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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Von Comödien oder Lustspielen.
wenn die Grossen dieser Welt etwa keine Thorheiten zu be-
gehen pflegten, die lächerlich wären: Nein, sondern weil
es wieder die Ehrerbietung läuft, die man ihnen schuldig ist,
sie als auslachenswürdig vorzustellen. Jn Griechenland
machte sich zwar Aristophanes nichts daraus, den Xerxes
mit einer Armee von 40000. Mann auf einen gantz güldenen
Berg marschieren, und ihn also in einer königlichen Pracht
seine Nothdurft verrichten zu lassen. Allein, das war ein
republicanischer Kopf, der wohl wuste, daß die Griechen
am liebsten über die Könige lachten: Zugeschweigen, daß er
auch die Thorheit Xerxis auf eine unnatürliche Weise ver-
grössert hat. Plautus hat seinen Amphitryon eine Tragi-
comödie genennt; weil er glaubte, daß königliche Personen
allein vor die Tragödie gehöreten. Allein eine Tragi-comö-
die giebt einen so ungereimten Begriff, als wenn ich sagte,
ein lustiges Klage-Lied. Es ist ein Ungeheuer; und da der
Ausgang seines Amphitryons lustig ist: hätte ers nur immer
schlecht weg eine Comödie nennen dörfen. Eben das ist von
des Boursault Esopus bey Hofe zu sagen, den derselbe aus
gleicher Ursache Comedie Heroique betiteln wollen: aber
auch darum ohne Noth einen neuen Nahmen ersonnen.

Die gantze Fabel einer Comödie muß ihrem Jnnhalte
nach die Einheit der Zeit und des Ortes eben so wohl als
die Tragödie beobachten. Ein Haus oder ein Platz auf öf-
fentlicher Strasse muß der Schau-Platz werden, wenn sie in
der Stadt vorgeht: Sonst könnte es auch wohl ein königli-
cher Pallast, ein Garten, oder Wäldgen seyn. Aber wie er
einmahl ist; so muß er das gantze Stück durch bleiben: wie
oben schon erwiesen worden. Die Zeit darf auch nicht län-
ger, als etliche Stunden, nicht aber gantze Tage und Näch-
te dauren. Daher ist der Heautontimorumenos Terentii
falsch eingerichtet, weil es zweymahl auf der Schau-Bühne
Abend wird, ehe die Fabel aus ist. Die Eintheilung dersel-
ben muß eben sowohl wie oben, in fünf Handlungen gesche-
hen, ungeachtet die Jtaliener nur dreye zu machen pflegen.
Denn so werden sie gemeiniglich gar zu lang, und bekommen
so viel Scenen hintereinander, daß man sich verwirret. Man

zehlt
P p 3

Von Comoͤdien oder Luſtſpielen.
wenn die Groſſen dieſer Welt etwa keine Thorheiten zu be-
gehen pflegten, die laͤcherlich waͤren: Nein, ſondern weil
es wieder die Ehrerbietung laͤuft, die man ihnen ſchuldig iſt,
ſie als auslachenswuͤrdig vorzuſtellen. Jn Griechenland
machte ſich zwar Ariſtophanes nichts daraus, den Xerxes
mit einer Armee von 40000. Mann auf einen gantz guͤldenen
Berg marſchieren, und ihn alſo in einer koͤniglichen Pracht
ſeine Nothdurft verrichten zu laſſen. Allein, das war ein
republicaniſcher Kopf, der wohl wuſte, daß die Griechen
am liebſten uͤber die Koͤnige lachten: Zugeſchweigen, daß er
auch die Thorheit Xerxis auf eine unnatuͤrliche Weiſe ver-
groͤſſert hat. Plautus hat ſeinen Amphitryon eine Tragi-
comoͤdie genennt; weil er glaubte, daß koͤnigliche Perſonen
allein vor die Tragoͤdie gehoͤreten. Allein eine Tragi-comoͤ-
die giebt einen ſo ungereimten Begriff, als wenn ich ſagte,
ein luſtiges Klage-Lied. Es iſt ein Ungeheuer; und da der
Ausgang ſeines Amphitryons luſtig iſt: haͤtte ers nur immer
ſchlecht weg eine Comoͤdie nennen doͤrfen. Eben das iſt von
des Bourſault Eſopus bey Hofe zu ſagen, den derſelbe aus
gleicher Urſache Comedie Heroique betiteln wollen: aber
auch darum ohne Noth einen neuen Nahmen erſonnen.

Die gantze Fabel einer Comoͤdie muß ihrem Jnnhalte
nach die Einheit der Zeit und des Ortes eben ſo wohl als
die Tragoͤdie beobachten. Ein Haus oder ein Platz auf oͤf-
fentlicher Straſſe muß der Schau-Platz werden, wenn ſie in
der Stadt vorgeht: Sonſt koͤnnte es auch wohl ein koͤnigli-
cher Pallaſt, ein Garten, oder Waͤldgen ſeyn. Aber wie er
einmahl iſt; ſo muß er das gantze Stuͤck durch bleiben: wie
oben ſchon erwieſen worden. Die Zeit darf auch nicht laͤn-
ger, als etliche Stunden, nicht aber gantze Tage und Naͤch-
te dauren. Daher iſt der Heautontimorumenos Terentii
falſch eingerichtet, weil es zweymahl auf der Schau-Buͤhne
Abend wird, ehe die Fabel aus iſt. Die Eintheilung derſel-
ben muß eben ſowohl wie oben, in fuͤnf Handlungen geſche-
hen, ungeachtet die Jtaliener nur dreye zu machen pflegen.
Denn ſo werden ſie gemeiniglich gar zu lang, und bekommen
ſo viel Scenen hintereinander, daß man ſich verwirret. Man

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[597/0625] Von Comoͤdien oder Luſtſpielen. wenn die Groſſen dieſer Welt etwa keine Thorheiten zu be- gehen pflegten, die laͤcherlich waͤren: Nein, ſondern weil es wieder die Ehrerbietung laͤuft, die man ihnen ſchuldig iſt, ſie als auslachenswuͤrdig vorzuſtellen. Jn Griechenland machte ſich zwar Ariſtophanes nichts daraus, den Xerxes mit einer Armee von 40000. Mann auf einen gantz guͤldenen Berg marſchieren, und ihn alſo in einer koͤniglichen Pracht ſeine Nothdurft verrichten zu laſſen. Allein, das war ein republicaniſcher Kopf, der wohl wuſte, daß die Griechen am liebſten uͤber die Koͤnige lachten: Zugeſchweigen, daß er auch die Thorheit Xerxis auf eine unnatuͤrliche Weiſe ver- groͤſſert hat. Plautus hat ſeinen Amphitryon eine Tragi- comoͤdie genennt; weil er glaubte, daß koͤnigliche Perſonen allein vor die Tragoͤdie gehoͤreten. Allein eine Tragi-comoͤ- die giebt einen ſo ungereimten Begriff, als wenn ich ſagte, ein luſtiges Klage-Lied. Es iſt ein Ungeheuer; und da der Ausgang ſeines Amphitryons luſtig iſt: haͤtte ers nur immer ſchlecht weg eine Comoͤdie nennen doͤrfen. Eben das iſt von des Bourſault Eſopus bey Hofe zu ſagen, den derſelbe aus gleicher Urſache Comedie Heroique betiteln wollen: aber auch darum ohne Noth einen neuen Nahmen erſonnen. Die gantze Fabel einer Comoͤdie muß ihrem Jnnhalte nach die Einheit der Zeit und des Ortes eben ſo wohl als die Tragoͤdie beobachten. Ein Haus oder ein Platz auf oͤf- fentlicher Straſſe muß der Schau-Platz werden, wenn ſie in der Stadt vorgeht: Sonſt koͤnnte es auch wohl ein koͤnigli- cher Pallaſt, ein Garten, oder Waͤldgen ſeyn. Aber wie er einmahl iſt; ſo muß er das gantze Stuͤck durch bleiben: wie oben ſchon erwieſen worden. Die Zeit darf auch nicht laͤn- ger, als etliche Stunden, nicht aber gantze Tage und Naͤch- te dauren. Daher iſt der Heautontimorumenos Terentii falſch eingerichtet, weil es zweymahl auf der Schau-Buͤhne Abend wird, ehe die Fabel aus iſt. Die Eintheilung derſel- ben muß eben ſowohl wie oben, in fuͤnf Handlungen geſche- hen, ungeachtet die Jtaliener nur dreye zu machen pflegen. Denn ſo werden ſie gemeiniglich gar zu lang, und bekommen ſo viel Scenen hintereinander, daß man ſich verwirret. Man zehlt P p 3

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 597. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/625>, abgerufen am 29.03.2024.