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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730.

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Des II Theils XI Capitel
dete Klugheit des Betrogenen würde zum Gelächter werden:
Und die Morale würde heißen: Man solle sich nicht zu weise
düncken lassen, wenn man mit verschmitzten Leuten zu thun
hat; vielweniger mit seiner fürsichtigen Behutsamkeit prah-
len, weil dieses uns die Leute nur desto aufsätziger macht.

Die Fabeln der Comödie werden also auf eben die Art
gemacht, als die tragischen; und können eben sowohl in
schlechte, einfache oder gemeine, dergleichen die obige ist; und
in verworrene, die eine Entdeckung oder doch einen Glücks-
Wechsel haben, eingetheilt werden. Ein Exempel von die-
ser giebt die Andria des Terentii ab, die vor eines Athenien-
sischen Bürgers Tochter erkannt, und also durch eine gute
Heyrath auf einmahl glücklich wird. Jmgleichen sind die
Menegmes oder zween ähnlichen Brüder im Moliere hieher
zu rechnen. Die Zäncker aber, (les Plaideurs) die Racine
aus dem Aristophanes entlehnet hat, geben eine Fabel von der
ersten Gattung. Dem ungeachtet haben doch alle ihren ge-
wissen Knoten, der sich im Anfange der Comödie einwickelt,
und hernach zuletzt geschickt und wahrscheinlich auflöset.
Dieses ist nun die gantze Kunst. Die Jtaliener machen ge-
meiniglich gar zu viel unnatürliche Künsteleyen. Sie ver-
kleiden sich unzehliche mahl. Bald ist der Liebhaber eine
Seule, bald eine Uhr, bald eine Trödel-Frau, bald ein Ge-
spenste, bald gar eine Baßgeige; um nur zu seinem Zwecke
zu gelangen. Denn weiter ist bey ihren Comödianten oh-
nedem an nichts zu gedencken; als an Liebes-Streiche, da
man entweder die Eltern oder die Männer betrieget. Diese
Materie aber ist schon so abgedroschen, daß ich nicht begrei-
fen kan, wie man sie nicht längst überdrüßig geworden. Eben
so kömmt es mir vor, wenn sich alle Stücke mit dem Heyra-
then endigen. Jst denn weiter nichts in der Welt, als das
Hochzeit-machen, was einen frölichen Ausgang geben kan?
Moliere selbst hat sich dieses Kunst-Griffes zu offt bedienet:
da er doch fähig gewesen wäre, hundert andre Verwickelun-
gen und Auflösungen seiner Fabeln zu erfinden.

Die Personen, so zur Comödie gehören, sind ordentliche
Bürger, oder doch Leute von mäßigem Stande. Nicht als

wenn

Des II Theils XI Capitel
dete Klugheit des Betrogenen wuͤrde zum Gelaͤchter werden:
Und die Morale wuͤrde heißen: Man ſolle ſich nicht zu weiſe
duͤncken laſſen, wenn man mit verſchmitzten Leuten zu thun
hat; vielweniger mit ſeiner fuͤrſichtigen Behutſamkeit prah-
len, weil dieſes uns die Leute nur deſto aufſaͤtziger macht.

Die Fabeln der Comoͤdie werden alſo auf eben die Art
gemacht, als die tragiſchen; und koͤnnen eben ſowohl in
ſchlechte, einfache oder gemeine, dergleichen die obige iſt; und
in verworrene, die eine Entdeckung oder doch einen Gluͤcks-
Wechſel haben, eingetheilt werden. Ein Exempel von die-
ſer giebt die Andria des Terentii ab, die vor eines Athenien-
ſiſchen Buͤrgers Tochter erkannt, und alſo durch eine gute
Heyrath auf einmahl gluͤcklich wird. Jmgleichen ſind die
Menegmes oder zween aͤhnlichen Bruͤder im Moliere hieher
zu rechnen. Die Zaͤncker aber, (les Plaideurs) die Racine
aus dem Ariſtophanes entlehnet hat, geben eine Fabel von der
erſten Gattung. Dem ungeachtet haben doch alle ihren ge-
wiſſen Knoten, der ſich im Anfange der Comoͤdie einwickelt,
und hernach zuletzt geſchickt und wahrſcheinlich aufloͤſet.
Dieſes iſt nun die gantze Kunſt. Die Jtaliener machen ge-
meiniglich gar zu viel unnatuͤrliche Kuͤnſteleyen. Sie ver-
kleiden ſich unzehliche mahl. Bald iſt der Liebhaber eine
Seule, bald eine Uhr, bald eine Troͤdel-Frau, bald ein Ge-
ſpenſte, bald gar eine Baßgeige; um nur zu ſeinem Zwecke
zu gelangen. Denn weiter iſt bey ihren Comoͤdianten oh-
nedem an nichts zu gedencken; als an Liebes-Streiche, da
man entweder die Eltern oder die Maͤnner betrieget. Dieſe
Materie aber iſt ſchon ſo abgedroſchen, daß ich nicht begrei-
fen kan, wie man ſie nicht laͤngſt uͤberdruͤßig geworden. Eben
ſo koͤmmt es mir vor, wenn ſich alle Stuͤcke mit dem Heyra-
then endigen. Jſt denn weiter nichts in der Welt, als das
Hochzeit-machen, was einen froͤlichen Ausgang geben kan?
Moliere ſelbſt hat ſich dieſes Kunſt-Griffes zu offt bedienet:
da er doch faͤhig geweſen waͤre, hundert andre Verwickelun-
gen und Aufloͤſungen ſeiner Fabeln zu erfinden.

Die Perſonen, ſo zur Comoͤdie gehoͤren, ſind ordentliche
Buͤrger, oder doch Leute von maͤßigem Stande. Nicht als

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[596/0624] Des II Theils XI Capitel dete Klugheit des Betrogenen wuͤrde zum Gelaͤchter werden: Und die Morale wuͤrde heißen: Man ſolle ſich nicht zu weiſe duͤncken laſſen, wenn man mit verſchmitzten Leuten zu thun hat; vielweniger mit ſeiner fuͤrſichtigen Behutſamkeit prah- len, weil dieſes uns die Leute nur deſto aufſaͤtziger macht. Die Fabeln der Comoͤdie werden alſo auf eben die Art gemacht, als die tragiſchen; und koͤnnen eben ſowohl in ſchlechte, einfache oder gemeine, dergleichen die obige iſt; und in verworrene, die eine Entdeckung oder doch einen Gluͤcks- Wechſel haben, eingetheilt werden. Ein Exempel von die- ſer giebt die Andria des Terentii ab, die vor eines Athenien- ſiſchen Buͤrgers Tochter erkannt, und alſo durch eine gute Heyrath auf einmahl gluͤcklich wird. Jmgleichen ſind die Menegmes oder zween aͤhnlichen Bruͤder im Moliere hieher zu rechnen. Die Zaͤncker aber, (les Plaideurs) die Racine aus dem Ariſtophanes entlehnet hat, geben eine Fabel von der erſten Gattung. Dem ungeachtet haben doch alle ihren ge- wiſſen Knoten, der ſich im Anfange der Comoͤdie einwickelt, und hernach zuletzt geſchickt und wahrſcheinlich aufloͤſet. Dieſes iſt nun die gantze Kunſt. Die Jtaliener machen ge- meiniglich gar zu viel unnatuͤrliche Kuͤnſteleyen. Sie ver- kleiden ſich unzehliche mahl. Bald iſt der Liebhaber eine Seule, bald eine Uhr, bald eine Troͤdel-Frau, bald ein Ge- ſpenſte, bald gar eine Baßgeige; um nur zu ſeinem Zwecke zu gelangen. Denn weiter iſt bey ihren Comoͤdianten oh- nedem an nichts zu gedencken; als an Liebes-Streiche, da man entweder die Eltern oder die Maͤnner betrieget. Dieſe Materie aber iſt ſchon ſo abgedroſchen, daß ich nicht begrei- fen kan, wie man ſie nicht laͤngſt uͤberdruͤßig geworden. Eben ſo koͤmmt es mir vor, wenn ſich alle Stuͤcke mit dem Heyra- then endigen. Jſt denn weiter nichts in der Welt, als das Hochzeit-machen, was einen froͤlichen Ausgang geben kan? Moliere ſelbſt hat ſich dieſes Kunſt-Griffes zu offt bedienet: da er doch faͤhig geweſen waͤre, hundert andre Verwickelun- gen und Aufloͤſungen ſeiner Fabeln zu erfinden. Die Perſonen, ſo zur Comoͤdie gehoͤren, ſind ordentliche Buͤrger, oder doch Leute von maͤßigem Stande. Nicht als wenn

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Zitationshilfe: Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 596. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/624>, abgerufen am 24.11.2024.