u. d. m.
ſind ſolche Gemuͤthsbewegungen, die eben kein Schrecken,
auch keine Verwunderung erwecken. Der Menedemus im
Terentz iſt indeſſen ſo beſchaffen, daß er gleich ein Mitleiden
bey uns erwecket: doch da ſolcher Affect nur gelinde bleibt; ſo
iſt es eben kein Fehler. Von der Liebe und Luſtigkeit darf
man wohl keine Regeln geben: denn darauf verfallen die ge-
meinſten Comoͤdienmacher von ſich ſelbſt. Sie moͤgen ſich
nur in achtnehmen, daß ſie in der erſten nicht die Geſetze der
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 599. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/627>, abgerufen am 27.11.2024.
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