Plautus muß also sehr viel Selbst-Liebe vor sich gehabt haben, wann er sich selbst eine so prahlerische Grab-Schrifft gemacht: Daß die Musen über seinen Tod weinen und klagen sollten; weil alle Schertz-Reden und hübsche Einfälle mit ihm verlohren gegangen. Jn der That ist Terentius schon von den alten Criticis dem Plautus weit vorgezogen worden. Ob er gleich ein Africaner war; so besaß er doch die Zierlich- keit der lateinischen Sprache im höchsten Grade: welches er sonder Zweifel dem Umgange mit den vornehmsten Römern zu dancken hatte. Scipio und Lälius haben ihn ihrer Freund- schafft gewürdiget, ja wohl selbst an seinen Comödien Hand angelegt. Dieses ward ihm schon damahls von seinen Fein- den vorgerückt, wie er den Vorredner zu der Comödie von zween Brüdern, sagen läst.
Nam quod isti dicunt maleuoli, homines nobiles Eum adiutare, assidueque vna scribere; Quod illi maledictum vehemens esse existumant, Eam laudem hic ducit maximam, cum illis placet Qui vobis vniuersis & populo placent, Quorum opera in bello, in otio, in negotio Suo quisque tempore vsu, est sine superbia.
Jndessen ist es wahr, daß Terentius nicht viel neue Fabeln gemacht; sondern die meisten aus Menanders griechischen Comödien entlehnet hat. Er gesteht solches selbst in den Vorreden, und also kan es ihm zu keinem Vorwurfe eines Diebstahls gereichen. Soviel ist gewiß, daß seine Sachen regelmäßig sind, und die artigsten Schertz-Reden voller Saltz und Schärfe in sich fassen. Die Charactere sind dar- inn unvergleichlich beobachtet; und die Natur ist darinn so vollkommen nachgeahmet, daß man kein Bild davon, son- dern sie selbst zu sehen glaubet, wenn man seine Personen re- den hört. Es ist nichts unflätiges oder zweydeutiges darin- nen; sondern ein gantz erbarer Ausdruck herrschet auch in dem Munde der geringsten Knechte und Mägde. Nur das eine Stück des sich selbst quälenden Vaters, ist im Absehen auf die Einheit der Zeit fehlerhafft, weil es zwey Tage zu sei- ner Dauer brauchet. Das macht, daß er zwey Comödien Me-
nan-
Von Comoͤdien oder Luſtſpielen.
Plautus muß alſo ſehr viel Selbſt-Liebe vor ſich gehabt haben, wann er ſich ſelbſt eine ſo prahleriſche Grab-Schrifft gemacht: Daß die Muſen uͤber ſeinen Tod weinen und klagen ſollten; weil alle Schertz-Reden und huͤbſche Einfaͤlle mit ihm verlohren gegangen. Jn der That iſt Terentius ſchon von den alten Criticis dem Plautus weit vorgezogen worden. Ob er gleich ein Africaner war; ſo beſaß er doch die Zierlich- keit der lateiniſchen Sprache im hoͤchſten Grade: welches er ſonder Zweifel dem Umgange mit den vornehmſten Roͤmern zu dancken hatte. Scipio und Laͤlius haben ihn ihrer Freund- ſchafft gewuͤrdiget, ja wohl ſelbſt an ſeinen Comoͤdien Hand angelegt. Dieſes ward ihm ſchon damahls von ſeinen Fein- den vorgeruͤckt, wie er den Vorredner zu der Comoͤdie von zween Bruͤdern, ſagen laͤſt.
Nam quod iſti dicunt maleuoli, homines nobiles Eum adiutare, aſſidueque vna ſcribere; Quod illi maledictum vehemens eſſe exiſtumant, Eam laudem hic ducit maximam, cum illis placet Qui vobis vniuerſis & populo placent, Quorum opera in bello, in otio, in negotio Suo quisque tempore vſu, eſt ſine ſuperbia.
Jndeſſen iſt es wahr, daß Terentius nicht viel neue Fabeln gemacht; ſondern die meiſten aus Menanders griechiſchen Comoͤdien entlehnet hat. Er geſteht ſolches ſelbſt in den Vorreden, und alſo kan es ihm zu keinem Vorwurfe eines Diebſtahls gereichen. Soviel iſt gewiß, daß ſeine Sachen regelmaͤßig ſind, und die artigſten Schertz-Reden voller Saltz und Schaͤrfe in ſich faſſen. Die Charactere ſind dar- inn unvergleichlich beobachtet; und die Natur iſt darinn ſo vollkommen nachgeahmet, daß man kein Bild davon, ſon- dern ſie ſelbſt zu ſehen glaubet, wenn man ſeine Perſonen re- den hoͤrt. Es iſt nichts unflaͤtiges oder zweydeutiges darin- nen; ſondern ein gantz erbarer Ausdruck herrſchet auch in dem Munde der geringſten Knechte und Maͤgde. Nur das eine Stuͤck des ſich ſelbſt quaͤlenden Vaters, iſt im Abſehen auf die Einheit der Zeit fehlerhafft, weil es zwey Tage zu ſei- ner Dauer brauchet. Das macht, daß er zwey Comoͤdien Me-
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Von Comoͤdien oder Luſtſpielen.
Plautus muß alſo ſehr viel Selbſt-Liebe vor ſich gehabt
haben, wann er ſich ſelbſt eine ſo prahleriſche Grab-Schrifft
gemacht: Daß die Muſen uͤber ſeinen Tod weinen und klagen
ſollten; weil alle Schertz-Reden und huͤbſche Einfaͤlle mit
ihm verlohren gegangen. Jn der That iſt Terentius ſchon
von den alten Criticis dem Plautus weit vorgezogen worden.
Ob er gleich ein Africaner war; ſo beſaß er doch die Zierlich-
keit der lateiniſchen Sprache im hoͤchſten Grade: welches er
ſonder Zweifel dem Umgange mit den vornehmſten Roͤmern
zu dancken hatte. Scipio und Laͤlius haben ihn ihrer Freund-
ſchafft gewuͤrdiget, ja wohl ſelbſt an ſeinen Comoͤdien Hand
angelegt. Dieſes ward ihm ſchon damahls von ſeinen Fein-
den vorgeruͤckt, wie er den Vorredner zu der Comoͤdie von
zween Bruͤdern, ſagen laͤſt.
Nam quod iſti dicunt maleuoli, homines nobiles
Eum adiutare, aſſidueque vna ſcribere;
Quod illi maledictum vehemens eſſe exiſtumant,
Eam laudem hic ducit maximam, cum illis placet
Qui vobis vniuerſis & populo placent,
Quorum opera in bello, in otio, in negotio
Suo quisque tempore vſu, eſt ſine ſuperbia.
Jndeſſen iſt es wahr, daß Terentius nicht viel neue Fabeln
gemacht; ſondern die meiſten aus Menanders griechiſchen
Comoͤdien entlehnet hat. Er geſteht ſolches ſelbſt in den
Vorreden, und alſo kan es ihm zu keinem Vorwurfe eines
Diebſtahls gereichen. Soviel iſt gewiß, daß ſeine Sachen
regelmaͤßig ſind, und die artigſten Schertz-Reden voller
Saltz und Schaͤrfe in ſich faſſen. Die Charactere ſind dar-
inn unvergleichlich beobachtet; und die Natur iſt darinn ſo
vollkommen nachgeahmet, daß man kein Bild davon, ſon-
dern ſie ſelbſt zu ſehen glaubet, wenn man ſeine Perſonen re-
den hoͤrt. Es iſt nichts unflaͤtiges oder zweydeutiges darin-
nen; ſondern ein gantz erbarer Ausdruck herrſchet auch in
dem Munde der geringſten Knechte und Maͤgde. Nur das
eine Stuͤck des ſich ſelbſt quaͤlenden Vaters, iſt im Abſehen
auf die Einheit der Zeit fehlerhafft, weil es zwey Tage zu ſei-
ner Dauer brauchet. Das macht, daß er zwey Comoͤdien Me-
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Gottsched, Johann Christoph: Versuch einer Critischen Dichtkunst vor die Deutschen. Leipzig, 1730, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/gottsched_versuch_1730/617>, abgerufen am 24.11.2024.
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